Lange war es still um unseren legendären Strategie-Gott villains_hero, doch nun meldet er sich mit seinem persönlichen Erlebnisbericht von der EPT Berlin 2012 zurück. Wie üblich fällt es ihm schwer, sich kurz zu fassen – gut für unsere Leser, die sich so auf zwei Teile freuen können. Hier der erste:
Kreischend violett und dermaßen ausgeleiert, dass sich lila Wollewellen seinen Körper hinabschlängeln. Würde ich Barry Greenstein in seinem schlaffen Pokerpulli an einer Berliner Straßenecke sehen, dann wäre ich versucht, ihm ein paar Euro in die Hand zu drücken, verbunden mit dem Hinweis, die Kohle nicht zu versaufen, sondern zum nächsten Herrenausstatter zu bringen.
Der amerikanische Vorzeigepokerspieler lungerte aber an keiner Straßenecke, sondern in der Lobby des Hyatt an zweiter Stelle in einer Schlange von Kartenspielern, die kurz vor Beginn des Main Events Einlass begehrten. An erster Stelle stand ich, und das schon seit einigen Minuten, weil die Check-in-Maschine ausgefallen war, als sie meine Spielerkarte scannen sollte.
Während es von hinten vernehmbar murrte, nahm der gute Barry die Verzögerung gleichmütig hin. Ich als der vermeintlich Schuldige des Scanner-Absturzes hatte erst Gelegenheit, den mir bis dahin nur aus dem Fernsehen bekannten Robin Hood des Kartenspiels eingehend zu mustern. Dann galt es, den Impuls zu bekämpfen, ihm meine Jacke über die Schultern zu hängen. Würde meine Liebste mich in einem 20 Jahre alten Pullover in der Öffentlichkeit erwischen, das gäbe Ärger. Erst Recht, wenn ich damit auch noch von TV-Kameras gefilmt würde.
Gefilmt werden, das war kaum zu vermeiden im Ballsaal des Hyatt. Nie zuvor habe ich bei einem Pokerturnier eine solche Heerschar von Kamera-, Mikrofon- und Notizblockträgern gesehen, die beruflich anderen Leuten ermöglichen, anderen Leuten beim Kartenspielen zuzugucken.
Erstaunlich eigentlich, hat sich doch das Pokerinteresse nach den Boomjahren normalisiert, was auch die recht bescheidene Teilnehmerzahl an Starttag 1a der EPT Berlin 2012 dokumentiert. Die Zahl der Berichte über Poker steigt dennoch. In Berlin etwa gab es nicht nur einen TV-Tisch, sondern deren zwei für die kommende Fernsehberichterstattung.
Nach Berlin fahren wollte ich eh, ein bisschen Cashgame spielen, ein bisschen Berlin schnuppern. Ins Main Event war ich in letzter Minute gerutscht, nachdem ich im dritten Anlauf mein Berlin-Paket bei einem der sonntäglichen 500er-Qualifier auf Pokerstars gewonnen hatte.
Die späte Qualifikation brachte gewisse Schwierigkeiten hinsichtlich der Übernachtung mit sich. „Wir haben Sie nur für zwei Nächte gebucht, ab Dienstag sind wir voll“, erklärte mir die freundliche Empfangsdame im Hyatt. Am Dienstag müsse ich umziehen ins Mandala nebenan, dürfe nach zwei Tagen aber gerne zurückkommen.
Zwei Tage später im Mandala kannte mich leider niemand, und eine Reservierung auf villains_hero ließ sich im Hotelcomputer nicht aufspüren. Na toll. Nach zwei Drinks in der Hotelbar erreichte mich dann ein Anruf von der Isle of Man mit einem dreifachen „Sorry for the inconvenience“, aber ich solle nun zum Interconti gehen, dort sei reserviert. Jetzt sitze ich in der Marlene-Bar im Interconti, schreibe diese Zeilen und habe vor, den Bericht zu beenden, bevor ich ins Casino gehe, Cashgame spielen.
Olivier Busquet – müder als villains_hero?Zum Main Event muss ich nicht mehr gehen, das war am Montag nach zwölfeinhalb Stunden für mich beendet. Zwei Titel habe ich im Laufe des Tages trotzdem gewonnen, verliehen hat sie mir der geschätzte Kollege Rainer von Pokerolymp. Da wäre einmal „Strategie-Gott“, ebenso schmeichelhaft wie übertrieben, und „zweitmüdester Mann im Raum“, was ich für untertrieben halte. Acht meiner zwölfeinhalb Stunden habe ich neben dem schönen Olivier Busquet verbracht, und den hielt Rainer angesichts seiner tiefen Augenringe für noch müder als mich. Für Rainers Beobachtungsgabe spricht das nicht, denn speziell die beiden Levels nach der langen Pause habe ich durchgegähnt, während der Kollege Busquet keinerlei Zeichen von Ermüdung zeigte.
Ich bin aber auch selbst schuld. Denn was soll man machen nach einem ewig langen Tag und einer viel zu kurzen Nacht, wenn man weiß, dass noch sieben Stunden Kopfarbeit vor einem liegen? Genau, ein paar Meter laufen, Sauerstoff tanken, vielleicht ´nen schnellen Salat. Und was soll man nicht machen in dieser Lage? Genau, bei McDoof rumsitzen, Burger, Shrimps und Pommes essen. Ich habe mich trotzdem für Variante zwei entschieden und bin mit zweistündiger Blutleere im Kopf bestraft worden. Und das am TV-Tisch, so dass mir demnächst die ganze Welt beim Gähnen zugucken kann. Wenigstens war ich besser gekleidet als Barry Greenstein.
Die ersten drei Orbits EPT Berlin liefen super. 20 Hände gespielt, da hatte ich schon von 30.000 auf 35.000 Chips zugelegt. Als ich dann in UTG+1 Asse fand, auf 300 eröffnete, und zwei Plätze links von mir das Wort „Raise“ hörte, da war ich lecker zufrieden, denn der Tisch schien beherrschbar, und obendrein schien es gut zu laufen. Noch konnte ich nicht ahnen, dass 35.000 mein Allzeit-Hoch in diesem Turnier sein sollte.
Der russische Kollege, der mich auf 1.000 3betten wollte (und sich dann mit meiner 4bet auf ~2.600 hätte auseinandersetzen müssen), hatte leider erst seinen 1.000er-Chip auf den Tisch geworfen und dann „Raise“ gesagt. So wurde sein Raise zum Call. Wie ein trauriger Hund, dem man die Wurst vor dem Maul wegzieht, sah ich danach drei weitere Villains coldcallen und landete mit meinen stolzen Assen in einem Familienpot. In dem ich dann auch noch zähneknirschend drei viel zu kleine Valuebets eines Sets bezahlt habe.
Ich würde ja gerne wie gewohnt ein paar interessante Hände aus dem weiteren Turnierverlauf analysieren/kommentieren, aber es ist nicht viel Interessantes passiert. Ein paar kleine/mittlere Pötte habe ich gewonnen, aber jeder meiner Versuche, groß aufzuchippen, ging nach hinten los, und mein Stack schrumpfte von Level zu Level. Ein Spot im Level 100/200 war bestenfalls seminteressant, da openlimpt ein schlechter Russe in früher Position, gefoldet zu mir am CO, Raise auf 800, 3 fold, Russe callt. Board T9x, check bet call. Turn T. check, check. River x, Russe bet 2/3 pot, ich call, er hat KJo. Naja, nicht so spannend, aber mehr ist halt nicht passiert.
Zwei Villains hatte ich mir ausgeguckt, die offensichtlich viel eröffnen, viel zu leicht 3bets callen und dann viel zu oft am Flop c/f spielen. Von beiden habe ich im Laufe von zwölf Stunden genau eine 4bet gesehen, und das war jeweils gegen mich, als ich leicht ge3bettet hatte, einmal mit T9o und einmal mit A4o. An der Stelle frage ich mich, ob ich preflop beim 3betting einen Tell habe.
Tell oder nicht, aus meinen anfangs 300BB hatte ich relativ schnell 30 bis 40BB gemacht, und das ist beim Turnierpoker die unangenehmste Stacksize überhaupt. Wer alte Artikel von mir gelesen hat aus der Zeit, als ich beim Turnierpoker noch schlechter war als jetzt, der ist das eine oder andere mal über die Anmerkung gestolpert, dass ich mit 30BB nie weiß, was ich machen soll. Mittlerweile bin ich etwas weiter fortgeschritten, denn nun weiß ich, dass man (umgeben von guten Spielern) mit 30BB schlicht nichts machen kann. Ideal ist diese Stacksize eigentlich nur für Cold4betshoves. Eröffnen ist schwierig (weil der Stack keine 4betbluffs mehr hergibt und jeder Opener schon einen signifikanten Teil des Stacks riskiert), leicht 3betten auch (weil die Bigstacks gnadenlos 4betshoven werden) und coldcallen sowieso (was ich hier hoffentlich niemandem erklären muss).
Fortsetzung morgen!
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 18.04.2012.