Aufgrund der Artikel, die ich zuletzt publiziert habe, könnten meine Leser den Eindruck gewonnen haben, dass ich alle intelligenten Turnierspieler für Manicas halte, die permanent stehlen und restealen, bluffen und rebluffen und grenzwertige Pot-Odds-Calls mit Händen machen, die dem ungeübten Auge als Müll erscheinen. Das ist nicht völlig falsch: die steigenden Blinds und Antes sowie die Furcht des Durchschnittsspieler, seine letzten Chips zu verlieren, belohnen eine aggressive Spielweise.
Aber beim Turnierpoker geht es um mehr, als Chips mit guten und schlechten Händen zu setzen und darauf zu hoffen, dass der Gegner als Erster aufgibt. Die besten Spieler sind in der Lage, sowohl zu erkennen, wann die gegnerische Hand schlechter ist als sie scheint, aber auch, wann sie vermutlich besser ist. Sie hüten sich auch vor Situationen, in denen sie mit schwachen Händen um eine Menge Chips spielen müssten.
In diesem Artikel möchte ich erörtern, wie die Stackgrößen und Einsatzhöhen wertvolle Hinweise für die Handanalyse geben können, die starke Folds ermöglichen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die meisten Informationen, die man zu Beginn bekommt, nur dafür ausreichen, unbedeutende Entscheidungen zu treffen. Die Fähigkeit, einige Hände mehr als ein schwächerer Spieler zu folden, kann aber einen großen Unterschied ausmachen, da diese Situationen in der Regel meist gegen Ende eines Turniers auftreten, wenn selbst kleine Vorteile einen enormen finanziellen Unterschied bedeuten.
Bets, die größer sind als sie wirken
Hat ein Spieler noch einen Stack, der im Verhältnis zur Potgröße ausreichend klein ist, dass er mit beliebigen Karten aufgrund der Pot Odds callen muss, wird er als Pot Committed bezeichnet. In No-Limit Hold’em-Turnieren ist es selten korrekt, vor dem Flop in einer Heads-Up-Situation zu folden, wenn man Pot Odds von mehr als 2 zu 1 bekommt und es um alle eigenen oder alle Chips des Gegners geht. Selbst gegen ein sehr starkes Handspektrum (KK, AA, AKo, AKs) besitzt eine Hand wie 9x 8x suited 31,7 Prozent Equity, zudem ist es fast unmöglich, einen Gegner auf ein solch starkes Spektrum zu setzen. Als Faustregel berücksichtige ich deshalb in allen Argumentationen und Beispielen, dass jeder Spieler, der die Action vor dem Flop abschließt, mit Pot Odds von mehr als 2 zu 1 bei einem All-In-Call Pot Committed ist.
Daraus folgt, dass einige Calls oder Raises größer sind als sie wirken. Ein Spieler, der mit 150 Chips eröffnet, aber nur noch 300 Chips übrig hat, setzt effektiv 450 Chips, und auf dieser Basis müssen Sie auch sein Handspektrum abschätzen und die Pot Odds berechnen. Anders gesagt wird ein kompetenter Gegner mit einem stärkeren und tighteren Handspektrum auf 150 Chips raisen, wenn er weiß, dass er im Grunde die restlichen 300 Chips auch setzen muss. Genauso sollten Sie nach einem Call der 150 Chips einen späteren Fold komplett ausschließen. Aus diesem Grund sollten Sie nur Hände spielen, mit denen Sie 450 Chips (und nicht 150 Chips) zu investieren bereit sind.
Es geht jedoch nicht nur darum, ob jemand Pot Committed ist. Ein Spieler mit 1.000 Chips hat sicherlich die Möglichkeit, nach einem Raise auf 150 Chips angesichts eines Reraise zu folden, aber er sollte sich besser nicht in diese Situation bringen. Der Verlust von 15 Prozent seines Stacks, der schon klein ist, schränkt die Möglichkeiten dieses Spielers deutlich ein. Ohne diese Chips kann er eventuell nicht mehr reraisen oder eine Continuation Bet bringen und gleichzeitig ernst zu nehmende Fold Equity besitzen.
All dies läuft daraus hinaus, dass ein Spieler mit 1.000 Chips seltener auf einen Reraise foldet als ein Spieler mit 5.000 Chips. Da ein Spieler mit einem kleineren Stack mehr Raise-Hände bis zum Ende spielen wird, benötigt er ein stärkeres und tighteres Spektrum für einen Raise und Sie ein besseres Blatt, um sich gegen ihn am Pot zu beteiligen.
Zu guter Letzt müssen auch die Stackgrößen der Spieler berücksichtigt werden, die noch an der Reihe sind. Bevor ein starker Turnierspieler vor dem Flop raist, hat er sich seine Reaktion auf einen Call oder Reraise überlegt. Zwingt ihn sein Raise dazu, einen Reraise diverser Short Stacks hinter ihm zu callen, müssen Sie davon ausgehen, dass seine Hände stärker als gewöhnlich ist, und sich entsprechend anpassen.
Einige Beispiele
Sie spielen in einem Turnier mit neun Spielern und Blinds von 25/50. Ein starker, aggressiver Spieler in UTG+1 eröffnet mit einem Raise auf 150, wonach er noch 600 Chips übrig hat. Alle Spieler folden bis zu Ihnen im Small Blind und sie halten Ax Qx offsuit. Ich empfehle einen Fold.
Ein Fold mit Ax Qx ? Aber er ist doch ein aggressiver Spieler und könnte stehlen!
Wie ich erwähnte, ist er nicht nur aggressiv, sondern auch stark und gute Spieler investieren selten 20 Prozent ihres Stacks, ohne größere Action aushalten zu können. Es ist durchaus vernünftig, sein Handspektrum bei Ax Qx offsuit+, Ax Jx suited+, 8x 8x + anzusiedeln und anzunehmen, dass er keine dieser Hände vor dem Flop foldet. Da Ihre Ax Qx weniger als 40 Prozent Equity gegen sein Handspektrum besitzen, ist Ihr bester Spielzug ein Fold.
Eine ähnliche Situation tritt auf, wenn der gleiche Spieler in UTG+1 mit 2.000 Chips auf 150 raist und noch 4 bis 5 Spieler am Zug sind, die 500 Chips oder weniger haben. Diese Spieler sind in einer verzweifelten Lage und gehen womöglich mit einem recht breiten Spektrum gegen einen Raiser in früher Position All-In. Daher muss einem starken Spieler klar sein, dass einer dieser Short Stacks mit einer halbwegs guten Hand aufwachen könnte und er eher um 500 als 150 Chips spielen wird. Erneut sollten Sie vorsichtig sein und vermutlich Hände wie Ax Qx folden, obwohl Sie diesen Spieler im Allgemeinen für loose und aggressiv halten.
Wenn Sie gecallt oder gereraist werden
Diese Analyse kann Ihnen auch bei der Handanalyse weiterhelfen, wenn Ihr Eröffnungs-Raise gecallt oder gereraist wird. Nehmen wir an, Sie raisen in Middle Position mit 9x 8x suited bei Blinds von 100/200 auf 600 Chips. Der Button callt Ihren Raise und hat danach noch 2.000 Chips übrig.
Ihre Alarmglocken sollten schrillen. Zwar hat Ihr Gegner nur 600 Chips gesetzt, aber in Wirklichkeit ist er mit 2.600 Pot Committed und muss deshalb ein deutlich stärkeres Handspektrum haben als mit einem größeren Stack. Kein kompetenter Spieler investiert ohne eine starke Hand vor dem Flop mehr als 20 Prozent seines Stacks und der Umstand, dass der Button mit seinem Call freiwillig auf Fold Equity verzichtet hat, schürt ebenfalls Argwohn. Sofern ich diesen Spieler nicht aus gutem Grund für schwächer halte, würde ich keine Continuation Bet bringen und vermutlich sogar mit Top Pair checken und folden.
Nach einem Reraise müssen Sie berücksichtigen, welche Pot Odds sich Ihr Gegner gibt, wenn Sie ihn All-In setzen. Angenommen Sie sind im Cut-Off und Sie kennen den Spieler auf dem Button recht gut. Sie begegnen sich regelmäßig in Online-Turnieren und jeder von Ihnen kennt den anderen als starken Turnierspieler.
Bei Blinds von 250/500 raisen Sie mit Ax Tx offsuit auf 1.500 und der Button reraist auf 4.500. Dies ist eine schwierige Situation, weil der Button so mit Ax Kx und hohen Paaren spielen würde, in Situationen wie dieser aber auch zu einem Resteal fähig wäre. Ax Tx liegt zwar im oberen Drittel des Handspektrums für einen Raise aus dem Cut-Off, gehört aber bei weitem nicht zu den besten Händen.
Das Treffen der richtigen Entscheidung in dieser Situation ist schwierig, daher müssen Sie alle vorhandenen Informationen zu Hilfe nehmen. Dazu gehört auch die tatsächliche Anzahl von Chips, die Ihr Gegner investiert. Hat einer von Ihnen nur 12.000 Chips, hält er deutlich wahrscheinlicher eine starke Hand, als wenn Sie 16.000 Chips oder mehr haben.
Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass er Pot Commited ist, wenn Sie ihn mit 12.000 Chips All-In setzen, da er bessere Pot Odds als 2 zu 1 bekommt, wenn er in einem Pot mit 17.250 noch 7.500 callen muss. Gehen Sie dagegen mit 16.000 All-In, kann er noch folden, da er bei einem Call 11.500 Chips in einen Pot mit 21.250 Chips setzen muss und weniger als 2 zu 1 Pot Odds bekommt. Sind die Stacks kleiner, riskiert er im Grunde 12.000 Chips, um einen Pot mit 2.250 Chips gewinnen, während er bei den größeren Stacks nur 4.500 riskiert, weil er nach einem All-In von Ihnen noch folden kann.
In letztgenannter Situation muss er deutlich seltener erfolgreich sein, um profitabel abzuschneiden, und kann deshalb mit einem größeren Handspektrum so spielen. Als Konsequenz sollten Sie Ax Tx bei kleineren Stacks eher folden, bei größeren dagegen eher All-In gehen.
Fazit
Diese Analyse illustriert die Bedeutung von Faktoren wie Stackgrößen und dem vermutlichen weiteren Verlauf der Hand, bevor man seine Entscheidung vor dem Flop trifft. Es stimmt bei No-Limit Hold’em generell, dass die Entscheidung vor dem Flop, ob man eine Hand spielt, eine der wichtigsten ist. Dies gilt aber bei Turnieren noch viel mehr, weil die kleinen Stacks dafür sorgen, dass die meiste Action vor dem Flop stattfindet. Wählen Sie Ihre Hände in schwierigen Situationen besser aus als Ihre Gegner, kann sich dies unter dem Strich vor allem am Ende eines Turniers sehr stark auswirken, wenn selbst kleine Fehler sehr teuer sein können.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 13.03.2009.