Nein, Sportsfreunde, das ist keine dieser ach so sinnigen, ach so lustigen Bezeichnungen für eine überspielte Hand mit einem Overpair und einer Backdoor-Double-Belly-Buster-Straight–Chance von ungefähr 37,4 Prozent.
Das ist eine medizinische Bezeichnung. Für die größte aktuell grassierende Krankheit. Nicht die Vogelgrippe, kein Schnupfen und auch nicht Impotenz (das heißt anders, sagt mein Urologe). Die unter uns Pokerspielern, uns Raise-All-In-Enthusiasten am häufigsten vorkommende Krankheit –die chronische, akute, in Teilen auch übermütige Selbstüberschätzung.Ich muss bekennen, ja, auch ich leide darunter.
Die typisch kognitive Verzerrung der Realität gaukelt mir jeden Tag vor, dass ich gut aussehe, fast so wie Brad Pitt (in echt aber eher eine Kreuzung aus Rudi Carell und Reiner Calmund). Natürlich denke ich, dass meiner 25 cm lang ist. Im Normalzustand. Und genauso wenig selbstkritisch sehe ich meine Chancen bei 20- bis 25-jährigen extrem hübschen, äußerst kopulationswilligen, überwiegend blonden Mädchen.
Oder das Thema Kochen. Ich meine mindestens 2 Sterne am Herd hinzuzaubern. Habe trotzdem gestern die Ravioli aus der Büchse anbrennen lassen. Obwohl ich schon das Perfekte Dinner auf Vox gewonnen habe.
Oder der Jobbereich. Das tägliche Schuften und Ackern. Fast alle glauben doch, dass sie den Job des Vorstandsvorsitzenden eines beliebigen deutschen Dax-Konzern besser und effektiver hinbekommen als die derzeitige Pfeife an der Spitze, die nur durch Glück und Beziehungen an diese Position gekommen ist. In Wahrheit aber sind die meisten dieser Gedankenträger schon in ihrem aktuellen Beruf als Hartz 5-Empfänger oder Kopier-Assistent oder Postschalterfachaushilfe schon heillos überfordert.
Wie sagte schon der österreichische Philosoph (und, Freunde, ganz ehrlich, die Österreicher müssen das schließlich wissen) Volker Lotz oder Lötz oder ähnlich: „Entscheidungen fallen auf Basis der eingestandenen Ahnungslosigkeit realistischer aus, als aus einer Position der Selbstüberschätzung“. Das habe ich zwar nicht wirklich verstanden, aber es ist eine prima Überleitung zum Pokern.
Die meisten der freilaufenden, sich extrem gut findenden 10-Euro-Sachpreis-Turniere-spielenden Mitbewerber schätzen doch ihre Leistung als besonders wichtig, richtig und gut ein. Fehlgeleitet in der Feststellung der eigenen tatsächlich vorhandenen Kompetenz. 84 off ist einfach ne monstergeile Hand, vor allem für ein Re-Re-Raise-Preflop. Schließlich kam vor 3 Wochen mal 874 auf dem Flop. Muss ich raisen, hab lange keine Hand mehr gespielt. Außerdem bin ich der Beste hier am Tisch, die anderen haben schon lange Respekt und Angst vor mir.
Weil, ich hab ja auch die größte und geilste Sonnenbrille auf. Und kann so böse schauen. Und meiner ist 27 cm lang. Außerdem lässt man sich lieber mit nem Dreckscall feiern als mit den geknackten Assen bemitleiden, auch das ein menschlicher Zug, eine Wesensart, die garantiert auch eine medizinische Fachbezeichnung hat.
Fehlender Sachverstand meets nicht vorhandenen Intellekt. Und das bei Sit and Gos, wo die meisten sehr verwunderlich sehr schnell go´en müssen, weil nicht alle 72 durchprügeln können.
Ja, so sind wir Pokerspieler. Genetisch bedingte stark ausgeprägte Egos, verbunden mit dem Gefühl der Unbesiegbarkeit, gepaart im Wissen um unsere Wichtigkeit und Stärke. Deshalb lieben wir uns auch alle, trotz unserer Krankheit.
Nur ich bin halt anders, ich bin wirklich gut im Pokern. Das muss man mal ganz realistisch so sehen. Und im Juni in Vegas hau ich Doyle Brunson vom Tisch, die Pfeife.
Morgen aber muss ich erstmal zum Arzt, neue Tabletten holen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 05.02.2010.