Nein, ich kann diese Teile und mahnende Stimmen von mir einfach nicht unterdrücken. Nach einer schlaflosen Nacht voller Selbstzweifel, quälender Fragen, weshalb ich so ausschließlich positiv die Angelegenheit beleuchtet, muss ich auch jenen Stimmen in mir nun Raum geben, die ja inzwischen ganz andere Einsichten bezüglich des Pokerns und vor allem diverser Protagonisten gewinnen musste. Nein, ich darf nicht immer nur alles positiv und in Bezug auf die Ressourcen und Entwicklungen betrachten. Selbst als Psychologe gilt es zuweilen auch die Probleme und Widrigkeiten anzusprechen, auch wenn man dafür ganz bestimmt nur seltenst wird geschätzt. Ich leiste nun also doch Abbitte bezüglich meines allzu oberflächlichen Geredes von gestern und möchte keinesfalls ausschließen, dass ich bereits morgen schon wieder eine ganz abweichende Meinung könnte vertreten.
Poker fällt nun mal unter “Glücksspiel” und das zumindest teilweise durchaus zu Recht, so wie es gespielt wird! Wenn eine “Deutsche Pokermeisterschaft“ in einem Spielcasino ausgetragen wird und die Blinds am Ende so dramatisch hoch sind, dass man quasi immer All In gehen muss, um keinen Fehler zu machen, dann könnte man das Ganze auch am Roulettetisch ausspielen. Wenn private Anbieter “Pokerturniere” anbieten mit 10 Minuten Blindlevel und entsprechender Struktur, dann ist es nicht anders. Und wer kontrolliert denn zudem, dass dort alles mit rechten Dingen zugeht, und nicht 5 clevere Freunde des Dealers den Hauptpreis abstauben? Zugegeben, das wäre dann nicht Glück, sondern Betrug, aber heutzutage ist man ganz offensichtlich davor aufgrund aktuell oft viel zu blauäugiger Casinomanager ja nicht einmal in den staatlichen Casinos geschützt. (siehe Hamburg etc). Dazu kommt, dass es auch im Onlinebereich keinen wirklichen Schutz oder eine staatliche Kontrolle gibt, und auch hier häufen sich zuletzt die Skandale (AP und jetzt UB…).
Dass dies die große Gemeinde der Pokerspieler anscheinend erst gar nicht groß interessiert, bzw. man sofort wieder an die entsprechenden virtuellen Tische zurückkehrt, mag ein weiteres Indiz dafür sein, dass hier einige nicht ganz Herr ihrer Sinne sind und vielleicht geradezu todessehnsüchtig bzw. einem gewissen Nervenkitzel bereits verfallen sind und schon deshalb vor sich selbst, der eigenen „Sucht“ und entsprechenden Angeboten geschützt werden müssen! Würden McD oder BurgerK über längere Zeit Burger aus Rattenfleisch in den Verkauf bringen, wie groß wäre der Aufschrei und die Frage nach den Lücken beim Verbraucherschutz? Der jeweilige Konzern könnte die eigenen Aktien gleich für wertlos erklären und den Laden schließen. Wo ist die Kontrolle bei den Online-Casinos und wen kümmert es hier überhaupt groß? Darüber hinaus wage ich zu behaupten, dass der Glücksfaktor eines Turniers auch von der Teilnehmerzahl und der Preisstruktur deutlich abhängt. Beim Mainevent der WSOP mit 8000 Spielern hat schon lange kein Profi mehr gewonnen und selbst bei ordentlicher Spielstruktur: Bei so einem Massenevent tritt der Glücksfaktor erheblich in den Vordergrund und neben einem gewissen Können, das man natürlich hier auch braucht, gewinnt ganz sicher nur jener, der nicht nur viel Glück, sondern auch noch gar kein Pech dazu hat. Ich glaube, beim Mainevent und ähnlichen Turnieren kann man selbst für die besten Pokerspieler nicht mehr von einem positiven Erwartungswert ausgehen. Hier haben letztendlich praktisch doch sehr sehr Glückskinder in spe eine fast ähnliche Chance zu gewinnen, und das Können tritt je mehr Spieler sich tummeln umsomehr in den Hintergrund. Bei einer Schachweltmeisterschaft oder der Fußball EM gewinnt sicher eher der, der aktuell die beste Leistung bringt und Glück spielt sehr viel weniger eine Rolle. Der Mainevent hat doch gerade erst seit dem Sieg vom Moneymaker als damaliger Amateur so großen Zulauf bekommen, mit der Hoffnung, das könnte, fast wie beim Lotto ja jeder selbst schaffen. (Für je mehr dies tatsächlich möglich ist, desto größer hier der Glücksfaktor so meine These, und deshalb ist die WSOP im Casino vollkommen richtig am Platz.)
So schwierig es also schon für Vater Staat ist in den Casinos selbst für einen ordentlichen Spielbetrieb in Bezug auf Poker als Glücksspiel zu sorgen ist, desto schwieriger ist dies für alle anderen außerhalb vom Casino. Hier gibt es aktuell keine richtige Kontrolle, teilweise gleichen die Turniere eher Verlosungen. Wer weiß genau, in welchem Umfang nicht nur in diversen Hinterzimmern betrogen wird und der gesamte Bereich ist völlig außer entsprechender Kontrolle. Die Pokergemeinschaft selbst und die entsprechenden Experten scheinen sich daran auch nicht groß zu stören, man registriert vielleicht diverse Regelverstöße und Übertretung, schreibt man hier oder dort einen kritischen Artikel, schaut aber ansonsten einfach zu, wie unser Staat sich eher plump und recht unerfahren damit quält. (Außer natürlich einem der es sich neuerdings zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, mit entsprechenden juristischen Abmahnungen für Recht und Ordnung auf den Internetseiten nichtkommerzieller Pokervereine zu sorgen. Irgendwo muss man ja schließlich amohl ofangä, gell?).
Was also spricht hier dagegen, die ganzen außerstaatlichen kommerziellen Pokeranbieter zu verbieten? In einer Kultur, wo man wahrscheinlich eh kaum noch „erwachsen“ werden kann, ist „Jugendschutz“ eben etwas weiter zu fassen, und in Anbetracht der doch gerade sprichwörtlich lemminghafter Verhaltensweisen soo vieler „Pokerspieler“ bzw. Glücksritter hier, in einer Gesellschaft in der für immer weniger Menschen wirklich gewisse Chancen bestehen – muss man diese armen Benachteiligten da nicht zumindest davor bewahren, dass sie sich häufig auch auf diese Weise noch abzocken lassen? Gesundheitlich alles andere als um sich selbst möglichst liebevoll bemüht, verlassen manche online sogar erst gar nicht mehr die virtuellen Tische, trainieren ihre Ressourcen monoton einseitig, entfremden sich immer mehr dem Leben ihrer Mitmenschen. Diese Poker“gemeinschaft“ besteht vor allem eben aus Glücksrittern, egoistischen Abzockern, waagemutigen Einzelkämpfern, die selbst unfähig, besser auf sich selbst und Mitspieler aufzupassen, nur den eigenen Vorteil und Profit im Blick doch viel zu häufig in Gefahr sind, sich selbst zu schädigen.
Stefan Schüttler
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.06.2008.