Pokerbücher gibt es viele und zumeist kommen diese aus den USA. Das ändert sich nun, denn mit Alex Meidinger und Andy Wildt legen zwei deutsche Profis ein neues Werk zu einem Thema vor, das in der Literatur bisher eher stiefmütterlich behandelt wurde. Sein Titel lautet Sit `n Go Poker – Wie die Profis langfristig Geld verdienen und es ist nach Collin Moshmans Sit `n Go – Die Expertenstrategie erst die zweite Monographie zu diesem Thema.
Die beiden Autoren sowie Gastautor Jan Kasten arbeiten auf 352 Seiten nicht nur die bisherige Forschung zu dieser beliebten Pokervariante auf, sondern bieten viele neue Ansätze, die dem Leser alle Voraussetzungen liefern, erfolgreich abzuschneiden.
Bevor das Buch nächste Woche (am 5. Oktober) erscheint, wollen wir unseren Lesern exklusiv einen kleinen Appetithappen vorab zugänglich machen, der einen guten Einblick in die Tiefgründigkeit des gesamten Buchs gibt. Mit Florian Langmann haben die beiden Autoren übrigens einen renommierten Fürsprecher. In seinem Vorwort schreibt Langmann: „Alles in allem bietet dieses Werk ein kompaktes Standardwerk für SnGs, das weit über den Inhalt der bisherigen Literatur für SnGs auf dem Markt hinausgeht und ich kann jedem, der dieses Buch gerade in den Händen hält, nur zu seiner ersten Poker-Entscheidung mit positivem Erwartungswert gratulieren!“
Hier die erste Leseprobe zum Spiel in der frühen Phase eines Sit ´n Go:
Mit den Damen sollten Sie vor dem Flop raisen und reraisen, gegen Profis allerdings keine 4-Bet (d.h. ein Reraise von Ihnen wird von einem anderen Spieler noch einmal geraist) mehr callen, sondern folden. Gegen unbekannte Spieler würden wir zumeist dazu tendieren, nach einer 4-Bet All-In zu gehen bzw. eine All-In-4-Bet des Gegners zu callen, da die schlechteren Spieler in der Regel auch mit Händen wie TT+ und AK all ihre Chips riskieren. Haben wir Informationen über den Gegner, die uns zu dem Glauben veranlassen, dass er nicht mit TT und JJ All-In geht, sondern nur mit QQ+, AK, würden wir QQ gegen seine All-In-4-Bet aber folden (vgl. Tabelle S. ???, 7. Zeile).
Wenn Sie mit QQ einen Eröffnungs-Raise bringen und einer Ihrer Gegner direkt All-In geht, sollten Sie callen, wenn Sie sich einigermaßen sicher sind, dass Ihr Gegner auch mit Händen wie TT+, AQ+ pusht. Dagegen ist ein Fold besser, wenn Sie vermutlich mit einem tighteren All-In-Spektrum konfrontiert sind, da QQ gegen JJ+, AK laut Pokerstove nur noch eine Equity von 51,34 Prozent hat und dies nicht ausreichend für einen profitablen Call ist.
Wenn Sie dieses Buch bisher aufmerksam studiert haben, fragen Sie sich sicherlich, wie das mit Konzept Nr. 1 aus der Einführung (Erwartungswert) vereinbar ist: Dort haben Sie ja gelernt, dass Sie in der Regel alle Entscheidungen mit positivem EV eingehen sollten, und hier liegt eine Situation vor, in der Sie knapper Favorit (51,34 Prozent) sind und sogar leicht bessere Odds als 1 zu 1 bekommen. Wie kann das in dieser Situation ein Fold sein?
Die Antwort lautet: Hier kommt ICM ins Spiel! Gewonnene Chips sind eben weniger wert als Chips, die man verliert.
Im Folgenden möchten wir Ihnen beispielhaft zeigen, wie man solche Situationen analytisch behandelt.
Beispiel 1.1:Wir gehen davon aus, dass wir uns in einem SnG mit neun Spielern befinden. Der Preispool beträgt 90 $, so dass jeder Spieler eine Equity von 10 $ hat. Wir (Hero) raisen aus UTG+1 auf 80, worauf unser Gegner (Villain) aus dem HJ seinen Stack in die Mitte schiebt.Wann sollte man callen, wann sollte man folden?
Wenn wir folden, verbleibt uns ein Stack von 1.420 Chips, da wir den Raise auf 80 Chips an den Gegner verlieren. Mit Hilfe des Internettools Holdemresources (holdemresources.net) lässt sich unsere neue Equity ermitteln. Sie beträgt 9,52 $. Wenn wir callen und gewinnen, verfügen wir über einen Stack von 3.000 Chips mit einer Equity von 18,25 $, wohingegen ein Call und Verlust uns aus dem Turnier katapultiert und mit einer Equity von 0 $ zurücklässt. Nun können wir mit Hilfe einer Erwartungswertrechnung ermitteln, mit welcher Gewinnwahrscheinlichkeit wir vorne liegen müssen, damit ein Call profitabel ist. Ein Call ist genau dann von positivem EV, wenn gilt:
P (Call + Gewinn) * Equity (Call + Gewinn) + P (Call + Verlust) * Equity (Call + Verlust) > Equity (Fold)
Im konkreten Fall bedeutet dies:
P (Call + Gewinn) * 18,25 $ + P (Call + Verlust) * 0 $ > 9,52 $
P (Call + Gewinn) > 9,52 $/18,25 $
P (Call + Gewinn) > 0,5216 bzw. 52,16 %
Sie müssen also mit QQ im vorliegenden Szenario mindestens mit 52,16 Prozent Favorit gegen das gegnerische Handspektrum sein, damit ein Call profitabel ist, während Sie in einem Cashgame, in dem Konzept Nr. 4 aus der Einführung nicht gilt, aufgrund der Pot Odds von mehr als 1 zu 1 nicht einmal ausgeglichene Chancen haben müssten!
Der Grund, warum viele Spieler in SnGs verlieren, obwohl sie ganz ordentlich Poker spielen, liegt zu einem beträchtlichen Teil daran, dass sie diese Tatsachen nicht kennen und deshalb immer wieder die falschen Entscheidungen treffen, die zwar rein nach Chip-EV in einem Cashgame positiv wären, nicht jedoch nach $-EV in einem SnG. Und da wir uns für Geld interessieren und nicht für wertlose Chips, bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Konzepte und ihre Auswirkungen eingehend zu studieren und uns einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen.
Im nächsten Schritt nutzen wir Pokerstove, um zu sehen, gegen welches Spektrum wir mit QQ mit mindestens 52,16 Prozent vorne liegen, und ermitteln dabei TT+, AK (52,37 Prozent). Dies bedeutet, dass TT in diesem Szenario sozusagen die „Grenzhand“ darstellt: Nehmen wir an, dass unser Gegner mit TT+, AK so spielt, callen wir sein All-In. Ist davon auszugehen, dass unser Gegner seine Chips mit keiner schlechteren Hand als JJ riskiert, folden wir.
Bitte beachten Sie, dass die ermittelten Handspektren nur für das vorliegende Beispiel gelten und dass ein anderes Szenario andere Spektren als Ergebnis liefern würde. In der folgenden Tabelle haben wir für Sie einige Beispiele häufig vorkommender Situationen aufgeführt, jeweils mit realistischen gegnerischen Handspektren, damit Sie einen Anhaltspunkt haben, wie Sie sich mit QQ in der jeweiligen Situation am besten verhalten. Kleinere Veränderungen bei den Raisehöhen (+/- 1 BB) ändern dabei nur wenig an den Ergebnissen und können somit vernachlässigt werden.
Wir hoffen, dass Ihnen diese Tabelle ein Gefühl dafür vermittelt, wie Sie mit den Damen in verschiedenen Situationen umzugehen haben. Gleichzeitig haben Sie sich nun zum ersten Mal mit qualifizierten Entscheidungen auf Basis des Independent Chip Models auseinandergesetzt, obwohl wir das Modell noch gar nicht ausführlich hergeleitet haben. In Kapitel 3 auf Seite 85 werden wir Ihnen Stück für Stück zeigen, welche mathematischen Berechnungen hinter dem Equity-Rechner von Holdemresources, der hier Anwendung fand, stecken.
Ein letzter Fall, der mit QQ auftreten kann, fehlt nun noch: Wenn Sie raisen und von einem oder mehreren Spielern gecallt werden, würden wir bei einer Overcard auf dem Flop wie mit KK gegen einen einzelnen Gegner eine Continuation Bet bringen (Höhe wieder 2/3 der Potgröße).Gegen mehrere Gegner sollten Sie die Hand passiv spielen und nicht mehr viel investieren.
Sehen Sie sich einem Flop mit lauter kleineren Karten gegenüber, sollten Sie gegen unbekannte Spieler Ihren gesamten Stack riskieren und gegen Profis wieder darauf achten, die Hand frühzeitig aufzugeben, wenn aufgrund der gegnerischen Action davon auszugehen ist, dass Sie geschlagen sind (analog der Spielweise mit AA).
Anm. d. Red.: Aus Formatgründen mussten die Fußnoten entfernt werden. Außerdem entspricht die Wiedergabequalität der Tabelle nicht dem Original.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 29.09.2011.