Manchmal betrachten wir Dinge, die eigentlich zufällig sein sollten und stellen fest: Das kann so nicht sein, hier stimmt etwas nicht. Unser intuitives Verständnis von Zufälligkeit widerspricht dem, was wir sehen und wir stellen die Zufälligkeit des Gesehenen in Frage.
Dieser Artikel wird allerdings aufzeigen, dass unser Verständnis von Zufall nur bis zu einem gewissen Grad reicht und die menschliche Intuition mitnichten in der Lage ist, Zufall immer korrekt einzuschätzen.
Wiederholungen sind für uns nicht zufällig
Wenn sich Dinge zu oft wiederholen, erscheinen sie uns nicht zufällig. Werfe ich eine Münze vier Mal und sie landet vier Mal auf dem Kopf, überprüfe ich die Münze, ob sie tatsächlich eine Zahl-Seite hat. Ebenso beim Kartenspielen. Ziehe ich zehn Karten aus einem frisch gemischten Deck und habe danach sieben Pik-Karten in der Hand, schaue ich nach, ob mit dem Deck alles stimmt.
Wir haben ein intuitives Verständnis dafür, was zufällig ist und was nicht. Aber diese Intuition ist leider nicht sonderlich verlässlich. Tatsächlich erwarten wir von an und für sich zufälligen Dingen, dass sie sich möglichst ständig abwechseln. Zum Beispiel erscheint uns die Münzwurf-Folge Zahl-Kopf-Zahl-Kopf-Kopf-Zahl wesentlich zufälliger als die Folge Zahl-Zahl-Zahl-Kopf-Kopf-Kopf. Allerdings sind beide Folgen gleich wahrscheinlich.
Ein inzwischen sehr altes aber verblüffend einfaches Experiment von Gottfried Noether verdeutlicht diese Aversion gegen Wiederholungen. Er forderte 450 Probanden auf, eine zufällige Reihe von Ziffern (1, 2 oder 3) aufzuschreiben. Danach nahm er die 450 Zahlenreihen und untersuchte die letzten beiden Ziffern.
Bei tatsächlich zufälligen Zahlenreihen sollte jede der neun möglichen Ziffernkombinationen (11, 12, 13, 21, 22, 23, 31, 32, 33) in etwa mit der gleichen Häufigkeit – nämlich rund 11,1 Prozent – auftreten. Insbesondere sollten die Kombinationen 11, 22 und 33 zusammen in rund 33,3 Prozent der Fälle auftreten.
Bei den von den Probanden produzierten Zahlenfolgen tauchten diese drei Kombinationen (11, 22 und 33) zusammen allerdings nur in rund 19 Prozent der Fälle auf.
Sprich: Die Probanden, die aufgefordert waren, zufällig Ziffern zu schreiben, schrieben nicht sonderlich zufällig. Kombinationen bei denen sich Ziffern wiederholten, kamen viel zu selten vor.
Unser intuitives Verständnis von Zufälligkeit versagt relativ schnell, wenn wir mit tatsächlicher Zufälligkeit konfrontiert sind. Wir erwarten zu viel Abwechslung in den Ergebnissen und haben eine zu große intuitive Ablehnung gegen Wiederholungen und Serien beim Zufall.
Wenn Münzwürfe nicht zufällig genug erscheinen
Fiona McDonald und Ben Newell betrachteten 2009 in einem kleinen Experiment, wie Probanden die Zufälligkeit von Münzwürfen einschätzen (» When a coin toss does not appear random, englisch ) und kamen zu dem Ergebnis, dass tatsächlich zufällige Münzwürfe weniger zufällig eingeschätzt wurden als Münzwürfe, die ein wenig manipuliert wurden.
Einer Gruppe von 241 Studenten setzte man verschiedene computergenerierte Münzwurfresultate vor und bat sie, die Zufälligkeit der Sequenzen auf einer Skala von 1 bis 7 einzuschätzen.
In etwa so sahen die Sequenzen aus (X: Kopf, O: Zahl):
A: X X X X X O O X X X X O O O O O O O O X X
B: O X O O X O X O X X O O X X X X X X O O O
C: O X X O X X O O X O X O X O X O X O X O O
Alle Sequenzen hatten in etwa die selbe Anzahl von Kopf und Zahl, entsprachen also in der Frequenz tatsächlich zufälligen Münzwürfen. Der Clou war, dass die Alternationsrate zwischen Kopf und Zahl unterschiedlich war. In obiger Sequenz A wechseln sich Kopf und Zahl in 20% der Fälle ab, in Sequenz B in 50% der Fälle und in Sequenz C in 80% der Fälle.
Bei einem tatsächlich zufälligen Münzwurf wechseln sich auf lange Sicht Kopf und Zahl in 50% der Fälle ab. Sprich: obige Sequenz B kommt einem zufälligen Münzwurf hinsichtlich Frequenz und Alternationsrate am nächsten.
Die Probanden schätzen im Schnitt jedoch Münzwurfsequenzen mit einer Alternationsrate von 61 Prozent als die zufälligsten ein.
Die menschliche Wahrnehmung nimmt Sequenzen mit mehreren Wiederholungen des selben Ereignisses als weniger zufällig wahr, als sie es tatsächlich sind. In obiger Sequenz B zum Beispiel dürfte für Viele die darin vorkommende sechsfache Wiederholung von Kopf (X) intuitiv der Zufälligkeit widersprechen.
Sequenzen die häufiger alternierten, als bei einem tatsächlich zufälligen Münzwurf zu erwarten wäre, wurden in der Regel als zufälliger (oder zumindest ebenso zufällig) eingestuft.
Ähnliche Studien zeigten schon vor langer Zeit ein vergleichbares Ergebnis: Sequenzen die häufiger alternieren werden als zufälliger wahrgenommen als tatsächlich zufällige Sequenzen.
Serien und Strähnen passen nicht in unser Konzept von Zufälligkeit und deswegen lehnen wir intuitiv die Zufälligkeit von Ereignissen ab, die zu viele solcher Serien enthalten. Dabei macht unsere Intuition allerdings den Fehler, bei der Ablehnung ein Stück zu weit zu gehen. Auch tatsächlich zufällige 50/50–Ereignisse produzieren mit einer hohen Wahrscheinlichkeit beachtliche Serien des selben Ergebnisses. Wir sprechen diesen jedoch die Zufälligkeit ab, da sie nicht zufällig genug aussehen.
Serien bei Münzwürfen
Betrachten wir das Experiment des 21-fachen Münzwurfes und untersuchen die Sequenzen auf Wiederholungen des Ereignisses Kopf. Wenn wir 21 Mal eine Münze werfen, werden wir irgendwann während dieser 21 Würfe mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent mindestens drei Mal Kopf hintereinander werfen. Aber auch mehr Wiederholungen sind vergleichsweise wahrscheinlich. Mindestens 6 Mal hintereinander Kopf beim 21-maligen Münzwurf sehen wir mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin 13 Prozent.
Die sind die einzelnen Wahrscheinlichkeit für Serien beim 21-fachen Münzwurf:
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
mindestens 3 Wiederholungen von Kopf | 80% |
mindestens 4 Wiederholungen von Kopf | 49% |
mindestens 5 Wiederholungen von Kopf | 26% |
mindestens 6 Wiederholungen von Kopf | 13% |
mindestens 7 Wiederholungen von Kopf | 6% |
mindestens 8 Wiederholungen von Kopf | 3% |
mindestens 9 Wiederholungen von Kopf | 1,5% |
Serien beim Poker
Schauen wir uns ein paar Serien beim Poker an und betrachten, wie wahrscheinlich diese sind. Dazu nehmen wir ein paar Standard-Ereignisse beim Hold’em (Sets treffen, Flush-Draws treffen, Coinflips gewinnen) und wiederholen diese 21 Mal. Die Zahl 21 ist arbiträr gewählt. Je mehr Wiederholungen man betrachtet, desto wahrscheinlicher werden einzelne Serien.
Sets treffen
Die Wahrscheinlichkeit, mit einem Paar ein Set oder besser beim Hold’em zu treffen, beträgt 11,76 Prozent. Wenn man 21 Mal mit einem Paar den Flop sieht, wird man mit folgenden Wahrscheinlichkeiten Serien sehen:
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
Mindestens 3 Mal in Folge ein Set treffen | 3% |
Mindestens 4 Mal in Folge ein Set treffen | 0,4% |
Mindestens 5 Mal in Folge ein Set treffen | 0,05% |
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
Mindestens 3 Mal in Folge kein Set treffen | 100% |
Mindestens 4 Mal in Folge kein Set treffen | 100% |
Mindestens 5 Mal in Folge kein Set treffen | 99% |
Mindestens 6 Mal in Folge kein Set treffen | 96% |
Mindestens 7 Mal in Folge kein Set treffen | 91% |
Mindestens 8 Mal in Folge kein Set treffen | 90% |
Flush-Draws treffen
Die Wahrscheinlichkeit, einen Flushdraw vom Flop auf den River zu treffen, beträgt rund 35 Prozent. Betrachtet man 21 Flush-Draws hintereinander, wird man mit folgenden Wahrscheinlichkeiten Serien sehen:
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
Mindestens 3 Mal in Folge einen Flushdraw treffen | 47% |
Mindestens 4 Mal in Folge einen Flushdraw treffen | 17% |
Mindestens 5 Mal in Folge einen Flushdraw treffen | 6% |
Mindestens 6 Mal in Folge einen Flushdraw treffen | 2% |
Mindestens 7 Mal in Folge einen Flushdraw treffen | 0,6% |
Mindestens 8 Mal in Folge einen Flushdraw treffen | 0,2% |
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
Mindestens 3 Mal in Folge einen Flushdraw verfehlen | 97% |
Mindestens 4 Mal in Folge einen Flushdraw verfehlen | 84% |
Mindestens 5 Mal in Folge einen Flushdraw verfehlen | 63% |
Mindestens 6 Mal in Folge einen Flushdraw verfehlen | 42% |
Mindestens 7 Mal in Folge einen Flushdraw verfehlen | 35% |
Mindestens 8 Mal in Folge einen Flushdraw verfehlen | 27% |
Coinflips gewinnen
Bei den Coinflips betrachten wir Damen gegen Ass-König. Auch wenn es “Coinflip” heißt und mehr oder weniger 50/50 ist, haben die Damen hier einen signifikanten Vorteil. Tatsächlich beträgt die Gewinnwahrscheinlichkeit rund 56 Prozent. Schaut man sich 21 solcher Damen-gegen-Ass-König-Flips an, wird man mit folgenden Wahrscheinlichkeiten Serien sehen:
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
Mindestens 3 Mal in Folge einen Coinflip gewinnen | 90% |
Mindestens 4 Mal in Folge einen Coinflip gewinnen | 65% |
Mindestens 5 Mal in Folge einen Coinflip gewinnen | 39% |
Mindestens 6 Mal in Folge einen Coinflip gewinnen | 23% |
Mindestens 7 Mal in Folge einen Coinflip gewinnen | 13% |
Mindestens 8 Mal in Folge einen Coinflip gewinnen | 7% |
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
Mindestens 3 Mal in Folge einen Coinflip verlieren | 66% |
Mindestens 4 Mal in Folge einen Coinflip verlieren | 35% |
Mindestens 5 Mal in Folge einen Coinflip verlieren | 15% |
Mindestens 6 Mal in Folge einen Coinflip verlieren | 7% |
Mindestens 7 Mal in Folge einen Coinflip verlieren | 3% |
Mindestens 8 Mal in Folge einen Coinflip verlieren | 1,5% |
Mit Assen gewinnen
Zum Abschluss nehmen wir uns Asse vor. Ist man mit Assen vor dem Flop gegen eine zufällige Hand all-in, hat man eine Gewinnwahrscheinlichkeit von rund 85 Prozent. Schaut man sich 21 solcher Ass-Preflop-Allins in Folge an, wird man mit folgenden Wahrscheinlichkeiten Serien sehen:
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
Mindestens 3 Mal in Folge einen All-In mit Assen gewinnen | 100% |
Mindestens 4 Mal in Folge einen All-In mit Assen gewinnen | 100% |
Mindestens 5 Mal in Folge einen All-In mit Assen gewinnen | 97% |
Mindestens 6 Mal in Folge einen All-In mit Assen gewinnen | 92% |
Mindestens 7 Mal in Folge einen All-In mit Assen gewinnen | 85% |
Mindestens 8 Mal in Folge einen All-In mit Assen gewinnen | 73% |
Ereignis | Wahrscheinlichkeit |
Mindestens 3 Mal in Folge einen All-In mit Assen verlieren | 6% |
Mindestens 4 Mal in Folge einen All-In mit Assen verlieren | 0,7% |
Mindestens 5 Mal in Folge einen All-In mit Assen verlieren | 0,02% |
Es zeigt sich: Auch beim Poker sind intuitiv merkwürdig aussehende Serien und Wiederholungen recht wahrscheinlich. Nur weil uns Ergebnisse nicht zufällig genug vorkommen, heißt das noch nicht, dass sie nicht zufällig sind.
Serien (oder von Doyle Brunson tituliert “Rushes”) kommen beim Poker ganz automatisch vor, haben aber nicht notwendig mit göttlicher Intervention oder Manipulation zu tun, sondern sind ganz regulärer Teil des sich abspielenden Zufalls. Es liegt an unserer etwas fehlgeleiteten Intuition, solchen Serien die Zufälligkeit abzusprechen.
» When a coin toss does not appear random, englisch
» Mental Random Numbers, englisch
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.