Liv Boeree spricht über Poker in Zeiten von Terror. Sollten wir nach den Anschlägen von Barcelona einfach weiterspielen? Wie sieht eine angemessene Reaktion aus?
Es ist nicht die Aufgabe der Poker-Gemeinschaft, Antworten auf terroristische Angriffe zu finden. Aber wir können sie auch nicht einfach ignorieren und so tun, als wären sie nicht passiert. Aber wie geht man mit so einer omnipräsent scheinenden Bedrohung um? Diese Frage zu diskutieren, hat sich Dirk Oetzmann von PokerListings mit Liv Boeree, PokerStars-Pro, unterhalten.
PokerListings: Erinnerst du dich daran, wann du von dem Terrorangriff, der Barcelona letzten Donnerstag ereilte, gehört hast?
Liv Boeree: Ich war an einem Tisch mit einem großen Stack im €10k-Highroller-Event. Meine Mutter schickt mir Nachrichten und versuchte mich anzurufen. Erst war ich überrascht. Sie fragte, ob es mir gut gehe und ich sagte: „natürlich, warum“. Dann erklärte sie mir, was gerade passiert war.
PL: Was war deine erste Reaktion?
LB: Als aller erstes stellte ich sicher, dass es Igor gut ging. Es ist schwer, in Worte zu fassen, wie ich reagierte. Ich mag das Wort "desensibilisiert" nicht benutzen, doch leider sind solche Dinge inzwischen Teil des Lebens geworden. Es ist nicht so, dass ich nicht realisiere, was passiert ist, doch täglich sterben 20.000 Leute aus unnötigen Gründen, aus vermeidbaren Gründen.
Ständig passieren Morde, ausgeübt durch furchtbare, aber auch geistig kranke Menschen. Doch diese erhalten nicht so viel Aufmerksamkeit, wir nehmen sie also gar nicht so sehr war. Die Berichterstattung in den Medien ist ein sehr schwieriges Thema. Ja natürlich, diese Terroristen wurden einer Gehirnwäsche unterzogen und glauben an idiotische Dinge. Aber sie wollen auch Berühmtheit erlangen. Sie sehen andere Angriffe, die es in die Schlagzeilen schaffen und das inspiriert sie. Sie wollen ihren eigenen Moment des Ruhms.
Je mehr wir aus diesen Angriffen machen, desto mehr werden wir davon haben. Irgendetwas muss hier passieren. Natürlich müssen wir versuchen, die Zahl der Terrorangriffe zu minimieren und wir müssen den Opfern gedenken, aber wir dürfen es auch nicht zu sehr aufbauschen, ansonsten feuern wir diese Sache nur mehr an. Diese Leute wollen Ruhm und sie wollen ihn für wirklich schlimme Dinge. Wir sollten Ihnen diesen nicht gegeben.
PL: Was du auf Las Ramblas, dem Ort der Anschläge?
LB: Nein. Zum einen war ich sehr beschäftigt, zum anderen bin ich aber auch traurig genug über das, was passiert ist. Ich muss da nicht hin gehen und noch trauriger sein.
PL: Wie geht Barcelona deiner Meinung nach mit dieser Situation um?
LB: Im allgemeinen bin ich von der Stadt sehr beeindruckt. Ich fand es gut, dass die Leute am nächsten Tag am Strand waren und zur Arbeit gingen. Die Stimmung war gedrückt, aber die Leute machten mit ihren Leben weiter, denn das ist genau das, was wir tun müssen. Machen wir das nicht, bekommen die Terroristen genau das, was sie wollen. Sie wollen Angst, sie wollen Zusammenbruch und sie wollen, dass man über sie spricht. Wir müssen weitermachen und dürfen Ihnen keine Genugtuung geben.
PL: Eine Frage, die vielen unter den Nägeln brannte, war, ob dieses Pokerturnier weiter gehen sollte.
LB: Natürlich sollte es! Das ist eine völlig eindeutige Entscheidung! Was sonst sollten wir tun, die Terroristen gewinnen lassen? Nur wenn die Sicherheit dieses Events nicht mehr gewährleistet wäre, sollte ein Abbruch eine Option sein. Aber die Sicherheit hier ist höher als bei jedem anderen Turnier, dass ich erlebt habe. Natürlich gibt es immer ein Risiko, egal was man macht, aber dieses ist recht klein. Es war die absolut richtige Entscheidung, weiter zu spielen.
Tatsächlich sieht man jetzt, dass die Pokergemeinschaft enger zusammenrückt. Auf einmal hat jeder eine ganz neue Perspektive gewonnen. Dies zeigt, dass wir alle aus dem gleichen Grund hier sind – wir alle wollen ein friedliches Leben führen. Das war schön zu sehen.
PL: Auch die größeren Events wurde nicht unterbrochen. Auch der FC Barcelona spielte gestern, fast als wollte man etwas beweisen.
LB: Genau und es ist gut für die Spanier, dass sie es so handhaben. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Terrorattacke zu werden im Vergleich zu fast allem anderen extrem niedrig ist. Wir müssen uns klarmachen, dass unser Bewusstsein uns betrügt und gewisse Sachen überbewertet und andere unterbewertet. Die Medien bombardieren uns mit Nachrichten über einige Dinge, über andere jedoch nicht. Es ist viel wahrscheinlicher, dass wir an Luftverschmutzung sterben, doch davon hören wir nicht ständig.
PL: Vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 22.08.2017.