Nachdem ich während der vergangenen zehn Jahre praktisch ausschließlich in Kanada und den USA gespielt hatte, verschlug es mich kürzlich mehrmals nach Europa. Und wie finde ich die Pokerszene in den dortigen Casinos? Großartig, profitabel, immer eine Reise wert!
Lasst mich von meinem ersten Besuch in Aachen erzählen. Zehn Spieler saßen wir am Tisch, Hold’em No-Limit, die Blinds € 2/4. Mit nach oben unlimitierten Buy-ins beliefen sich die Stacks auf zwischen € 200 und deutlich über Tausend.
Bei meinem ersten Täuschversuch, ein Raise auf dreißig mit Suited Connectors, erlebte ich auch gleich die erste Überraschung: vier Caller (!!!). Was konnten die vier Leute in der Hand halten, um ein Raise aufs Siebeneinhalbfache des Big Blind zu callen? Ein Blatt kriegte ich zu sehen. Bevor ich die Call-Freudigkeit näher erläutere, möchte ich kurz erzählen wie die Hand weitergespielt wurde:
Bei einem Flop von A-7-7, ich verfügte über jeweils einen Backdoor-Flush- und Straight-Draw, wurde zweimal zu mir gecheckt. Achtzig Euro ließ ich mir einen Klauversuch noch kosten. Einer passte und Ali, ein junger Spieler mit schwarzem Haar und noch schwärzerem Schnurrbart, erhöhte, ohne lange zu zögern, aufs doppelte. Den beiden Nachfolgern kostete es offensichtlich ziemlich viel Überwindung zu passen.Nicht schlecht gespielt, dachte ich. Vermutlich hatte Ali meinen Bluff durchschaut und bemühte sich, vielleicht mit kleinem oder mittlerem Pocketpair, den Pot gleich hier zu kassieren. Bei einem Cold Call wäre, mit ziemlicher Sicherheit, noch zumindest einer mitgegangen.
Dass ich mich mit 8-9 auf kein weiteres Kräftemessen mehr einlassen konnte, ist klar. Als der Dealer Ali die Chips hinschob, zeigte dieser freiwillig und freudig sein Blatt: A-7, Full House! War das nicht wirklich nett von ihm, dass er uns alle weiteren Hoffnungen auf den Pot so rasch und ehrlich zunichte gemacht hatte? Seinen Call vor dem Flop erachtete er sicher auch als durchaus gerechtfertigt und wird es sich bestimmt nicht mehr abgewöhnen, auf sein Ass, den Kicker ignorierend, zu vertrauen.
Warum gehen diese Spieler so bereitwillig mit, auch wenn ihr Blatt zu Gegenteiligem raten würde? Nur wenige von ihnen haben wirklich Pokererfahrung. Ein Buch zu lesen? Zeitverschwendung! Das richtige Gefühl liegt im Bauch. Und so wie bei Roulette oder Black Jack gelegentlich auch einmal höher gesetzt wird, so gibt’s eben Raises am Pokertisch. Endlich geht’s um richtiges Geld, endlich wird ordentlich gezockt. Und die Chance auf so einen Pot lässt man sich ungern entgehen. Auch nicht mit Ass und miserablem Kicker, könnte doch schließlich A-7-7 auf den Tisch fallen.
Die Strategie wird ziemlich einfach: vor dem Flop selten Raisen, doch, der erstklassigen Odds wegen, oft callen. Zwar nicht mit Ass und unterdurchschnittlichem Kicker, doch jederzeit mit Connectors und One-Gappers. Die seltenen Gewinne bringen derart hohe Pots, dass sich die Preflop-Calls locker finanzieren lassen. Das unsinnige Weiterinvestieren, auf Unwahrscheinlichkeiten hoffend, überlassen wir dabei den spendenfreudigen Gegnern.
Dass Bluffs ziemlich sinnlos sind, zeigt sich schon daraus, dass extrem viele Spiele in Showdowns entschieden werden. Es könnte ja geblufft werden, also lohnt sich der Call auch mit dem kleinsten Paar – so mag der Zocker denken.
Oft wird darüber diskutiert, ob ein Tisch voller Fische wirklich so günstig ist. Bluffs sind fast ausgeschlossen und Bad Beats an der Tagesordnung. Zwar ist dies richtig, und wer sich darauf fixiert, auf erstklassige Hole-Cards zu warten, mag so manchen Abend mit Verlust abschließen, wenn seine Rockets oder Kings immer wieder durch zwei kleine Paare oder Straights geschlagen werden.
Die leichtfertigen Calls machen derartige Tische aber doppelt profitabel: das Potvolumen erlaubt viele Spekulationen auf Anfangskarten mit beschränktem Verbesserungspotential. Was aber noch mehr Profit bringt sind die Calls in Folge! Dazu habe ich auch einige beeindruckende Geschichten zu erzählen. Doch das beim nächsten Mal.
Euer
Alex Lauzon
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 27.10.2007.