Was muss eine Person tun, um “gutes Poker” zu spielen? Selbst die Meinungen erfahrener Spieler gehen bei diesem Thema weit auseinander. Dabei gibt es nur eine korrekte Definition.
Das Ziel eines Pokerspielers muss darin bestehen, immer die Strategie mit dem höchsten Erwartungswert zu wählen. Jede Pokerentscheidung besteht aus zwei Teilen:
1. Einer Annahme über die gegnerische Strategie und2. der Wahl der Strategie mit dem höchsten Erwartungswert auf Basis der Annahme.
Gutes Poker ist dann:
“Die auf Basis der verfügbaren Informationen bestmögliche Annahme über die gegnerische Strategie und die Wahl der Strategie mit dem höchsten Erwartungswert gemäß dieser Annahme.”
Wenn Ihnen diese beiden Dinge gelingen, werden Sie langfristig das meiste Geld gewinnen. Poker ist ein Spiel mit unvollständiger Information. Die Karten und Strategien der Gegner sind unbekannt. Hier sind einige Punkte, die nicht zu gutem Poker gehören.
Bei gutem Poker geht es nicht darum, die exakten Karten des Gegners zu kennen. Nehmen wir an, Sie spielen mit einem Freund No Limit Hold’em und er raist vor dem Flop All-In. Sie wissen, dass Ihr Freund dies nur mit 2 3 oder AA macht. Sie halten KK und sein Raise bietet Ihnen Odds von 1 zu 1. Sie sollten selbst dann folden, wenn Ihr Freund 2 3 hält. Sie besitzen keine Information, die es Ihnen erlauben würde, zwischen einem All-in mit 2 3 oder AA zu unterscheiden. Nach Ihrer Kenntnis hält Ihr Gegner in 14 % der Fälle 2 3 und in 86% der Fälle AA.
Bei gutem Poker geht es nicht darum, hellseherische Fähigkeiten zu haben. Gehen wir davon aus, Sie spielen gegen einen Spieler, der zu 20 % blufft, wenn er bettet. Er bettet. Blufft er? Wie im vorherigen Beispiel gibt es keine Informationen, die Ihnen erlauben, zwischen einem Bluff und einem Nicht-Bluff zu unterscheiden. Sie wissen nur, er blufft zu 20%, und müssen Ihre Strategie dementsprechend wählen.
Zu guter Letzt geht es bei gutem Poker nicht darum, die genaue Strategie Ihres Gegners zu kennen. Stellen wir uns vor, Sie würden zum allerersten Mal Poker spielen. Ihre ersten 1.000 Gegner hatten vor dem Flop mit jeder Hand All-In geraist. Ihr 1.001.Gegner spielt seine erste Hand. Er geht All-In. Sie gehen davon aus, dass er das sehr wahrscheinlich mit beliebigen zwei Karten tut und entscheiden sich für einen Call mit KK. Es stellt sich heraus, dass die Strategie dieses Gegners darin besteht, nur mit AA all-in zu gehen. Die Annahme, die Sie bezüglich der gegnerischen Strategie getroffen hatten, war kein Fehler. Aufgrund der verfügbaren Informationen war sie absolut vernünftig. Hätten Sie dagegen schon Hunderte von Händen gegen diesen Gegner gespielt und dieser hätte selten vor dem Flop All-In geraist, dann wäre diese Annahme unklug.
Wie lernt man, ein guter Pokerspieler zu werden? Zuerst einmal muss man verstehen, dass die beiden Teile einer Pokerentscheidung verschieden sind.
Eine Annahme über die gegnerische Strategie ist ein induktives (intuitives) Urteil. Da die gegnerische Strategie unbekannt ist, wird man nie feststellen können, wie genau diese Annahmen sind. Falls Sie beispielsweise gesehen haben, wie Ihr Gegner in vier von vier Händen geblufft hat, können Sie trotzdem nicht davon ausgehen, dass seine Strategie darin besteht, immer zu bluffen. Man sollte die Schlussfolgerungen, die man aus den verfügbaren Informationen zieht, kritisch hinterfragen, um sicherzugehen, dass man vernünftige Urteile trifft. Das führt zu genaueren Annahmen. Es ist wichtig, sich die Zeit für das Hinterfragen seiner Urteile zu nehmen. Welche Informationen sind verfügbar? Haben Sie Informationen ignoriert? Wurden alle Informationen angemessen berücksichtigt? Nur eine sorgsame und ehrliche Prüfung der Annahmen stellt sicher, dass diese so genau wie möglich sind.
Da unsere Annahmen auf einem induktiven Prozess basieren, ist der Versuch, “gute Annahmen” zu treffen, ineffektiv. Auch wenn sehr allgemeine Regeln wie “unser Gegner wird KK vermutlich nicht vor dem Flop folden” meistens wahr sind, kann es äußerst schwierig sein, sich aller Faktoren für die Annahmen zu entsinnen. Davon, sie wiederzugeben ganz zu schweigen. Nur durch große Erfahrung kann man die Fähigkeit entwickeln, die bisherigen gegnerischen Aktionen so zu deuten, dass man Rückschlüsse auf seine zukünftigen Aktionen ziehen kann. Daher sollte man nicht viel Wert auf Ratschläge legen, die einem sagen, was der Gegner tut.
Die Wahl der Strategie mit dem höchsten Erwartungswert auf Basis der Annahmen ist ein deduktiver (logischer) Prozess. Es ist mathematisch möglich, den Erwartungswert einer Strategie zu bestimmen. Man kann volles Vertrauen in seine strategischen Entscheidungen haben. Leider ist die Berechnung des Erwartungswerts einer Strategie manchmal leichter gesagt als getan.
Der perfekte Pokerspieler besitzt die Fähigkeit, den Erwartungswert jeder Pokerentscheidung zu berechnen. Das ist aber ein unrealistischer Anspruch an sich selbst. Die Berechnung des Erwartungswerts einer Strategie über vier Straßen ist eine übermenschliche Aufgabe. Sie wäre nicht nur extrem schwierig, sondern auch unpraktisch. Pokerspieler tendieren daher bei vielen strategischen Entscheidungen dazu, empirische (auf Erfahrung basierende), statt analytische (auf Logik basierende) Daten zu verwenden. Die Lernkurve bei Poker kann sehr steil sein und viele Spieler verlassen sich auf allgemeine strategische Ratschläge. Um ein guter Pokerspieler zu werden, muss man verstehen, weshalb allgemeine Ratschläge und empirische Daten der mathematischen Analyse bei der Wahl der Strategie unterlegen sind. Dann lassen sich die verfügbaren Hilfsmittel klug einsetzen.
Die Bedingungen, unter denen die allgemeinen Ratschläge zutreffen, sind nicht unbedingt die Bedingungen in der Partie, in der Sie pokern. Ein sinnvoller Ratschlag lautet: “Man sollte auf dem River nie mit der zweitbesten, möglichen Hand auf eine kleine Bet folden.” Meiner Erfahrung nach ist das wesentlich öfter richtig als falsch. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass ein Unterschied zwischen der Aussage “ein Spielzug ist gut” und einem guten Spielzug besteht. Der Erwartungswert einer Strategie ist eine Funktion dessen, was riskiert wird, im Vergleich zum potentiellen Gewinn und der Wahrscheinlichkeit des Eintretens der jeweiligen Ereignisse. Es können Situationen auftreten, in denen Ihre Gegner Strategien wählen, durch die obiger Ratschlag inkorrekt wird.
Allgemeine Ratschläge, die meistens korrekt sind, sind nützlich und besser als das Gegenteil. Die besten allgemeinen Ratschläge versuchen mit Hilfe von Einschränkungen so genau wie möglich zu sein. Die Zahl der Einschränkungen kann jedoch nur begrenzt sein. Der perfekte Pokerspieler wird sich oft nach dem guten allgemeinen Ratschlag richten, aber auch Bedingungen erkennen, unter denen der Ratschlag inkorrekt ist, und dann entsprechend abweichen.
Schlussfolgerungen aus empirischen Daten sind Verallgemeinerungen. Nehmen wir an, Sie raisen 76o auf dem Button 10.000 Mal und machen damit Profit. Diese Daten könnten dazu verwendet werden, die Regel aufzustellen: “Mit 76o auf dem Button sollte man raisen.” Damit wird nicht auf alle Bedingungen eingegangen, die herrschen könnten – zum Beispiel Ihre Strategie und die Strategien Ihrer Gegner. Dieser Ratschlag ist eine Verallgemeinerung. Die Schlussfolgerung eine wohlbegründete Vermutung. Bei der Verwendung empirischer Daten sollte einem bewusst sein, was die Daten einem sagen, und was nicht.
Theoretisch wäre es möglich, eine große Anzahl gegnerischer Strategien aufzulisten und mit Hilfe mathematischer Analysen die optimalen Gegenstrategien zu ermitteln. Auch das wäre extrem unpraktisch, sowohl für einen Lehrer als auch für einen Schüler. Man gibt keine allgemeinen Ratschläge, weil dies theoretisch ideal ist, sondern weil es praktisch und effektiv ist, um relativ gutes, aber kein perfektes Poker beizubringen. Trainern sollten die Nachteile allgemeiner Ratschläge bewusst sein, damit sie diese intelligent und effektiv einsetzen.
Absolute Anfänger sollten die Ratschläge beherzigen, solange sie keinen guten Grund dafür haben, anders zu agieren. Sie sollten aber auch erkennen, dass es ihr Ziel sein muss, sich zu einem reiferen Spieler zu entwickeln, der die notwendigen Fähigkeiten besitzt, um selbst intelligente strategische Entscheidungen zu treffen. Die schnellste und effektivste Methode dazu besteht in der Berechnung von Erwartungswerten einfacher Strategien. Das erfordert ein gewisses Können in der Poker-Mathematik.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 21.10.2008.