Ein wahrer Zocker vor dem Herrn. Manchmal auf der Überholspur und manchmal ganz unten im Graben der Verlierer. Scotty Nguyen – aus dem vietnamesischen Dschungel auf den offenen Pazifik geflohen und irgendwann in der Wüste von Nevada gelandet. Lesen Sie sein spannendes Portrait in zwei Teilen. . …… Heute Teil Eins.
Es gibt da diese Szene aus dem Vorjahr, die mir nicht aus dem Kopf will. Eines dieser kleinen Studios der erbärmlichen, entbehrlichen Pokerkanäle, die regelmäßig zu WSOP-Zeiten die Satellitenwelt mit sprachlichem Unrat verseuchen. Jedes kleine Licht darf dann irgendwie und irgendwo irgendetwas sagen über das „Main-Event“. Über das größte und wichtigste Turnier des Jahres.
Doch diesmal sitzt da eben nicht irgendwer auf der Couch. Diesmal haben sie einen wirklich Großen der Pokerwelt zu Gast. Scotty Nguyen – vierfacher Bracelet-Gewinner, mehr als sechs Millionen Dollar alleine an Turnierpreisgeldern. Der gelebte amerikanische Traum. Aus einem kleinen nordvietnamesischen Dorf unter größter Lebensgefahr geflohen. Mit nichts in den USA begonnen und viel erreicht. Während die Amerikaner in Vietnam nichts erreicht und viel an Würde verloren hatten.
Scotty Nguyen ist sichtlich entspannt an diesem Morgen, in dem bedeutungslosen kleinen Fernsehstudio. Keine Karten am Tisch, kein Bier in der Hand, keine blonde Dealerin, der er ins Dekolletee schauen muss und trotzdem ins Las Vegas. Auch der fast doppelt so breite Moderator der Show ist entspannt. Die strengen Aufnahmekriterien des Senders erfüllt er spielend. Mangelnde Bildung, konsequente Ignoranz und einen makellosen „Body“, den man die Jahreskarte des Fitness-Centers auch durch das blickdichte Hemd ansieht. Begrüßungsfloskeln, freundliches Händeschütteln. Scotty Nguyen, schmale Schultern, dicke dunkle Sonnenbrillen und den Gegenwert der Goldreserven der vietnamesischen Nationalbank mit asiatischer Dezenz um den Hals geschnürt. Eigentlich könnte gar nichts passieren. Scotty hat sicher schon hunderte Interviews gegeben, kennt die Spielregeln. “You call now and it’s all over, baby“- Diese Geschichte von 1998 ist irgendwie sein Markenzeichen. Das Fullhouse 9 und der WSOP-Titel im Main Event. Die Million ist mehrfach verbraucht, das „Baby“ ist geblieben und wird keineswegs sorgsam in jeden zweiten Satz eingeflochten.
Doch irgendwie läuft es anders an diesem Morgen. Irgendwie erzählt heute Scotty eine andere Geschichte als sonst. Wie das denn gewesen sei mit seiner Flucht aus Vietnam, wollte der Moderator der Pokershow wissen. Sicher in der Hoffnung auf ein kurze Antwort, wie „Super Baby“ oder so. Doch Scotty Nguyen hat Zeit an diesem sonderbaren Vormittag, lehnt sich zurück, prüft den Sitz seiner dunklen dicken Sonnenbrillen und beginnt zu erzählen, aus den fernen blutigen 70er Jahren, als der Krieg eben nicht kalt sondern heiß und blutig war. Siebzehn junge Nordvietnamesen auf der Flucht vor dem sicheren Tod an der Front. Besser die kleine Chance nutzen, im schmalen Boot zu überleben, als irgendwo im Napalm zu verrecken.
Treibstoff, Trinkwasser und Essen für gerade mal drei Tage. Man würde sie schon aufnehmen auf hoher See. Doch die großen Schiffe fuhren einfach weiter, weil damals nur ein toter Vietnamese ein guter Vietnamese war und die Kapitäne der Tanker keine Zeit für Not und Verzweiflung hatten. Manchmal kippten mitleidige Matrosen aus der Kombüse die Küchenabfälle ins Meer, dann schwammen die jungen Vietnamesen so schnell sie konnten, um noch vor den Fischen etwas zu essen zu bekommen. – Es ist eine berührende Geschichte und es ist ein berührender Moment. 23 Tage dauerte die Flucht auf hoher See, 23 Tage, die der damals knapp sechzehnjährige Scotty Nguyen niemals vergessen wird. Soviel Bier gibt es nicht einmal in Las Vegas.
Auch der Moderator spürt diesen besonderen Moment und es wird ihm klar, dass es nicht ganz reichen könnte für die große Journalistenkarriere. Obwohl er doch auch noch Grübchen in den Wangen hat und sich wirklich bemüht, wenn er die Aufnahmeleiterin vögelt. Es ist einfach Zeit, eine Frage zu stellen, also zeigt der Moderator seine $30,000 Zähne, beugt sich feixend zu seinem Gast: „Poker habt ihr wohl nicht gespielt auf diesem Boot“. Scotty Nguyen ist manchmal ein höflicher Mann, aber seine Augen blitzen. Obwohl die Sonnengläser dunkel sind und sicherheitshalber auch noch dick. „No Baby“ antwortet er trocken und setzte dieses kleine gefährliche Grinsen auf, das seine Gegner meist als Letztes zu sehen bekommen, bevor er sie in die Ewigen Turnierjagdgründe schickt. Den Moderator lässt er sitzen. Den tötet er nicht. – Leider!
Damit endet diese Szene in jenem Fernsehstudio, die mir nicht mehr aus dem Kopf will. Die Flucht des jugendlichen Nguyens hingegen fing nach den 23 Tagen auf hoher See erst richtig an. Die Philippinen erreicht, halb verdurstet und doppelt entkräftet. Zwei Jahre in Taiwan und dann doch irgendwann im gelobten Land. Erste Station im kalten Chicago. Viel zu kalt für einen vietnamesischen Teenager. Dann eine neue Gastfamilie in O.C. California (Orange County). Sprache lernen, Schule besuchen und trotzdem entwurzelt bleiben. Heimatlos in der neuen fremden Heimat.Irgendwann sind sie dann aufgebrochen. Scotty Nguyen und seine neuen Freunde. Keiner war richtig alt genug und sie haben es trotzdem geschafft. Nach Las Vegas und vorbei an den grimmigen Security-Jungs. Ein paar Stunden Spaß vor dem Automaten, diverse Jackpots erfolglos bearbeitet und dann wieder draußen auf dem Strip, ein paar Münzen in der Tasche und ein voller Tank. Scheinbarer Rückzug bevor die Story noch richtig begonnen hatte. Heimfahrt, weil man weiß, dass man verloren hat. Und da sieht Scotty für diesen einen Moment in den breiten Rückspiegel. Diesen einen Moment, der sein Leben auf alle Zeit entscheidend ändern sollte. Die Lichter von Las Vegas wie ein Leuchtfeuer in der Wüste und er weiß, er muss zurück. Sofort zurück, weil jetzt ist seine Flucht erst zu Ende. Scotty Nguyen ist angekommen, was mit 23 Tagen Todesangst begonnen hatte, ist hier in Las Vegas vorbei. Endlich zu Hause!
Seine Freunde fahren alleine zurück. Scotty bleibt und nimmt sich sein Stück Leben vom amerikanischen Traum. Fängt im Harrah´s als Putzmann an, arbeitet sich zum Koch hinauf und dann schließlich zum Karten-Dealer. Fängt an, selbst zu spielen. Langsam und vorsichtig. Die kleinen Limits, die mittleren Limits, baut sich eine Bankroll auf und greift dann ganz oben an. Bald geben ihm die Highroller den Spitznamen „The Prince“: Immer auf Angriff und zu der Zeit immer erfolgreich. Die Tasche voller Geld, die Depots in den Casinos voller Jetons. Der Prinz gewinnt und gewinnt und scheinbar nichts kann ihn stoppen. Die erste Millionen wird noch gebunkert, die zweite und die dritte Million wird dann verschleudert. Poker macht keinen wirklichen Spaß, wenn man immer gewinnt. Da sind Drogen doch viel spannender, obwohl die auch immer gewinnen. Früher oder später.
Die ungesunde Droge heißt Kokain, die teuere Droge heißt „Craps“. Scotty ist ein „Shooter“ am Würfeltisch. Die falschen Mädchen kreischen, die falschen Freunde jubeln und am Ende darf sich das Caesars Palace freuen. Zwischendurch werden noch die Buchmacher mit Geld zugepflastert und die Nase frisch gepudert. Erst wird die Kontrolle verloren, dann irgendwann der letzte Dollar. Ein Jahrzehnt auf der Hochschaubahn und wo die immer endet, weiß man doch. Unten, ganz unten. „Wenn ich 100 mal alles verliere, ich werde 100 mal wieder nach oben kommen“ sagt Scotty und beweist den ersten Teil gleich eindrucksvoll.
Wieder zurück ins Harrah´s. Zurück an den Spieltisch, zurück an die andere Seite. Den wenigen Schmuck im Dealerspind verstaut. Statt um Hunderttausende zu zocken, den Extradollar Trinkgeld fangen und brav „Danke“ sagen. Eine demütigende Zeit, wenigstens die falschen Freunde waren jetzt weg.
Neue Bankroll, neuer Lauf und der Prinz ist zurück am Spieltisch und baut sich auf. Dollar für Dollar. Der Erfolg kommt zurück, die falschen Freunde leider auch. Nur Mike Matusow ist anders. Der war immer da. In guten wie in schlechten Zeiten. Praktisch für die Drogendealer in den schicken Satinhemden, die sich ihren Weg nur einmal machen müssen. Auch die Buchmacher werden nicht vergessen und alles an Geld, was sich so nicht vernichten lässt, wird wieder in die Würfel investiert. Rechtzeitig zur WSOP 1998 ist wieder alles weg und vorbei. Scotty Nguyen ist wieder der arme Prinz. Kein Thron und nicht einmal genug Dollar für ein schäbiges Satellite . . . . . . .
Lesen Sie nächsten Freitag den 2. Teil über Scotty Nguyen: Alles über seinen Triumph im Main Event . . . . . Warum sich Mike Matusow so freuen durfte? . . . Wer sich nicht freuen durfte? . . . . . . Wie es Scotty heute geht? . . . . . und noch vieles mehr.
Götz Schrage
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 09.02.2007.