Weiter geht es mit dem Logbuch unseres tapferen Helden Kurt, der sich am zweiten Tag des 1.500er-WSOP-Events gut schlägt. Er ist schon im Geld und jetzt geht es um das Vorwärtskommen. Es ist hart, verdammt hart…
Viel Spaß mit seinem Bericht:
Als ich zum Tisch zurückkehre, merke ich, dass ich ziemlich dehydriert bin. Das geht gar nicht! Ich schaue auf die Anzeigetafel und sehe, dass ca. 30 Spieler rausfliegen müssen, damit es einen signifikanten Sprung im Geld gibt. Das ist viel. Ich versuche, es zu vergessen. Beim Hinsetzen kommt der Typ mit den Getränken und ich hole mir mehrere Wasserflaschen und es geht los.
Ein neuer Dealer und ich bin in Late-Position. Ich sehe einige Folds, kratze mich im Nacken und blicke kurz zu dem PokerStars-Pro auf der rechten Seite. Er sitzt kerzengerade da, den Kopf nach vorne, den linken Arm auf dem Tisch. Ich frage den Dealer: “Hat Seat 10 Karten?” Der Dealer ignoriert mich.
Das kann doch nicht wahr sein. Ich frage nochmal: “Hat Seat 10 Karten?”. Der Dealer sagt: “Ja, und Sie sind dran”. Ich schaue in meine Karten und Pocket-Queens lachen. Ein Big-Stack in den Blinds schiebt all-in. Ich calle. Er hat Pocket-Neunen und meine Queens halten. Ich verdopple mich auf 85k. Jetzt hab ich ein paar Chips zum spielen. Großartig! Und wieder zurück zum Zen-Fold-Modus…
Möglicherweise denkt ihr, ich lasse in meinem Bericht einige Hände aus. Mach ich aber nicht. Zu diesem Zeitpunkt habe ich in dem Turnier ca. 15 Mal “geVPIPt”. Wenn es so aussieht, als hätte ich nur Monster gespielt, ist es, weil ich halt nur Monster gespielt habe. Ja, ich habe nur Monster gespielt.
Ich habe Wasser getrunken weil ich dehydriert war. Nach 20 Minuten muss ich dann leider pissen wie ein Pferd. Die Pause ist aber erst in über eineinhalb Stunden. Puhh, das geht nicht. Was soll ich machen? Ich muss offensichtlich einige Hände aussetzen. Als Raucher bin ich das aber gewohnt. Ich verpasse also einige Hände in Early-Position und bin pünktlich zur Big-Blind wieder da. Mit einem Deep-Stack in einem Turnier ist selbst AA ein ziemlich schlechter Spot. So lange ich nicht short bin, sollte das also kein Problem sein. Ich sollte allerdings pissen gehen, solange die Blinds noch nicht hochgegangen sind. 40 Minuten nach Beginn des Levels such ich mir einen “Spot” und gehe rauchen und pissen. Ich pisse beim rauchen. Ich komme zurück und lasse mich in UTG plumpsen. Ich mag das. Es wird funktionieren.
Ich folde mich so durch bis ein neuer Dealer an den Tisch kommt. Schon in seiner ersten Hand frage ich wieder “Hat Seat 10 Karten?”. Diesmal hat er es drauf. Er sagt zu mir: “Nein, die Action ist bei Dir. In Zukunft schau mich einfach an und wenn ich meinen Kopf rechts halte (er schaut nach rechts) ist er dran und wenn ich zu dir schaue (er schaut zu mir) bist Du dran.” Ich glaube, ich habe mich verliebt. Die nächste halbe Stunde quatsche ich mit dem Dealer während ich folde. Er ist aus dem Horseshoe in New Orleans und ich frage ihn über die dortige Pokerszene aus und den Hurricane Katrina. Dann kommt der nächste Dealer, was mich ziemlich deprimiert.
Der PokerStars-Typ sitzt schon wieder kerzengerade da, den Kopf nach vorne und den linken Arm auf dem Tisch. Ich frage wieder “Hat Seat 10 Karten?”. Der Dealer guckt hin und sagt: “Ähhhhhhhhh, ich glaube ähhhhhh ….. nein, Sie sind dran.” Ich gucke in meine Karten und folde. Eine Minute später sitzt der Typ schon wieder kerzengerade da, den Kopf nach vorne und den linken Arm auf dem Tisch. Ich frage wieder: “Hat Seat 10 Karten?”. Der Dealer sagt: “Ähhhhhhhhh, ich glaube ähhhhhh ….. ja, er ist dran.” OK, passive-aggressiv hat nicht geklappt. Die Dealer helfen mir nicht. Ich beginne also, den PokerStars-Pro richtig zu nerven.
“Mann, du kannst deine Karten nicht jedes Mal so verdecken. Sie müssen SICHTBAR auf dem Tisch liegen.” Er sitzt da wieder in der gleichen statuesken Pose, den Kopf nach vorne und den linken Arm auf dem Tisch. Ich werde richtig sauer. Ich spüre den Ärger in mir aufkommen und langsam aber sicher fühlt es sich an wie Tilt. Ich betreibe also wieder Zen und akzeptiere mein Schicksal. Er sieht mit wie ohne Karten exakt gleich aus. Folglich muss ich mir den Typ eben anschauen, BEVOR er an der Reihe ist. Das heißt, ich sitze ab jetzt nach vorne gelehnt da, den Kopf ständig 90 Grad in seine Richtung gedreht und kann mich nur wenige Sekunden in jeder Hand von dieser Pose erholen. Es ist seltsam und ungewohnt. Aber ich bin eine Maschine.
Ich folde wieder 40 Minuten bis die folgende Situation entsteht: ein Internet-Spieler spielt aus Middle-Position an. Ein losse-aggressiver Typ 3bettet auf 18k aus Late-Position. Der PokerStars-Pro foldet. Ich schaue auf Ass-König. Beide haben mehr Chips als ich. Ich habe hier nicht viel Spielraum für Manöver. Ein guter Spot.
Ich schiebe all-in. Ein paar Meter von mir hängt ein Fernseher. Ich weiß nicht, ob ich einen Reverse-Tell mache oder ob ich einen Call will. Jedenfalls friere ich ein und schaue Fernsehen. Der Internet-Spieler snap-foldet. Der LAG geht in den Tank. Der Typ ist wirklich sehr loose und sehr aggressiv. Seine steal-range ist groß aber da er jetzt so lange überlegt, muss er schon was haben. Ich höre ihn mit dem Chips klappern, aber ich sitze nur da und schaue Fernsehen. “Na gut, ich calle”, höre ich. Ich decke meine Hand auf und er zeigt Ace-Jack. Sehr gut! Es läuft. Kein Jack, kein Flush. Mein Ace-King hält und ich verdopple mich auf 170k. Jetzt spüre ich den Flow und folde wieder ein wenig.
Es kommt ein neuer Spieler an den Tisch, den ich nicht richtig einschätzen kann. Nennen wir ihn vorerst “Longhair”. Longhair ist kein tight-aggressiver Spieler, er ist zu loose. Aber er ist auch kein LAG. Er verwickelt sich in marginale Hände in marginalen Spots. Ohne zu weit zu gehen, würd ich ihn einen schlichtweg einen schlechten Spieler nennen. Es gibt aber anscheinend doch eine Methode in seinem Wahnsinn und ich erkenne sie nicht.
Longhair hat sich einen netten Stack erspielt, bekommt dann aber einen Cooler und ist fast busto. Er hat noch 17k übrig und die Blinds sind bei 1,2k/1,4k. Er pusht in Early-Position und alle folden zu mir auf dem Button. Ich denke nicht, dass er tiltet aber mit einer derart niedrigen M muss er eben Moves machen. Ich kann also auch mit nicht ganz so tollen Händen callen. Ich habe King-Queen. Ich schaue nach links. Die Blinds haben ihre Karten noch nicht angeschaut, ich habe keine Informationen. Jeder Spieler, der rausfliegt, bringt mich dem Geldsprung näher und ich sehe es als meine Pflicht an, als Big-Stack die Shorties rauszukegeln. Die Blinds folden nach meinem Call und ich zeige K Q . Er hat A 7 . Das Board brickt und sein Ace-High gewinnt. Mist.
Ich folde weiter. Ungefähr eine halbe Stunde später kommt wieder ein Spot. Der LAG-Typ spielt aus Middle-Position an. Er ist schon sehr LAG. Die anderen folden zu mir und ich blicke in Pocket-Queens. Ich weiß nicht, ob ich damit meinen gesamten Stack spielen soll. Ich WEIß aber, dass ich auch nicht seine Range schmählern möchte und dass der Typ mir post-flop DEFINITIV Chips rüberschieben wird. Ich habe Position. Mir macht es nichts aus, zwei Drittel der Flops zu folden und ich calle nur. Ein guter Spot.
Die Small-Blind foldet und dann geht mein schöner Plan zum Teufel. Die Big-Blind foldet nicht. Sie denkt nach und geht all-in. Der LAG snap-foldet. Ich frage, wie viele Chips er hat und denke ernsthaft nach. Die Big-Blind ist Joe, ein Ende dreißigjähriger Asiate. Er ist ein ziemlich klarer TAG. Seine Range ist sehr stark. Es ist aber auch ein guter Squeeze-Spot für ihn und ich denke, er weiß das. Ich habe Damen und Damen sind gut. Der Dealer sagt, er hat 80k. Ich sage dem Dealer, dass ich calle und decke meine Damen auf.
Joe zeigt Ace-King-offsuit. Ein Typ am anderen Ende des Tisches sagt “classic”. Wenigstens muss ich nicht auf den River warten, bis meine Seele zerstört wird. Schon bevor der Dealer den Flop legt, sehe ich das Ass in seinen Händen. Ich fange an, Chips zu zählen und schiebe sie zu Joe rüber.
Ich folde und folde.
Ich habe ungefähr 60k übrig. Ich bin nicht in der Gefahrenzone oder so. Ich habe noch Luft zum Atmen. Trotzdem wird es langsam eng und ich bin auf dem Weg zum Short-Stack. Das ist OK, ich kann mit einem Short-Stack umgehen. Ich berechne meine M neu und denke viel über Ranges nach, bevor ich meine Hand anschaue und – folde. Willkommen zurück im Grind-Modus.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich fünf Stunden lang meinen Kopf nach rechts gedreht. Es nervt und es tut weh. Ich merke, wie sich meine Muskeln verkrampfen. (Mir tut es schon weh, wenn ich hier sitze und jetzt darüber schreibe.) Der PokerStars-Pro kassiert einen Bad-Beat und verliert fast seinen halben Stack. Er ist ein Roboter, sitzt kerzengerade da, den Kopf nach vorne und den linken Arm auf dem Tisch. Ich bemerke aber auch den Geruch des Tilts aus seiner Richtung. Er spielt zwar solide aber zu viele Hände. Er muss auf dem Flop rausgehen. Er muss auf dem Turn rausgehen. Es wird langsam warm. Am Ende ist er zu short, um überhaupt noch post-flop zu spielen und er muss pushen. Er bekommt einen Caller. Ein Flip. Bitte, Dealer…
JAAAA, der PokerStars-Pro ist aus dem Turnier! Ich glaube, darüber habe ich mich mehr gefreut als darüber, im Geld zu sein. Es war keine Schadenfreude im Spiel, es ging mir dabei eigentlich nur um meinen geplagten Nacken. Ich folde weiter.
Ich folde für einige Stunden. Dann kurz vor der Dinner-Break bekomme ich ein paar Hände und stehle die Blinds gleich dreimal in einem Orbit. Einmal habe ich einen Kunden, er foldet aber auf meine Cbet auf dem Flop. Ich habe 77k und sie kündigen die 60-minütige Dinner-Break an.
Fortsetzung morgen.
Hier der Link zum Thread bei twoplustwo.com
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 31.07.2010.