Was soll man zu den gestern erhobenen Vorwürfen gegen Full Tilt sagen? Kann es sein, dass Lederer, Ferguson, Bitar und Co. sich seit 2007 über 440 Millionen Dollar aus der Kasse mit den Spielergeldern genommen haben? Ist die Darstellung der Behörden übertrieben oder sind die Eigner von Full Tilt tatsächlich Schurken?
Der zuständige Staatsanwalt Preet Bharara nannte das Unternehmen einen globalen Ponzi Scheme und wird konkret: Lederer und Bitar haben sich jeweils knapp über 40 Millionen genommen, Ferguson 25 Millionen.
Es ist kaum zu glauben. Vor allem bei Chris Ferguson, der kauzige Informatik-Doktor, der als Pionier auf dem Gebiet des Online-Poker gilt und damals entscheidend an der Entwicklung der Software beteiligt war. Wollte er am Ende einfach nur das schnelle Geld?
Ist der Vergleich mit Charles Ponzi, der das Schneeball-System in der Finanzwelt quasi erfunden hat, berechtigt? Ist Full Tilt von Beginn an auf Betrug ausgelegt gewesen? Zur Klärung dieser Frage müssen wir uns zunächst mit der Person Charles Ponzi und seinem betrügerischen System beschäftigen und dann untersuchen, ob Lederer, Bitar und Co. ähnlich gehandelt haben.
Charles PonziCharles Ponzi war laut Wikipedia ein italienischer Einwanderer und einer der bekanntesten Betrüger Amerikas. Er gründete 1920 in Boston die Firma „Securities Exchange Company“. Er versprach Investoren 50 Prozent Rendite in 45 Tagen oder die Verdoppelung des angelegten Geldes in 90 Tagen.
Weil das Geschäft so gut lief – er zahlte, wenn jemand seinen Gewinn sehen wollte – forderten die vertrauensseligen Kunden ihre Einkünfte nicht ein und ließen ihre „Gewinne“ wieder reinvestieren. Viele Menschen verpfändeten damals ihr gesamtes Hab und Gut, um nach der Ponzi-Methode reich zu werden.
Zu seinen Glanzzeiten nahm Ponzi täglich eine Million Dollar ein. Das Geld wurde in Schubladen, in Papierkörben und auf dem Boden gelagert und gestapelt. Ponzi flog schließlich auf, weil mehrere Kunden auf einmal ihr Geld sehen wollten und klar wurde, dass die angeblichen Gewinne in Wirklichkeit niemals existierten. Ponzi hatte das Geld der Kunden einfach für sich selbst verbraucht und auf Seite geschafft – wirklich gearbeitet hatte er damit nicht. Das klassische Schneeballsystem.
Als Schneeballsystem oder Pyramidensystem werden Geschäftsmodelle bezeichnet, die zum Funktionieren eine ständig wachsende Zahl Teilnehmer benötigen. Gewinne für Teilnehmer entstehen beinahe ausschließlich dadurch, dass neue Teilnehmer einsteigen und Geld investieren. Der Betrug besteht in der Täuschung, das gegebene Geld werde investiert und werfe die angepriesene Rendite ab. Bei der Durchsuchung in Ponzis Geschäftsräumen wurden damals nur 1,5 Millionen Dollar sichergestellt, insgesamt waren Ponzi aber 15 Millionen Dollar von rund 40.000 Kunden anvertraut worden.
Ähnlich war es bei Full Tilt: Am 31. März 2011 hat Full Tilt laut Staatsanwalt Bharara nur 60 Millionen Dollar auf den Konten gehabt – weniger als ein Sechstel der den Spielern geschuldeten Beträge. Anders als bei PokerStars, wo die Spielergelder auf einem Konto, das vom Firmenvermögen getrennt ist, aufbewahrt werden, bedienten sich die Eigentümer von Full Tilt schamlos aus dem schier unerschöpflichen Topf der Einzahlungen.
Die Täuschung bestand bei Full Tilt darin, den Spielern vorzugaukeln, sie könnten das eingezahlte Geld bzw. die Gewinne problemlos wieder auscashen. In der Realität wurde das Geld verbraucht und den Einzahlungen stand kein reales Geld mehr gegenüber. Das Realmoney-Game war in Wirklichkeit nur ‘Gedaddel’ mit Playmoney, erwachsene Menschen wurden dreist getäuscht. Spieler lasen Pokerbücher, ließen sich coachen, litten vor den Rechnern Höllenqualen oder freuten sich die Seele aus dem Leib. Alles für die Katz, alles war im Grunde eine einzige Farce.
Bernard MadoffEin Ponzi Scheme muss nicht unbedingt von Anfang an als ein solcher geplant sein. Viele Investitionsmodelle starten mit edlen Absichten und verändern ihr Gesicht erst im Laufe der Zeit. Wenn die Geschäfte nicht wie geplant laufen, gaukelt man seinen Kunden nicht existierende Gewinne vor, gewinnt Neukunden und bringt bestehende Kunden dazu, noch mehr zu investieren. Mit dem frischen Geld zahlt man allzu hartnäckige Bittsteller aus und bedient sich selbst. Nach mir die Sintflut. Ähnlich lief es beispielsweise bei Investmentbetrüger “Bernie” Madoff, der seine Kunden, unter ihnen Promis wie Steven Spielberg und Zsa Zsa Gabor, um mehr als 50 Milliarden Dollar erleichterte.
Aber warum das Ganze bei Full Tilt? Ein Online-Poker-Unternehmen in der Größe von Full Tilt ist bekanntermaßen eine “Cash-Cow”. Jeden Tag spielen tausende Spieler, es entsteht Rake en masse. Selbst wenn man die immensen Ausgaben für Marketing etc. abzieht, bleibt da ein dicker Gewinn. Im Gegensatz zum Ponzi Scheme sind bei Full Tilt lukrative Geschäfte getätigt worden.
Das macht es noch schlimmer. “Gier frisst Hirn”, lautete das Motto der Full Tilt Eigentümer. Während Leute wie Ponzi vermutlich zumindest am Anfang schlaflose Nächste hatten und dann in den Betrug “hineingerutscht” sind, schliefen die Full-Tilt-Eigner anscheinend blendend. Der tatsächlich erwirtschaftete Gewinn reichte ihnen nicht, es wurde mehr und mehr Geld entnommen.
Der Vertrauensverlust für Online-Poker ist gewaltig. Immer wieder kamen vor der Full-Tilt-Pleite von Außenstehenden Fragen, ob denn das Geld auf den Poker-Seiten überhaupt sicher sei. Noch Anfang des Jahres hätte fast jeder Pokerspieler geantwortet: “Klar, gerade bei den ‘global playern’ ist die Kohle gut aufgehoben. Die verdienen eh so viel, warum sollen die sich mit dem Geld auf und davon machen?”
Die Antwort fällt jetzt nicht mehr so leicht. Lederer, Bitar, Ferguson und Co. sei Dank. Und natürlich Ponzi nicht zu vergessen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 21.09.2011.