Die folgende Geschichte ist ein alter Hut und ich habe sie schon tausende Male gehört. Sie geht ungefähr so: “Vor einiger Zeit habe ich tausend Dollar bei einem Internet-Casino eingezahlt. Zunächst spielte ich einige Sit-and-Gos und Limit Hold’em.
Nach zwei Wochen lag ich 700 Dollar vorne und habe mir diesen Betrag auszahlen lassen. Mit meinem ursprünglichen Geld spielte ich weiter. Da die Limit-Hold’em-Partien mit Blinds von 10 $/20 $ einen sehr komfortablen Eindruck machten und die anderen Spieler mit jedem Schrott callten, setzte ich mich an den Tisch.
Ich hatte einen unglaublich schlechten Lauf, verlor die 1.000 Dollar und musste wieder einzahlen. Die unfassbaren Treffer, die meine Gegner mit ihren Draws erzielten, konnte ich nicht glauben. Obwohl die Spieler auf dieser Seite keinesfalls besser zu sein scheinen als in meiner wöchentlichen Pokerrunde mit meinen Freunden, verlor ich. Ich zahlte die gewonnenen 700 Dollar wieder ein und legte noch 500 Dollar obendrauf, aber ich erlitt drei verlorene Sessions in Folge und liege nun 1.000 Dollar hinten. Ich callte mit Kx 2x , auf dem Flop kamen Kx Kx 2x und ich verlor gegen jemanden mit Kx Tx , der eine Zehn auf dem Turn traf. Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit für so etwas?
In einem Forum habe ich gelesen, dass bestimmte Internetseiten ihre Spieler bewerten und die guten benachteiligt werden, wenn sie gewinnen und sich Geld auszahlen lassen. Ich weiß, dass ich ein sehr guter Spieler bin, aber auf dieser Seite kann ich anscheinend nicht gewinnen.”
Fehlender RealismusDiese Geschichte ist fiktiv, aber der Inhalt ist es nicht. Ich habe sie schon viele Male gehört und so ähnlich wird es auch den Lesern gehen. In diesen Worten liegt für jeden professionellen Pokerspieler so viel Naivität und Unwissenheit, dass es sonnenklar ist, dass dieser Spieler ein Anfänger sein muss. Er ist das klassische Beispiel für jemanden, der zwar A, aber nicht B sagen kann.
Er leidet an Größenwahn, weil er ein wenig Pokerterminologie aufgeschnappt und ein paar Bücher gelesen hat. Er trifft sich einmal pro Woche mit seinen Freunden, schneidet dort sehr gut ab und meint, dass er ein wirklich starker Spieler ist. Weil er so „gut“ ist, kann er sich nicht erklären, warum er sein Geld verloren hat. Schließlich kommt er zu dem Schluss, dass der Grund für seine Verluste darin liegt, dass entweder die Seite oder die anderen Spieler betrügen.
Dieser Spieler leidet an chronischer Selbstüberschätzung und wird diesen Prozess permanent wiederholen, weil er sich kategotisch weigert, den wahren Grund seiner Verluste zu erkennen … er selbst! Ich bin immer der Meinung gewesen, dass der Hauptgrund für meinen Erfolg beim Poker darin lag, dass ich selbstkritisch war und zu dem Schluss kam, nicht gut genug zu sein. Niemand wird als brillanter Pokerspieler geboren, sondern die Spielstärke kommt durch Erfahrung und Studium … extrem viel Studium!
Poker ist ein sehr schwieriges Spiel und es gibt keine klaren Merkmale, an denen Sie Ihre Fortschritte messen können. Versuchen Sie, das Spiel zu lernen, indem Sie Bücher lesen und Pokersendungen im Fernsehen anschauen, vertrauen Sie im Endeffekt darauf, dass Sie alles richtig interpretieren, was Sie aufschnappen. Die Chancen dafür sind sehr gering und dies ist der Grund, warum vor allem Pokerspieler ihre eigene Spielstärke weit überschätzen.
Miserable AusgangslageSchauen wir uns die Aussagen des fiktiven Spielers einmal im Detail an. Zuerst zahlte er 1.000 Dollar ein. Dieser Betrag kann je nach Limit, auf dem man spielt, sehr hoch oder lächerlich niedrig sein. Bei Limit Hold’em mit Blinds von 1 $/2 $ sind 1.000 Dollar ein sehr beachtlicher Betrag. Aber bei Blinds von 10 $/20 $ sind es nur 50 Big Bets und jeder Profi weiß aus eigener Erfahrung, dass diese in kürzester Zeit futsch sein können. Die meisten Profis haben schon Sessions erlebt, in denen sie 100 Big Bets verloren haben und im Hochgeschwindigkeitssektor Internet kommt dies sogar noch öfter vor.
Unser Freund hat also völlig unabhängig von seiner Spielstärke viel zu wenig Kapital. Seine Bankroll hält nicht die kleinste Pechsträhne aus und es muss von Anfang an perfekt für ihn laufen.
Zwar halten viele Spieler die erforderlichen Richtlinien nicht ein, aber der Spieler in unserem Beispiel hätte sich überhaupt nichts auszahlen lassen dürfen, wenn er Limit Hold’em mit Blinds von 10 $/20 $ spielen wollte. Viele Interneteinsteiger, die zu Beginn gewinnen, lassen sich etwas auszahlen, weil sie „das Gewinnen erleben wollen.“ Letztlich haben sie aber das erlebt, was Mathematiker Standardabweichung nennen oder um es normal auszudrücken – die hatten zu Beginn Glück!
Anfänger unterschätzen extrem den Glücksanteil beim Poker. Sie zahlen Geld ein, liegen ein paar hundert Dollar vorne, schreiben dies ihrem Können zu und können es nicht begreifen, wenn nicht nur ihre Gewinne, sondern die gesamte Bankroll weg ist.
Seine Aussage, dass die Partien auf 10 $/20 $ komfortabel seien, ist sehr vage. Wir müssen berücksichtigen, welche Beobachtungen ihn auf diesen Gedanken brachten. Sehr gute Spieler machen bisweilen einige „merkwürdige“ Calls, weil sie schlicht die Situation durchschauen. Zwar spielen starke Profis selten Limit Hold’em mit Blinds von 10 $/20 $, aber wir wissen dennoch nicht, worauf sich seine Aussage gründet. Wie bei allem anderen auch sind Ihre Meinungen ziemlich fragwürdig, wenn es Ihnen an Wissen und Erfahrung mangelt.
PechsträhneDie Aussage, dass jemand eine „unfassbare Pechsträhne“ hat, habe ich schon unzählige Male gehört. Zum einen pokert dieser Spieler noch nicht lange genug, um einen wirklich schlechten Lauf erlebt zu haben, und außerdem würde er diesen nicht einmal erkennen, wenn er ihm auf den Kopf fiele. Zum Poker gehört eine Menge Mathematik und damit sind nicht die Pot Odds, Implied Odds und Wahrscheinlichkeiten gemeint. Das Verständnis der Standardabweichung und Varianz ist schon ein großer Schritt auf dem Weg, die normale Fluktuation von der anormalen zu unterscheiden.
Fast alle Limit-Profis haben irgendwann in ihrer Karriere 300 Big Bets am Stück verloren. Spielen Sie mit Blinds von 30 $/60 $ sind dies enorme 18.000 Dollar. Stellen Sie sich einen verblendeten Neuling vor, der den gleichen Betrag verliert. Er schreit am lautesten, dass die Seite betrügt und wie er beschissen worden ist. Unser fiktiver Spieler hat bei 10 $/20 $ gerade einmal 1.700 $ verloren, also 85 Big Bets, was jedem Top-Profi und sowieso jedem Anfänger passieren kann.
Der Spieler meint, er hätte eine Pechsträhne, weil er drei Sessions in Folge mit Verlust abschloss. In der grausamen Welt des Pokerprofis kann er über Wochen und Monate Verluste erzielen. Viele Turnierprofis hatten viele Jahre Pech und dies ist der Grund, warum einige Pleite gegangen sind oder andere Einnahmequellen benötigen.
Das Leben eines Pokerprofis ist hartDiese Mitteilung richtet sich an alle Freeroll-Amateure, die glauben, Sie seien beim Poker der Größte. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man Poker umsonst oder um Geld spielt. Viele Spieler können nicht einmal die Kosten für das Rake und die Startgebühren decken. Dieses Geld verschwindet permanent vom Tisch und ist ein für allemal weg.
Diesen Effekt übersehen fast alle Anfänger und selbst wenn er ihnen bewusst ist, unterschätzen sie ihn. Bei Varianten wie Limit Hold’em ist der Effekt des Rake am größten und selbst der beste Spieler am Tisch kann über einen langen Zeitraum schlecht abschneiden.
Unser fiktiver Spieler hat zuvor nicht nur ohne reale Einsätze gespielt, sondern vermutlich auch davon profitiert, dass seine Freunde noch schlechter als er waren. Ein schlechter Spieler kann allein deswegen erfolgreich abschneiden, weil seine Gegner absolute Nieten sind. Viele schließen daraus aber, dass sie selbst sehr gut sind.
Technische Mängel zeigen sich im Internet viel schnellerNeben dem Rake-Problem gilt es auch noch zu bedenken, dass Internetpoker deutlich schneller abläuft als Live-Poker. Vielleicht denken Sie, „Ja und, das weiß ich doch längst“, aber in Wahrheit fördert allein das enorme Tempo beim Internetpoker jeden noch so kleinen Mangel in Ihrem Spiel zu Tage, weil der gesamte Prozess um ein Vielfaches beschleunigt wird.
Wieso war unser fiktiver Spieler mit Kx 2x überhaupt in der Hand? Die einzigen beiden Fälle, in denen dies korrekt sein kann, ist ein Limp in später Position, wenn schon viele Spieler im Pot und die Karten gleichfarbig sind, oder ein aufgestockter Small Blind. Unser fiktiver Spieler hat auch von der Mathematik keine Ahnung und schon gar nicht von der Berechnung der Outs. Er nimmt an, dass der Gegner mit Kx Tx praktisch keine Chance mehr hätte, sein geflopptes Full House zu überholen. Tatsächlich betragen seine Chancen, die Zehn zu treffen, immerhin 12 Prozent und die Chance auf einen geteilten Pot besteht auch noch.
Achten Sie auf die Worte der VerliererUm dem ganzen die Krone aufzusetzen, gehen solche Spieler in Pokerforen, um sich anzusehen, wie andere hoffnungslose Fälle ihr Geld verloren haben, teilen ihr Schicksal diesen ebenos mit und mit einem Mal entsteht die öffentliche Meinung, beim Internetpoker würde ohne Ende betrogen. Zum Teil beruhen diese Verdächtigungen darauf, dass diese Spieler nicht hinter die Kulissen schauen und den wahren Grund ihres „Pechs“ erkennen können und daraus schließen sie dann, dass sie Opfer eines Betrugs geworden sind.
Allen Leuten, die ihr Geld beim Internetpoker verloren haben und sich darüber beschweren, welchem Betrug sie aufgesessen sind, muss ich leider sagen, dass der Grund viel naheliegender ist. Bevor alle Verschwörungstheroretiker auf den Gedanken verfallen, dieser Artikel sei die Ausgeburt eines Mitarbeiters eines Online-Casinos, sollten Sie besser noch einmal nachdenken.
In Wirklichkeit können diese Leute dies als weitere Fehleinschätzung verbuchen. Ich spiele zwar regelmäßig im Internet, aber dies ist meine einzige Verbindung zu den Anbietern. Habt deshalb den Mut, Euch mit der Person auseinander zu setzen, die wirklich für Eure Verluste verantwortlich ist. Ich warne Euch aber vor, vermutlich hört er Euch nicht zu, weil solche Leute dies nie tun. Warum auch, sie sind doch großartige Pokerspieler!
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 09.10.2009.