Seit langer Zeit schon ist es bei teuren Poker-Cashgames in Mode, bei einem All-In das Board zweimal zu geben, um so die Varianz etwas zu verringern. Unter welchen Umständen ist so ein Run-it-Twice vorteilhaft? Nützt es eher dem Spieler, der vorne liegt oder sollte der Spieler mit Draw darauf bestehen? Erhöht oder verringert es die Gewinnwahrscheinlichkeit? Hat ein Run-it-Twice auf lange Sicht Auswirkungen auf die Gewinne?
Wir wollen diesen Fragen hier detailliert nachgehen. Für die eiligen Leser die Ergebnisse gleich vorweg:
– Mehrfaches Geben des Boards verringert die Varianz.
– Weder nützt noch schadet es den Spielern hinsichtlich des Gewinns.
– Der Erwartungswert ändert sich in keinem Fall.
– Schwache Spieler sollten das Board nur einmal geben lassen, für starke Spieler ist Run-it-Twice sinnvoll.
Wie funktioniert ein Run-it-Twice überhaupt?
Ein einfaches Beispiel: Zwei Spieler sind auf einem A J 8 7 –Turn all-in. Beim Showdown zeigen sie:
Spieler A: A A
Spieler B: K Q
Spieler A hat ein Set und Spieler B einen Straight-Flush-Draw und genau 10 Outs.
Einigen die Spieler sich darauf, mit Run-it-Twice zu spielen, wird der River zweimal gegeben. Gewinnt Spieler A in beiden Fällen, bekommt er den ganzen Pot. Ebenso bekommt Spieler B den ganzen Pot, wenn er zweimal gewinnt. Sollte einmal Spieler A und einmal Spieler B gewinnen, wird der Pot geteilt.
Dann und wann kommt es auch vor, dass die Spieler den River gleich drei- oder viermal geben lassen und entsprechend der Anzahl ihrer jeweiligen Siege den Pot teilen.
Ebenso ist es möglich, bei All-Ins auf früheren Setzrunden Turn und River oder gleich das ganze Board zwei- oder mehrmals dealen zu lassen.
Warum sollte man Run-it-Twice überhaupt machen?
Der Grund, bei All-Ins das Board mehrmals zu geben, ist ein einfacher: Man reduziert die Chance, das All-In zu verlieren und erhöht seine Chance, einen Teil des Pottes zu gewinnen.
Nehmen wir obiges Beispiel. Hier hat Spieler A die Führung, aber Spieler B hat 10 Outs. Damit hat Spieler B immerhin eine Chance von 22,7%, den Pot zu gewinnen, wenn nur einmal gegeben wird.
Wird der River einmal gegeben, können zwei Fälle eintreten:
– Fall 1: Spieler A gewinnt (77,3%)
– Fall 2: Spieler B gewinnt (22,7%)
Wird der River jedoch zweimal gegeben, gibt es drei Fälle:
– Fall 1: Spieler A gewinnt beide River (59,3%)
– Fall 2: Spieler B gewinnt beide River (4,8%)
– Fall 3: Jeder Spieler gewinnt einen River (35,9%)
Für Spieler A ist es nun wesentlich unwahrscheinlicher, dass er den ganzen Pot verliert und für Spieler B ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass er zumindest die Hälfte des Pottes einstreicht.
Für beide Spieler ist ein Run-it-Twice eine Art Versicherung: Beide nehmen in Kauf, seltener den ganzen Pot zu gewinnen, verlieren dafür aber auch seltener den ganzen Pot.
Ändert sich der Erwartungswert beim Run-it-Twice?
Egal, wie man ein Run-it-Twice anstellt: Der Erwartungswert bleibt für beide Spieler immer gleich.
Nehmen wir wieder obiges Beispiel. Angenommen im Pot liegen €5.000. Wird der River nur einmal gegeben, gewinnt Spieler A in 77,3% der Fälle €5.000 – macht einen Erwartungswert von 77,3% × €5.000 = €3.864.
Wird der River zweimal gegeben, gewinnt Spieler A in 59,3% der Fälle €5.000 und in 35,9% der Fälle €2.500 (den halben Pot). Das ergibt wieder einen Erwartungswert von 59,3% × €5.000 + 35,9% × €2.500 = €3.864.
Ebenso verhält es sich mit dem Erwartungswert von Spieler B – wenn der von Spieler A gleich bleibt, muss auch der von Spieler B gleich bleiben.
Selbst wenn der River drei-, vier- oder zehnmal gegeben wird, ändert sich am Erwartungswert nichts.
Lassen wir den River in dem Beispiel einfach zehnmal geben. Dies sind die Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Ausgänge:
Spieler A gewinnt 0 Mal | 0,00% |
Spieler A gewinnt 1 Mal | 0,00% |
Spieler A gewinnt 2 Mal | 0,00% |
Spieler A gewinnt 3 Mal | 0,03% |
Spieler A gewinnt 4 Mal | 0,39% |
Spieler A gewinnt 5 Mal | 2,83% |
Spieler A gewinnt 6 Mal | 11,38% |
Spieler A gewinnt 7 Mal | 26,02% |
Spieler A gewinnt 8 Mal | 32,93% |
Spieler A gewinnt 9 Mal | 21,14% |
Spieler A gewinnt 10 Mal | 5,28% |
Rechnet man jetzt den Erwartungswert zusammen, kommt man wieder auf obige €3.864.
Ist Run-it-Twice sinnvoll?
Sollte man als Underdog das Run-it-Twice suchen oder nützt es dem Spieler, der vorne liegt?
Tatsächlich nützt oder schadet das mehrfache Dealen des Boards keinem Spieler – zumindest nicht aus der Perspektive des langfristigen Gewinns.
Der Underdog reduziert seine Chancen auf einen kompletten Suckout allerdings deutlich. Siehe obiges Beispiel: Ohne Run-it-Twice hatte der Spieler mit dem Draw immerhin fast eine 23-prozentige Chance den ganzen Pot zu gewinnen. Mit Run-it-Twice liegt die Wahrscheinlichkeit, dass er den gesamten Pot einstreicht bei unter 5%.
Auf der anderen Seite ist seine Wahrscheinlichkeit für einen kompletten Verlust von über 77% auf unter 60% gesunken.
Sinn und Zweck vom Run-it-Twice ist es ausschließlich, die Varianz der Spieler zu verringern. Wir haben früher in diesem Jahr einen Artikel geschrieben, der erklärt, was Varianz beim Poker ist und was das soll.
Ganz simpel und grob gesprochen: Run-it-Twice halbiert die Varianz und macht es leichter, langfristig und konsistent zu gewinnen.
Daraus ergibt sich eine einfache Folgerung: Hält man sich für den besseren der beiden Spieler, sollte man das Run-it-Twice suchen, hält man seinen Gegner jedoch für besser, sollte man das Board lieber nur einmal geben lassen.
Dieses Muster zieht sich durch fast alle Varianz-Fragen beim Poker: Schwächere Spieler sollten die Varianz begrüßen, denn ein Lucky-Punch ist langfristig das beste, was sie erreichen können. Starke Spieler sollten auf der anderen Seite Möglichkeiten suchen, die Varianz zu verringern, um näher an ihrem (positiven) Erwartungswert zu spielen.
Eine Anmerkung am Rande: Einige Casinos oder Online-Anbieter nehmen eine kleine Extra-Gebühr für Run-it-Twice. In diesem Fall ist es definitiv nicht sinnvoll, dies zu nutzen. Denn dann reduziert man letztendlich doch seinen Erwartungswert (wenn auch nur minimal).
Run-it-Twice: Turn und River – Oder: Ändern sich die Wahrscheinlichkeiten wirklich nicht?
Es mag eventuell nicht ganz intuitiv sein, dass ein Run-it-Twice den Erwartungswert so gar nicht ändert.
Ein klassischer Einwand ist etwa: Was wenn ich mit einem Flush-Draw auf dem Flop all-in bin und beim ersten Lauf zwei meiner Outs auf Turn und River kommen. Fehlt mir das eine im ersten Lauf überflüssige Out dann nicht beim zweiten Lauf?
Dieses eine Out fehlt allerdings nicht. Zwar stimmt es, dass die Wahrscheinlichkeit, den Flush zu treffen niedriger ist, wenn zwei Outs aus dem Spiel sind. Aber gleichzeitig ist die Wahrscheinlichkeit, den Flush zu treffen höher, wenn im ersten Lauf gar kein Out ankommt und noch alle Outs im Spiel sind.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel für Run-it-Twice auf Flop und Turn und rechnen es einmal im Detail durch, um zu sehen, dass der Erwartungswert identisch bleibt:
Flop: Q 8 7
Spieler 1: A A
Spieler 2: K K
Hier hat Spieler B genau zwei Outs (die beiden Könige) und Spieler A hat zwei Outs zu Re-Draws (die beiden Asse), falls Spieler B sein Set treffen sollte.
Die Spieler lassen Turn und River zweimal geben.
Es sind noch 45 Karten im Deck und damit gibt es 45 über 2 = 990 Möglichkeiten, wie der erste Lauf fallen kann.
Sechs unterscheidbare Fälle können beim ersten Lauf eintreten:
Fall 1 (XX): Weder Ass noch König kommen. Dafür gibt es 820 Kombinationen.
Fall 2 (KX): Es fällt genau ein König und kein Ass. Dafür gibt es 82 Kombinationen.
Fall 3 (KK): Es fallen zwei Könige. Dafür gibt es eine Kombination.
Fall 4 (AX): Es fällt genau ein Ass und kein König. Dafür gibt es 82 Kombinationen.
Fall 5 (AA): Es fallen zwei Asse. Dafür gibt es eine Kombination.
Fall 6 (AK): Es fällt ein König und ein Ass. Dafür gibt es 4 Kombinationen.
Egal welcher dieser sechs Fälle eintritt, für den zweiten Lauf gibt es nun noch 43 über 2 = 903 Möglichkeiten.
Bei diesem können wieder die sechs Fälle eintreten. Wie viele Kombinationen es für die einzelnen Fälle beim zweiten Lauf sind, hängt davon ab, wie wie der erste Lauf ausging.
Wir haben die Zahl der Kombinationen für den zweiten Lauf in Abhängigkeit vom ersten Lauf hier einmal in einer Tabelle zusammengefasst:
Lauf 2 / Lauf 1 | XX (820) | KX (82) | KK (1) | AX (82) | AA (1) | AK (4) |
XX | 741 | 780 | 820 | 780 | 820 | 820 |
KX | 78 | 40 | 0 | 80 | 82 | 41 |
KK | 1 | 0 | 0 | 1 | 1 | 0 |
AX | 78 | 80 | 82 | 40 | 0 | 41 |
AA | 1 | 1 | 1 | 0 | 0 | 0 |
AK | 4 | 2 | 0 | 2 | 0 | 1 |
Damit kann man für jede Verteilung von Fällen in Lauf 1 und Lauf 2 die Wahrscheinlichkeit des Eintretens ausrechnen. In folgender Tabelle sind die Wahrscheinlichkeiten aufgeführt. Darunter ist jeweils vermerkt, wie der Pot in den einzelnen Fällen geteilt wird:
Lauf 2 / Lauf 1 | XX | KX | KK | AX | AA | AK |
XX | 68% Spieler A | 7% split | 0,09% split | 7% Spieler A | 0,09% Spieler A | 0,4% Spieler A |
KX | 7% split | 0,4% Spieler B | 0% Spieler B | 0,7% split | 0,009% split | 0,02% split |
KK | 0,09% split | 0% Spieler B | 0% Spieler B | 0,009% split | 0,0001% split | 0% split |
AX | 7% Spieler A | 0,7% split | 0,009% split | 0,4% Spieler A | 0% Spieler A | 0,02% Spieler A |
AA | 0,09% Spieler A | 0,009% split | 0,0001% split | 0% Spieler A | 0% Spieler A | 0% Spieler A |
AK | 0,4% Spieler A | 0,02% split | 0% split | 0,02% Spieler A | 0% Spieler A | 0,0004% Spieler A |
Nimmt man nun die Wahrscheinlichkeiten für alle Fälle zusammen, ergibt sich:
Spieler A gewinnt beide Läufe | 83,6% |
Spieler B gewinnt beide Läufe | 0,4% |
Je ein Spieler gewinnt einen Lauf | 16,0% |
Sprich: auf lange Sicht gewinnt Spieler A einen Anteil 83,6% × 1 + 16,0% × 0,5 = 0,916 vom Pot. Das ist genau seine Gewinnwahrscheinlichkeit, wenn Turn und River nur einmal gegeben werden.
Ebenso verhält es sich bei allen anderen All-In-Situationen und egal ob nur der River, Turn und River oder das gesamte Board mehrmals gegeben werden: Der Erwartungswert bleibt immer gleich.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 30.11.2014.