Vor vielen Jahren, 1975, verließ ich mein Zuhause an der Virginia Tech und begann, als Statistiker für das United States Census Bureau zu arbeiten. Dort fand ich mich in einem Büro mit mehreren gut ausgebildeten Statistikern wieder. Es lag immer ein statistisches Journal herum und es gab immer einen Artikel zu lesen.
Nachdem ich dort ein paar Monate gearbeitet hatte, brachte mir mein Vorgesetzter einen aktuellen Artikel, den bereits andere ziemlich interessant fanden. Leider erinnere ich weder den Titel, noch den Autor, noch das Journal, in dem er zu finden war. Ich entschuldige mich bei diesem unbekannten Autor, weil ich ihn nicht gebührend würdigen kann. In dem Text ging es um eine mathematische Definition von Humor. Ich bin davon überzeugt, Tilt folgt den gleichen Mustern, mit einem großen Unterschied.
Um das folgende zu verstehen, benötigen wir aber zuerst einmal eine Definition einer stetigen Funktion und einer Unstetigkeitsstelle. Wir verwenden diese sehr einfache (vereinfachte) Definition:
Eine stetige Funktion ist eine Linie oder Kurve, die man auf einem Blatt Papier von links nach rechts zeichnen kann, ohne den Stift abzusetzen.
Mit anderen Worten, sie wird wie eine Linie, aber nicht unbedingt eine Gerade, aussehen, die auf der linken Seite des Papiers beginnt und auf der rechten Seite aufhört. Wenn es andererseits notwendig ist, den Stift abzusetzen und an einer anderen Stelle weiterzuzeichnen, so dass es eine Lücke gibt, dann ist das eine Unstetigkeitsstelle. Die Funktion ist an diesem Punkt nicht stetig.
Der Artikel argumentierte, Humor basiert auf Unstetigkeitsstellen in der Logik, die das Gehirn zu verarbeiten hat. Es wurde das folgende Beispiel angeführt, das ich so gut wie möglich wiedergeben möchte:Eine junge Frau suchte einen Freund. Sie hatte aber gewisse Ansprüche. Sie sagte ihren Freunden, ihr zukünftiger Mann müsse klein, aber gut gekleidet sein. Ihre Freunde stellten ihr einen Pinguin vor.
Zuerst einmal ist dieser kleine Witz lustig. Er beinhaltet außerdem eine logische Unstetigkeit. Ein Pinguin ist sicherlich klein und scheint gut gekleidet zu sein, ist aber offensichtlich kein geeigneter Freund. Das Gehirn verarbeitet diese Unstetigkeit aber, versteht sie und findet sie lustig. Die Tatsache, dass das Gehirn verstehen kann, was passiert ist, macht es lustig.
Zwei weitere Beispiele humorvoller Unstetigkeiten von Groucho Marx alias Captain Spalding:
Eines Morgens erschoss ich einen Elefanten in meinem Pyjama. Ich werde nie wissen, wie er in meinen Pyjama kam.
Oder von W. C. Fields:
Es gibt in Amerika keinen Mann, der noch nie den geheimen Wunsch hatte, ein Baby zu treten.
Ich denke, die Unstetigkeiten sind in beiden Beispielen, genauso wie im Beispiel mit dem Pinguin aus dem Originaltext, offensichtlich. Wir erkennen die logische Unstetigkeit und verstehen den logischen Fehler. Daher lachen wir.
Was aber passiert, wenn es eine logische Unstetigkeit gibt und wir den logischen Fehler nicht verstehen? Dann gibt es statt Humor einen Kurzschluss im Gehirn, oder es gerät in eine Endlosschleife wie ein schlechtes Computerprogramm. Das führt zu Frustration, und in extremen Fällen zu irrationalen Entscheidungen.
Ich tilte praktisch nie, wenn ich Poker spiele, es gibt aber etwas anderes, wo ich gelegentlich auf Tilt gehe. Das ist bei Tennis. Ich spiele seit meiner Kindheit, die schon lange zurückliegt, Tennis.
Hin und wieder verpasse ich einen leichten Ball, den man eigentlich gar nicht verfehlen kann, oder ich verpasse mehrere Bälle hintereinander, oder ich werfe den Ball nicht gerade, wenn ich aufschlage usw. Mein Gehirn sieht so etwas als undenkbar an. Es gibt keine logische Art und Weise, auf die so etwas passieren kann, da ich schon so lange spiele und zu gut bin. Es passiert aber und offenbart eine logische Unstetigkeitsstelle.
Im Gegensatz zu den obigen humorigen Beispielen aber gibt es keine Lösung. Ich bin nicht in der Lage zu erkennen, dass ein Pinguin kein potentieller Freund für eine junge Frau ist, ein Elefant nicht in den Pyjama von Captain Spalding passt und man kleine Kinder nicht treten darf. Meine Logik versagt, da es keine Auflösung gibt. Zumindest scheint es so.
Damit kommen wir zu Poker. Hier tritt meines Erachtens für viele Menschen das gleiche Problem auf. Wenn sie mehrere Hände hintereinander verlieren, nicht verstehen, wieso ihre Asse nicht halten, oder Schwierigkeiten damit haben, wenn es schlecht läuft, dann handelt es sich um logische Unstetigkeiten. Der Person auf Tilt erscheint es so, als ob diese Ereignisse einfach unmöglich seien. Ihre logischen Schaltkreise werden blockiert, während die vom Gehirn zu verarbeitenden Informationen in einer Art Endlosschleife landen.
Wie lautet also die Lösung? Sie ist ziemlich einfach. Man verstehe Poker und die dazugehörigen Wahrscheinlichkeiten besser. Sobald man besser versteht, dass man mit Assen verlieren kann, ist es sehr gut möglich und letztendlich wahrscheinlich, dass man mehrere Hände hintereinander verlieren und einen anhaltenden schlechten Lauf erwischen kann, ohne auf Tilt zu gehen.
Tatsächlich sieht man gute Spieler, die bekanntermaßen nicht tilten, nach einem Bad Beat meistens lachen. Ihr Gehirn hat eine Lösung für die Unstetigkeit. Statt sie als frustrierend zu verarbeiten, sehen sie Chips, die in die falsche Richtung gehen, als „Elefanten in meinem Pyjama“. Sie finden diese Ereignisse komisch, nicht frustrierend.
In unseren Foren habe ich schon mehrmals geschrieben, dass ein gutes Verständnis von Poker das beste Heilmittel gegen Tilt ist. Jetzt werden die meisten unter ihnen meine Argumentation nachvollziehen können. Tilt ist kein Gefühl von „Flucht oder Kampf“, sondern eigentlich etwas humoriges, bei dem die zur Verarbeitung erforderliche Logik versagt. Sobald man genügend Informationen besitzt, damit man nicht in einer Endlosschleife landet, sollte Tilt der Vergangenheit angehören.
Mason Malmuth
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.05.2008.