Varianz beim Poker – was ist das, was soll das und warum brauche ich das? Dieser Artikel soll anhand von Beispiel erklären, was Varianz ist und aufzeigen, dass man online in der Regel mit viel wilderen Berg-und-Talfahrten rechnen muss als beim Live-Poker.
Varianz, was ist das?
Varianz ist kein Schimpfwort, aber für die meisten Menschen ein recht undefiniertes Gebilde. Dahinter steckt eine kleine Portion Mathematik, also die gleiche Wissenschaft, die auch dafür sorgt, dass unsere Autos fahren, unsere Smartphones funktionieren und unsere Satelliten nicht runterfallen. Auch ohne jemals von Normalverteilungen oder dem ZGWS gehört zu haben, kann man die Varianz beim Poker an Beispielen erklären. Machen wir doch genau das!
Schauen wir uns zunächst einen fiktiven professionellen Live-Cashgame-Spieler an. Sagen wir er spielt, im Schnitt 20 Tage pro Monat und rund 6 Stunden pro Tag. Im Schnitt sieht er zwischen 30 und 35 Hände pro Stunde und kommt so auf ein Monatspensum von rund 4.000 Händen.
Nehmen wir an, dieser Spieler spielt €1/€2 und macht regelmäßig Gewinn. Pro Monat nimmt er durch das Pokerspiel 2.000 Euro ein. Seine sogenannte Winrate entspricht damit 50 Euro auf 100 Hände oder 25 Big Blinds auf 100 Hände.
Natürlich gewinnt er sein Geld nicht gleichmäßig, sondern hat mal gute und mal schlechte Tage. Dieses “Mal gute und mal schlechte Tage” ist die Varianz. Diese lässt sich in Zahlen ausdrücken und es ist üblich, die durchschnittliche Abweichung von der Winrate pro 100 Hände als Kenngröße für die Varianz anzugeben. Diese nennt man dann Standardabweichung pro 100 Hände.
Angenommen, der Live-Spieler notiert alle 100 Hände seine Ergebnisse für die zurückliegenden 100 Hände und kommt am Ende eines Monats (nach 4.000 Händen) auf folgende Tabelle:
€50 | €180 | €0 | €160 | -€190 | €140 | €440 | -€200 |
-€300 | €230 | €230 | €320 | €130 | €390 | €330 | €340 |
€200 | -€220 | €130 | €640 | -€170 | €90 | -€50 | -€120 |
-€270 | -€200 | -€260 | €20 | €90 | -€160 | €0 | -€340 |
€190 | -€250 | €120 | -€300 | €400 | €90 | €200 | -€80 |
In Summe ergeben diese Zahlen genau 2.000 Euro (1.000 Big Blinds) und mit etwas Mühe kann man daraus die Standardabweichung berechnen: €238. Sprich: Im Schnitt wird der Spieler seine Winrate von €50 auf 100 Hände um rund 238 Euro verfehlen, entweder indem er mehr oder weniger als diese €50 gewinnt.
Varianz bei Live-Cash-Games
Mit diesen beiden Kenngrößen, Winrate (25 Big Blinds / 100 Hände) und Standardabweichung (238 Euro oder 119 Big Blinds / 100 Hände) hat man alle Mittel in der Hand, um für die zukünftigen Spiele abzuschätzen, wie der Live-Spieler abschneiden wird, wie viel Pech möglich ist und wie sicher er sich sein kann, über einen bestimmten Zeitraum Gewinn zu machen.
Man geht einfach zu einem Varianz Rechner, trägt dort die beiden Werte ein und lässt den Rechner das Spiel über 4.000 Hände simulieren.
Der Simulator zeigt dann, welche Ergebnisse über diesen Zeitraum möglich sind:
Die fetten grünen Linien zeigen die sogenannten Konfidenz-Intervalle . Die hellgrüne Linie grenzt das 70%-Intervall ein – die Wahrscheinlichkeit, dass die Gewinne innerhalb dieser Linien liegen, liegt bei rund 70%. Die dunkelgrüne Linie zeigt das 95%-Intervall. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gewinne innerhalb dieses Intervalls liegen, liegt bei 95%.
Der Simulator von PokerDope zeigt noch eine ganze Menge mehr:
– Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Spieler über 4.000 Hände keinen Gewinn macht, liegt bei 9,2%.
– In rund 5% seiner Spielzeit steckt dieser Spieler in einem Downswing von mehr als 1.000 Big Blinds (2.000 Euro).
– In rund 3 bis 4% seiner Spielzeit steckt dieser Spieler in einem Downswing, der mehr als 10.000 Hände andauert (also mindestens zweieinhalb Monate bei 4.000 Händen Spiel pro Monat).
Man kann den Simulator auch einen längeren Zeitraum berechnen lassen, zum Beispiel 10 Monate, also 40.000 Hände:
Mögliche Gewinnverläufe eines Spielers mit einer Winrate von 25 Big Blinds / 100 und einer Standardabweichung von 119 Big Blinds / 100 über 40.000 Hände.
Jetzt gehen alle Graphen schon schön nach oben. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Spieler über einen Zeitraum von 40.000 Händen Verlust macht, liegt nur noch bei 0,0013 Prozent.
Sehr gute Spieler haben keine großen Varianz-Probleme
Das oben aufgeführte Beispiel eines Spielers, der 25 Big Blinds auf 100 Hände beim Live-Cashgame gewinnt, zeigt, dass er nach ein paar Monaten fast sicher jeder Varianz entschwindet. Er gewinnt schlicht so viel, dass er auch bei größeren Downswings immer noch im Plus landet.
Als einzige Einnahmequelle, sollte dieser Spieler Live-Poker aber dennoch nicht unbedingt begreifen. Denn die Simulation zeigt auch, dass er im Schnitt rund jeden elften Monat Verlust machen wird.
Varianz beim Online-Poker
Betrachten wir als Nächstes die Varianz beim Online-Poker. Hier werden viel mehr Hände gespielt und auch die Standardabweichung ist häufig ein wenig niedriger. Deswegen sollte die Varianz hier doch weniger ins Gewicht schlagen?
Das Problem online ist allerdings, dass beileibe nicht die selben Winrates möglich sind, wie beim Live-Poker. Unser Live-Spieler in obigem Beispiel hat 25 Big Blinds auf 100 Hände gewonnen. Online wird eine Winrate von 5 Big Blinds auf 100 Hände aber schon als gut betrachtet.
Eine niedrigere Winrate hat drastische Auswirkungen auf die Varianz.
Nehmen wir wieder einen Beispiel-Spieler. Dieser spielt online mit Blinds von €0,50 / €1,00 und hat eine Winrate von €5 pro 100 Hände (5 Big Blinds). Pro Monat spielt dieser Spieler 20 Tage und rund 2.000 Hände pro Tag – also 40.000 Hände pro Monat. Damit kommt er – ebenso wie obiger Live-Spieler – auf einen durchschnittlichen Monatsgewinn von €2.000.
Seine Standardabweichung für diesen Spieler liegt bei 100 Big Blinds pro 100 Hände (diesen Wert kann man bei allen gängigen Tracking-Programmen auslesen).
Lassen wir also den Varianz-Simulator mit einer Winrate von 5 Big Blinds / 100 und einer Standardabweichung von 100 Big Blinds / 100 rechnen:
Mögliche Gewinnverläufe eines Spielers mit einer Winrate von 5 Big Blinds / 100 und einer Standardabweichung von 100 Big Blinds / 100 über 40.000 Hände.
Die Graphen sehen gar nicht so anders aus als bei dem Live-Spieler über 4.000 Hände, aber dennoch zeigt sich, dass die Varianz in dem Online-Fall deutlich größer ist.
- Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Online-Spieler über 40.000 Hände Verlust macht, liegt bei fast 16 Prozent.
- Dieser Spieler steckt rund 35 Prozent seiner Zeit in einem Downswing von mehr als 2.000 Big Blinds (2.000 Euro) – etwa sieben Mal häufiger als der obige Live-Spieler.
- Dieser Spieler steckt über 60% seiner Spielzeit in einem Downswing, der mindestens 10.000 Hände andauert – fast 20 Mal so häufig(!) wie der Live-Spieler.
- Einen Downswing über mindestens 100.000 Hände (also zweieinhalb Monate bei 40.000 Händen Spiel pro Monat) erlebt dieser Spieler in rund 10 Prozent seiner Spielzeit.
Lässt man den Spieler über 10 Monate, also ganze 400.000 Hände spielen, sieht auch bei ihm die Varianz schon wesentlich freundlicher aus:
Mögliche Gewinnverläufe eines Spielers mit einer Winrate von 5 Big Blinds / 100 und einer Standardabweichung von 100 Big Blinds / 100 über 400.000 Hände.
Aber auch nach 400.000 Händen sind die möglichen Ergebnisse dieses Spielers immer noch sehr weit gestreut. Sein 95%-Konfidenz-Intervall liegt bei 7.400 bis 32.600 Euro, sprich in 5% aller Fälle wird er nach 400.000 Händen entweder mehr als 32.600 Euro oder weniger als 7.400 Euro gewonnen haben.
Die Varianz ist eine Schlampe
Das Beispiel des Online-Spielers zeigt, dass Varianz sehr drastische Auswirkungen hat, wenn man keine gottgleiche Winrate hat.
Beim Live-Poker sind entsprechende Winrates für sehr gute Spieler möglich, denn die Gegnerschaft ist deutlich schlechter. Online hingegen gelten die in diesem Beispiel verwendeten 5 Big Blinds auf 100 Hände schon als guter Wert.
Um trotz der daraus resultierenden Varianz konsistent und verlässlich Geld beim Online-Cashgame zu verdienen, muss man ein vergleichsweise hohes Pensum abarbeiten. In unseren Beispiel hat der Online-Spieler 10 Mal so viele Hände gespielt wie der Live-Spieler und hatte immer noch mit einer höheren Varianz zu kämpfen.
Betrachten wir als letztes Beispiel, um die Relevanz des Spielpensums zu verdeutlichen, noch einmal den Online-Spieler (5 BB/100 Winrate und 100 BB / 100 Standardabweichung) und schauen, wie wahrscheinlich es ist, dass er Verlust macht, je nachdem, wie viele Hände er spielt:
Hände | Wahrscheinlichkeit, Verlust zu machen |
4.000 | 38% |
8.000 | 33% |
20.000 | 24% |
40.000 | 16% |
80.000 | 8% |
200.000 | 1,3% |
400.000 | 0,1% |
Wenn sich also 100 dieser Spieler hinsetzen und jeweils nur 4.000 Hände spielen, würden gleich 38 von ihnen Verlust machen – obwohl allesamt gute Spieler wären.
Konklusion
Für Anfänger können diese Zahlen etwas irritierend wirken, sagen aber im Grunde Folgendes aus: Man setzt sich beim Online-Poker nicht ein paar Stunden pro Tag hin, spielt einen oder zwei Tische und macht dann regelmäßig Gewinn. Wer derartiges erwartet, wird mit Online-Poker unter Garantie nicht glücklich.
Wer ernsthaft mit Online-Cashgames Geld verdienen will, muss bereit sein, ein entsprechendes Pensum zu spielen. Ansonsten wird man über kurz oder lang an der Varianz scheitern.
Auch sollte man Down- und Up-Swings beim Online-Poker nicht überbewerten. Diese treten ständig auf und sind in der Regel wesentlich größer als man erwartet. Nur weil man 10 Buy-Ins in wenigen Stunden gewonnen hat, ist man noch lange kein zweite Vanessa Selbst. Nur weil man 10 Buy-Ins in wenigen Stunden versenkt hat, ist man noch lange kein katastrophaler Spieler oder wird betrogen.
Auch wer Online-Poker nur aus sportlichem Ehrgeiz auf niedrigen Limits spielt, muss sich darauf einstellen, dass es gut sein kann, dass er eine ganze Menge Ausdauer brauchen wird, um ein Limit konsistent zu schlagen.
Glücklicherweise kann die Varianz auch genauso gut nach oben ausschlagen und auch ein Anfänger kann zum Beispiel die Sunday Million gewinnen. Aber auf einen Lucky-Punch hoffen, ist eben doch was ganz anderes als ernsthaft Poker zu spielen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 12.01.2014.
Ich habe zum Thema Varianz und Poker mal ein Video gemacht:
https://www.youtube.com/watch?v=Nlv0oD_zTrY&t
Da ist auch alles dabei, was man wissen muss!