Beobachten wir das Ende von Full-Tilt-Poker? Der ehemals zweitgrößte Online-Poker-Anbieter liegt offenbar in den letzten Zügen und beschmutzt dabei die ganze Branche.
Kurz nach dem schwarzen Freitag, der Sperre der großen Poker-Anbieter auf dem amerikanischen Markt und verstörenden FBI-Warnungen beim Aufruf der jeweiligen Internet-Seiten, äußerte ich mich im Bluffcatcher-Podcast zuversichtlich, dass die Auswirkungen für europäische Spieler auf PokerStars und Full Tilt eher marginal sein werden. Diese Zuversicht war, wie sich inzwischen in brutaler Deutlichkeit zeigt, blauäugig und falsch – zumindest was Full Tilt betrifft.
Meine Zuversicht basierte auf der Annahme, dass die Unternehmen von einem seriösen Management geführt werden und obgleich in einer juristischen Grauzone, dennoch integer und zuverlässig arbeiten. UB/AP war von dieser Zuversicht selbstverständlich ausgeschlossen, aber Full Tilt und PokerStars sind für die Besitzer (auch ohne amerikanischen Markt) praktisch Gelddruck-Maschinen, bei denen es keines Betrugs bedarf, um sie zu Multimillionären zu machen.
Diese Annahme, so zeigt sich jetzt, war bezogen auf Full Tilt falsch. Das Management ist nicht seriös, es ist zerstritten. Die Inhaber verfolgen kurzsichtige Eigeninteressen und agieren nicht im Interesse der Company oder der Nutzer. Es gab seit dem schwarzen Freitag keine konkrete Ansage, wann die amerikanischen Nutzer von Full Tilt ausgezahlt werden können. Es gab keine Ansage, wo das Geld der Spieler überhaupt ist. Europäische Spieler konnten nur bedingt und nur in kleinen Tranchen auscashen. Dafür ging Phil Ivey auf Konfrontationskurs mit Full Tilt. Von den anderen Shareholdern der Company vernahm man keine Kommentare. Dafür ließ Full Tilt verlauten, es suche Investoren, um die Zahlungen an die Spieler zu übernehmen.
Er erhärtete sich ein frappierender Verdacht: Ein großer Teil des Geldes der Spieler befindet sich nicht mehr im Besitz von Full Tilt und wird nie mehr aufgetrieben und erst recht nicht ausgezahlt werden.
Mit dem Aussetzen der Lizenz durch die AGCC wird aus dem Verdacht fast Gewissheit: Full Tilt hat das Geld der Spieler durchgebracht. Nur vernarrte Optimisten können jetzt noch hoffen, dass Full Tilt nur temporär nicht an das Geld kommt und es in Bälde zu einer großen Auszahlungswelle kommen wird.
Ich habe heute, drei Stunden nach Ausfall der Software von Full Tilt und dem ersten Statement der AGCC mit einem der größten Dienstleister für Full Tilt Deutschland telefoniert. Dort wusste man noch gar nichts von der Entwicklung, schließlich sei inzwischen “Sommerpause”. Full Tilt verliert die Lizenz und die Dienstleister wissen Stunden später noch nicht Bescheid? Wie marode muss ein Unternehmen operieren, wenn ein so zentrales Thema nicht sofort auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen angegangen wird? Allein das sagt immens viel über das System “Full Tilt Poker” aus.
Die Konsequenzen dieses Mittwochs werden weit schlimmer sein, als die des schwarzen Freitags. Damals stellte sich vor allem eine Frage: Wie und wann kommen die nun ausgeschlossenen amerikanischen Spieler an ihr Geld und ist unser Geld noch sicher?Jetzt stellt sich in Bezug auf Full Tilt nur noch eine Frage: _Wo _ ist unser Geld und haben wir uns von einem der größten Online-Poker-Anbieter so betrügen lassen?
Die Entwicklung bei Full Tilt wirft einen Schatten auf alle Anbieter. Wenn so ein Anbieter allem Anschein nach in die Pleite geführt werden konnte, wer kann uns garantieren, dass andere Anbieter noch sicher sind? Full Tilt hat – wenn nicht noch ein großes Wunder geschieht – nicht nur viele Spieler um Millionen von Dollar gebracht, sondern der gesamten Branche einen Bärendienst erwiesen. PokerStars, Party & Co haben nun einen steinigen Weg bergauf zu bewältigen, um die eigene Glaubwürdigkeit zu beweisen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 29.06.2011.