Wieder erreichte die PokerOlymp-Redaktion ein interessanter Gastkommentar von Stefan Schüttler, Dipl. Psychologe, Psychotherapeut und Präsident des Pokerclubs Berlin Bad Beat Berlin. Lesen Sie selbst und bilden Sie sich Ihre Meinung über seine Sicht der Zusammenhänge zwischen dem Leben und Poker.
Was für ein Glück, dass Poker ein Gebiet ist, wo man gänzlich befreit vom eigenen Körper und Geist, am Tisch quasi wie in einem Zustand nach der 40. Reinkarnation kurz vor der endgültigen Glückseligkeit sich befindet. Losgelöst von ansonsten zuweilen doch hin und wieder noch möglichem persönlichen Fehlverhalten, Charakterschwächen oder gar Eitelkeiten ist man hier am Pokertisch dem ewigen Kreislauf des Leidens entrückt. Pein und Unvollkommenheit sind hier in vollem Aktivierungsgrad überwunden, der Zustand der Erleuchtung und des Nirvanas ist quasi gleich erreicht. Ganz in der Konzentration auf das sinnliche Begehren, angehaftet an die Erscheinungen der Welt (die Karten in der eigenen Hand bzw. auf dem Tisch!) kann man hier flexibel und von Neurotizismen frei sowohl den eigenen Bauchansatz, die beginnende Glatze oder die langsam sich runzelnde eigene Haut, das Zittern der Hand getrost vergessen. Auch psychische bzw. die Umwelt gelegentlich ärgernde Auffälligkeiten, Ängste, Zwänge, gar Spinnereien scheinen am Pokertisch wie weggezaubert, sie spielen hier so überhaupt keine Rolle. „Tells“? verräterische Gesten oder Auffälligkeiten – das haben ganz bestimmt allenfalls die anderen. Unbedingt schlagen sich im eigenen Spielstil keine unbewussten Motive oder Ängste nieder. Was also soll man wissen oder erahnen bezüglich angeblich so abgrundtief verborgener eigener Beweggründe, gar der Reinszenierung erlittener Traumata?
Leidet man sonst zum Glück schon ganz bestimmt nicht an Selbstzweifel und Selbstunterschätzung, so kann man beim Poker mit nur ein wenig Glück es allen beweisen, wer die Welt in Wahrheit kontrolliert. Gelingt der Nachweis nicht sofort, dann ist alleine das Schicksal hier verantwortlich zu machen. Ein Bad Beat nach dem anderen, wahrlich das hält schließlich auch der genialste Spieler nicht mehr aus. Entsprechend muss sich der gewiefte Pokerspieler weder um seinen Körper noch über seine Psyche ernsthafte Gedanken machen. Keineswegs spielen solche Nebensächlichkeiten beim Pokern eine Rolle und der wirkliche Experte erhebt sich quasi von innen, selbständig wie Phönix aus der Asche und erkennt aus sich, was richtig und welche Heldentat in welcher Situation nun gleich erforderlich. Der liebe Gott wird sich schon was dabei gedacht haben, als er so einen genialen Zeitvertreib erfunden und hätte er gewollt, dass Körper und Geist, Leib und Seele hier eine Rolle spielen, wozu dann hätte er dem Menschen gleich auch noch zwei so unterschiedliche Geschlechter vermacht? Bekanntlich jedoch hat Poker mit Psychologie soviel zu tun wie Frauen mit Logik und Poker steht zur Physiologie wie Männer zu Kuscheln.
Kann man prinzipiell das menschliche Leben bzw. die Intentionen menschlichen Handelns ganz allgemein als Suche nach Freude und Vermeidung von Frustration und Leid verstehen, so geht es beim Pokern nur um den Sieg und des Nächsten Geld. Hier ist Erfolg messbar, Lebensfreude kann quantitativ verglichen werden. Kopf- oder Gliederschmerz geraten beim Spiel regelmäßig in Vergessenheit. Persönliches Wohlbefinden korreliert weder mit dem Alkoholblutspiegelgehalt noch mit weiteren Drogen oder den Gedanken an kommende Nacht. Das Adrenalin im Körper wird alleine von der Höhe des vor einem drohenden Chipsturms sowie dem Pocket-Pair auf der eigenen Hand bestimmt. Wo sonst kann man auch einmal Urlaub machen, von den Freuden, der Familie zu Haus? Wie sonst entspannt man sich vom harten Managerleben, wenngleich man nicht längst den Beruf bzw. die Perspektive hat getauscht, mit der Berufung und Lebensaufgabe „Pokerspieler“?!
Wer interessiert sich schon dafür, dass beim Spiel hier nicht wirklich unbedingt kreativ etwas wird erschaffen? Längst ist erkannt, dass Aspis (begnadete Hüter einer sehr in Mode sich befindenden Spezialform von Autismus) der nächste Schritt der menschlichen Evolution. Wer kümmert sich noch um soziale Kontakte, was bedeutet noch Geselligkeit, wo man schon mit einem Computer online und einem Account sich jahrelang ohne weitere Bewegung die Welt kann beispielhaft und virtuell erschließen?! Nein, es genügt nicht, im Pokerspiel eine Allegorie, eine spielhafte Auseinandersetzung mit realen Freuden und Leidenssituationen menschlichen Lebens zu suchen. Papperlapapp! Poker selbst ist das Leben – der bescheidene Rest ist nun wahrlich zu vernachlässigen. „Denken bedeutet immer auch kritisieren?”! „Ach komm, was ist schon denken?”! „Keine Amnestie für alle dies Psychologen-Geschwätz, diese „mens sana in Corpore sano-Apostel, gar vollwertige Ernährung!”? Nieder mit diesen pseudowissenschaftlichen Turmbauern zu Babel! Pokerpsychologie.de –A so a Schmarrn! Der wahre Held der Gegenwart hat, wenn nicht das Geld, dann eben das Gold schon im Namen, das Geschick ist groß und hätte er nicht zuviel noch mit seinem Kumpel geschwätzt –manch gerichtliche Auseinandersetzung bliebe ihm erspart und zwölf Millionen Dollar Turniergewinn, ein goldenes Armband aus Las Vegas sind ja nun wahrlich himmlisch genug.
Das Pokerspiel allein in all seinen Facetten ist gar ausreichend bunt. Mehr Komplexität, mehr Musik, Kunst, Irrsinn, Leidenschaft und Liebe gar ja verwirrt nur, macht verrückt. Es ist nicht nötig, sich mit solch Belast zu beleiden. Ist das Leben auch begrenzt, ein Pokerspiel wird immer sich lassen finden. Poker allein – dieser meditative, von allem ansonsten so menschlich ungenügendem, gar frustrierendem befreite Lebenssinn – die Pokerfaszination allein und rein, wie es aus uns und in uns fließt, weder durch Psychologie noch Physiologie verwässert sei uns und bleibe uns rein genug.
Stefan Schüttler
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Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.01.2007.