Kombinatorische Analyse ist eines der mächtigsten, verfügbarsten, aber auch kaum genutzten mathematischen Werkzeuge im Poker von heute. Man kann sie nutzen, um zu bestimmen, welchen prozentualen Anteil vom kompletten Handspektrum eines Gegners bestimmte Hände oder Handgruppierungen ausmachen. Damit können Sie das Handspektrum eines Gegners korrekt gewichten, wenn Sie den Erwartungswert (EV) einer Strategie bestimmen wollen.
Es ist schwierig, aussagekräftige Analysen von realen Spielsituationen zu treffen, wenn man das Handspektrum eines Gegners nicht gewichten kann. Das liegt daran, dass Poker ein Spiel mit unvollständiger Information ist. Während der Gegner tatsächlich immer genau eine Hand hält, wissen Sie gewöhnlich nie genau, welche Karten das exakt sind. Sie haben stattdessen Hinweise auf eine gewisse Bandbreite, in der sich sein Blatt befinden könnte. Wenn Sie am Pokertisch eine Entscheidung fällen, müssen Sie sich aufgrund der aktuell vorliegenden Informationen festlegen, um Ihren Erwartungswert zu maximieren.
Als Beispiel nehmen wir an, Sie spielen ein hypothetisches No-Limit Heads-Up-Match gegen einen Freund und der raist all in. Angenommen, Sie wissen, er wird dies ausschließlich mit Ax Ax oder 2 3 tun. Sie haben Kx Kx . Wenn Sie 1:1 für Ihr Geld bekommen, sollten Sie nach seinem Raise folden, selbst für den Fall, in dem Ihr Gegner 2 3 hält. Der Grund ist, Sie haben keine Information, die Sie darauf schließen lässt, wann der Gegner dies mit Ax Ax oder 2 3 macht. Wenn der Gegner diesen Zug macht wird er in 86% der Fälle Ax Ax haben, in 14% 2 3 . Wir können nun bestimmen, wie oft er Ax Ax in Relation zu 2 3 hält, indem wir kombinatorische Analyse anwenden.
Der Begriff „Kombination“ bezieht sich auf eine mögliche Anordnung verschiedener Elemente innerhalb einer Gruppe (die Reihenfolge der Elemente spielt dabei keine Rolle, d.h. A, B ist identisch B, A). Im Poker bedeutet Kombination eine mögliche Anordnung von Holecards. Zum Beispiel wäre A K eine mögliche Kombination innerhalb der Gruppe „beliebige A-K“. Es gibt 16 mögliche Kombinationen innerhalb der Gruppe „beliebige A-K“. Jede dieser Kombinationen kann als Einheit behandelt werden. Wenn die Einheiten innerhalb einer Gruppe gleichermaßen wahrscheinlich auftreten, kann man die Anzahl von Einheiten innerhalb einer Gruppe nutzen, um damit die Wahrscheinlichkeit einer Gruppe in Relation zu einer anderen zu ermitteln. Angenommen, wir haben eine Maschine, die zufällig aus 28 Kugeln (16 rote, 6 grüne und 6 blaue) auswählen kann, dann erhalten Sie in 57% der Versuche also 2,7 mal (16/6) häufiger eine rote Kugel (16/28) als eine grüne (6/28). Die gleiche Betrachtung gilt für den Vergleich A-K (16 kombinatorische Möglichkeiten) gegenüber A-A und K-K (je 6 kombinatorische Möglichkeiten). Wenn ein Gegner nur eine dieser drei Kombinationen halten kann, wird er A-K 2,7-mal so häufig halten wie A-A.
Der Gegner kann allerdings keine Karte aus dem Board, aus Ihrer Hand, aus dem Muck oder wenn sie sonst wie bekannt sein sollte, für sein Blatt nutzen. Wie viele Karten der Gegner für seine Kombination nutzen kann, bestimmt die Gesamtmenge von möglichen Kombinationen dieser bestimmten Hand, die der Gegner halten kann. Beispiel: Wenn 4 Asse für den Gegner verfügbar sind, kann er damit 6 verschiedene Kombinationen bilden, die in die Gruppe „A-A“ passen. Wenn nur 3 Asse verfügbar sind, existieren nur 3 mögliche Kombinationen für „A-A“.
Um zu bestimmen, wie viele Möglichkeiten es für ungepaarte Hold’em Startkarten innerhalb einer Gruppe gibt, müssen Sie die Zahl der unbekannten Karten der ersten Sorte mit der Zahl der unbekannten Karten der zweiten Sorte multiplizieren. Angenommen, es existieren 4 unbekannte Kings und 4 unbekannte Queens, dann sind 16 (4×4) verschieden Arten von „beliebige K-Q“ beim Gegner möglich. Wenn Sie einen King halten würden und es lägen zwei Queens im Flop, gäbe es drei unbekannte Kings, zwei unbekannte Queens und damit 6 (3×2) Möglichkeiten für „beliebige K-Q“ beim Gegner. Mit 4 unbekannten Kings und 3 unbekannten Queens können drei der Kings mit je einer Queen kombiniert werden, um „beliebige K-Q suited“ zu bilden, es existieren also 3 (3×1) Möglichkeiten innerhalb der Gruppe. Es existieren 6 mögliche Kombinationen für ein Pocketpaar, wenn vier Karten unbekannt sind, 3 Möglichkeiten bei 3 Unbekannten und 1 Möglichkeit bei 2 Unbekannten Mit den zwei beschriebenen Methoden können Sie jetzt die Anzahl der möglichen Kombinationen für jede Starthand im Hold’em ermitteln.
Komplexere Berechnungen für breitere Spektren sollten vielleicht eher mit einer geeigneten Software durchgeführt werden, anstatt „von Hand“. Wir empfehlen dafür Stoxpoker Combo, eine Software, die wir speziell entwickeln ließen, um diese Aufgabe bewältigen zu können.
Jetzt, da wir das Thema „Kombination“ und deren Bestimmung behandelt und verstanden haben, wollen wir ein paar Beispiele durchgehen, wie Sie kombinatorische Analyse nutzen können, um alltägliche Pokerprobleme zu lösen. In unserem ersten Beispiel handelt es sich um ein NLHE-Spiel. Wir halten Tx Tx und raisen aus der Position drei vor dem Button auf 12$. Alle folden bis zum BB, der eine 3-Bet auf 40$ abfeuert. Sie callen. Im Flop fallen Ax Ax 2x und der Big Blind spielt 60$ an. Sie schätzen seine möglichen Karten auf Jx Jx bis Ax Ax und Ax Kx ein. Sie glauben außerdem, dass dieser bestimmte Gegner Jx Jx bis Kx Kx immer folden wird, wenn Sie auf 200$ raisen. Der Pot bietet Ihnen 140 : 200 für diesen Bluff, der Gegner muss also in 58% der Fälle folden, damit Sie unmittelbar einen Profit erwirtschaften. Es existieren 18 Kombinationen von Jx Jx bis Kx Kx und 9 Kombinationen von Ax Ax und Ax Kx , die der Gegner haben kann. Deswegen foldet er in 67% (18/27) der Fälle, wenn Sie auf 200$ raisen, damit wäre der Bluff profitabel. Wäre der Flop stattdessen Ax 7x 2x , würde er in 46% (15/33) der Fälle folden; der Bluff wäre dann nicht profitabel.
Im nächsten Beispiel betrachten wir ein häufiges Limit-Hold’em Szenario. Wir halten 3x 3x und check-raisen einen Flop von Tx 9x 3x . Im Turn fällt eine 4x , wir spielen an und unser Gegner callt. Der River bringt eine 8x , wir spielen an und der Gegner raist. Ein Flush ist nicht möglich. Sie glauben, dieser Gegner könnte entweder Tx 8x , 9x 8x , 8x 8x oder Qx Jx halten. Sie glauben, er wird ein Reraise auf dem River mit jeder seiner schwächeren Hände callen, und Sie möchten wissen, ob Sie ein Value-Reraise machen sollten. Es existieren unter diesen Bedingungen 18 Tx 8x und 9x 8x -Kombinationen und 19 Kombinationen für 8x 8x und Qx Jx . Sie sollten hier also unter keinen Umständen ein Value-Reraise versuchen.
In unserem letzten Thema soll es nun um das Gewichten von Kombinationen gehen. Zu beginn dieses Artikels hieß es, man könnte verschiedene Kombinationen miteinander vergleichen, wenn sie gleich wahrscheinlich wären. Manchmal allerdings könnte ein Gegner eine Hand viel wahrscheinlicher halten als eine andere. Angenommen im vorigen Beispiel schätzten Sie Ihren Gegner als sehr aggressiv ein und dachten, er würde mit 75% Sicherheit sowohl auf dem Flop als auch dem Turn mit Qx Jx als Semibluff raisen. Wenn das zutrifft, wird der Gegner nur in 25% der Fälle Qx Jx -Kombinationen genau so wie 9x 8x -Kombinationen spielen. Um dem Rechnung zu tragen, können Sie die Kombinationen gewichten, indem Sie sie mit der angenommenen Wahrscheinlichkeit multiplizieren, dass der Gegner die zugehörigen Kombinationen auf eine bestimmte Weise spielt. Im vorigen Beispiel gäbe es also immer noch 18 Kombiationen für Tx 8x und 9x 8x , aber nur 7 (16×0,25 + 3) Kombinationen für Qx Jx und 8x 8x . Unter diesen Bedingungen wäre ein Value-Reraise vernünftig.
Wenn man es mit engen Spektren zu tun hat, können kombinatorische Analysen oft in Echtzeit erledigt werden (und schätzwerte beim Dividieren werden nicht bestraft). Die Fähigkeit dazu ist ein äußerst wertvolles Werkzeug für jeden ernsthaften Pokerspieler. Bei breiteren Spektren kommt man oft auf gute Näherungswerte. Wenn Sie solche Szenarios in echten Spielen routinemäßig analysieren und damit ermitteln, welche Anteile eines Spektrums welche Hände bei bestimmten Boards möglich machen, werden Sie sehr schnell einen scharfen Sinn dafür entwickeln, wie oft Ihre Gegner verschiedene Arten von Händen halten, ohne dafür tatsächlich jedes einzelne Szenario im Kopf durchrechnen zu müssen.
Viele Spieler, die seit Jahren Poker spielen, haben starke intuitive Fähigkeiten dafür entwickelt, welche Bandbreiten von Händen zu verschiedenen Boards passen können. Ein positiver Nebeneffekt regelmäßig durchgeführter kombinatorischer Analyse ist neben den offensichtlichen Vorteilen, quantitative anstatt intuitive Daten zu nutzen, dass Sie diesen Sinn für die möglichen Holecards beim Gegner viel schneller entwickeln als diejenigen, die sich nur auf Erfahrung und Intuition verlassen.
Bryce Paradis
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 30.07.2008.