Am Mittwoch hat der Landtag in Kiel im Alleingang das Glücksspielrecht liberalisiert und damit Fakten geschaffen. Schleswig-Holstein ist damit aus dem bisherigen Konsens der Bundesländer namens Glücksspielstaatsvertrag ausgeschert und will zukünftig Sportwetten, Online-Poker und noch mehr erlauben.
Nachdem sich am Wochenende die Aufregung über diesen drastischen Schritt etwas gelegt hat, ist es Zeit, das Ganze in Ruhe zu rekapitulieren. Es stellen sich brennende Fragen: Was bedeuten die Änderungen konkret für die Pokerspieler? Kann ab März jeder in Schleswig-Holstein ein Card-Casino eröffnen oder neue Online-Poker-Server aufstellen? Wie wahrscheinlich ist es, dass das Gesetz Bestand haben wird?
Politikum Glücksspielrecht
Beim Thema Glücksspielrecht scheiden sich die Geister. Während Schwarz-Gelb eher für eine Liberalisierung ist, scheint Rot-Grün den Schwerpunkt beim Schutz der Bevölkerung vor den negativen Konsequenzen der Spielsucht zu sehen und beharrt verbissen auf dem Festhalten am Glücksspielmonopol des Staates.
Auch im Kieler Landtag zeigte sich am Mittwoch genau dieser Streit. Das Gesetz wurde mit einer knappen Mehrheit von 46 zu 45 Stimmen beschlossen, die schwarz-gelbe Regierungsfraktion fungierte als Triebkraft der neuen Gesetzgebung. Vereinfacht ausgedrückt, ist die Diskussion um eine Legalisierung von Online-Glücksspielen in Deutschland eine Art Stellvertreterkrieg zwischen Links und Rechts.
Demgemäß äußerte sich der CDU-Abgeordnete Hans-Jörn Arp: “Wir erkennen das Internet als Markt an, den man kontrollieren muss. Das ist zurzeit nicht der Fall.” Die SPD lässt durch ihren Fraktionschef Ralf Stegner verlautbaren, dass die neuen Beschlüsse ein “Weg ins Abseits” seien und die Regierungskoalition Schleswig-Holstein dadurch schade. Die Koalition bediene private Profitinteressen zulasten des Gemeinwohls, das sei “gesellschaftspolitischer Wahnsinn”.
Die geplanten Neuerungen
Die vorgesehenen Änderungen sind immens: Glücksspiel-Unternehmen, die ihren Sitz in der EU haben, dürfen sich in Zukunft in Schleswig-Holstein ansiedeln und von dort ihre Dienste anbieten. Eine Marktabschottung wie in Frankreich oder Italien wird es nicht geben. Mit anderen Worten: Deutsche in Schleswig-Holstein dürfen im Internet dann nicht nur gegen Deutsche spielen sondern gegen den ganzen Rest der Welt.
Ob Deutsche aus anderen Bundesländern bei den in Kiel lizensierten Anbietern spielen dürfen, ist noch ungeklärt. Vieles spricht aber dafür, vor allem die fehlenden Mechanismen zur Kontrolle.
Derzeit ist der Online-Poker-Bereich eine rechtliche Grauzone, die durch das neue Gesetz beseitigt wird. Deutsche können – sofern das Gesetz in Kraft tritt – ab März 2012 erstmals völlig legal bei einem in Deutschland lizensierten Anbieter spielen. Bisher war juristisch vor allem umstritten, wo beim Online-Poker das eigentliche Spiel stattfindet. Geht man davon aus, dass es auf dem Server in einem Land passiert, wo es lizensiert und legal ist, wäre es erlaubt. Klassifiziert man den heimischen Rechner als Spielort und dieser steht in einem Land, wo es verboten ist, wäre es verboten, im Ergebnis läge ein unerlaubtes Glücksspiel vor.
Zu den geplanten Abgaben an den Staat: Das Kieler Gesetz sieht 20 Prozent auf den “Rohertrag” seitens der Unternehmen vor. Ob und wie die Spieler besteuert werden, bzw. ob und wie die Anbieter die geplanten Abgaben an die Spieler weitergeben, ist noch ungeklärt. Das Land rechnet mit 60 Millionen Euro Mehreinahnen. Ob diese Rechnung realistisch ist, ist jedoch fraglich. Viele Anbieter werden wohl auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes aus dem Ausland operieren, schlicht und einfach weil es dort billiger ist.
Live-Poker bleibt weiterhin außerhalb der staatlichen Casinos verboten, sofern es öffentlich bzw. gewohnheitsmäßig stattfindet. An der bestehenden Gesetzeslage ändert sich in diesem Bereich nichts. Vor allem § 284 StGB bleibt weiterhin gültig, der das unerlaubte Veranstalten von Glücksspielen strafrechtlich sanktioniert.
Eine Begrenzung der Anzahl der Lizenzen wird es nicht geben, sie gelten zunächst für zwei Jahre, danach wird die Geltungsdauer auf fünf Jahre erhöht. Eine Lizenz erhält, wer “die für den beabsichtigten Spielbetrieb erforderliche Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Sachkunde besitzt.” Die Lizenz ist zu versagen, wenn “durch den beabsichtigten Spielbetrieb die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet wird oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten beeinträchtigt werden” oder “die Gefahr besteht, dass durch die Zusammenarbeit mit Dritten die Transparenz und Möglichkeit der Überwachung des Vertriebs oder einer etwaigen Vermittlungstätigkeit beeinträchtigt werden”.
Wie wahrscheinlich ist es, dass das Gesetz in Kraft tritt?
Zwei Hauptprobleme gibt es mit dem neuen Gesetz. Da ist zunächst einmal eine Klausel, die besagt, dass die Regelungen nur gelten werden, wenn sich die anderen Bundesländer bis zum 29. Februar nicht auf ein gemeinsames Glücksspielrecht geeinigt haben. Es könnte also sein, dass sich bundesweit eine Neuregelung des Glücksspielstaatsvertrages im Sinne der Kieler ergibt und somit das Ländergesetz überflüssig wird.
Der momentan geplante Entwurf zum Glücksspielstaatsvertrag ist offensichtlich nicht europarechtskonform und der federführende Ministerpräsident Kurt Beck von der SPD scheint auch nicht willens, diesen zu ändern. Seiner Ansicht nach, habe Schleswig-Holstein “ohne Not” den gemeinsamen Weg verlassen. Problematisch waren in der bisherigen geplanten Neuregelung des Glücksspielstaatsvertrages vor allem die vorgesehenen Netzsperren für illegale Angebote. Die Bundesregierung hatte diese schon im Bereich der Kinderpornographie vorgesehen und war damit wegen offensichtlicher verfassungsrechtlicher Bedenken kläglich gescheitert.
Es könnte aber durch den Kieler Alleingang dazu kommen, dass die Stimmung in der Länderkommission kippt und man doch noch bis Ende des Jahres zu einer sinnvollen Einigung im Sinne einer Liberalisierung kommt. Letztlich brauchen die Staatskassen dringend Geld und genau das geht ihnen momentan durch die private Lotterie- und Sportwetten-Konkurrenz verloren. Da liegt es nahe, diese zu lizensieren und so dringend benötigte Einnahmen zu generieren.
Sollte Kiel tatsächlich im nächsten Jahr ein eigenes Glücksspielrecht haben, kann es sein, dass das Land selber das Gesetz wieder kippt. Die SPD hat schon angekündigt, dass es die Bestimmungen im Falle eines Regierungswechsels bei den Landtagswahlen im Mai 2012 schnellstmöglich aufheben wird. Aber dazu muss die SPD die Wahl erst mal gewinnen und auch nach einem Wahlsieg stehen möglicherweise erst einmal dringlichere Aufgaben auf der Agenda.
Stimmen zum neuen Gesetz
Natürlich behagte das Gesetz vor allem die Online-Poker-Unternehmen. Sven Stiel von PokerStars sagte beispielsweise: “Wir freuen uns, dass die über vier Millionen Online-Poker-Spieler in Deutschland nun endlich einen sicheren Hafen erhalten. PokerStars wird hier eine Lizenz beantragen, so wie zuvor in Italien und Frankreich. Spielerschutz, Arbeitsplätze und Kanalisierung sind mit dem Kieler Modell sehr gut zu realisieren.”
Dr. Peter Reinhardt, der bei Betfair für Deutschland und Zentraleuropa zuständig ist sagt: “Das Kieler Gesetz ermöglicht es seriösen Wettanbietern, in Deutschland Sportwetten, Poker und andere Glücksspiele transparent und legal anzubieten und zu bewerben. Davon werden nicht nur Verbraucher, sondern wie in anderen europäischen Ländern auch der Fiskus sowie der Profi- und Amateursport profitieren. Deutschland legt heute den Grundstein für das modernste Glücksspielrecht Europas.”
Weniger begeistert gab sich der oben erwähnte SPD-Fraktionsvorsitzende von Schleswig-Holstein Ralf Stegner. Er nannte den Alleingang “einen Totalschaden für das Land” und sprach von “gesellschaftspolitischem Wahnsinn”. Er sagte: “Wer glaubt, dass er mit Glücksspiel das Land sanieren kann, handelt genauso wie der überschuldete arme Schlucker, der sein Heil im Spielkasino sucht.” Monika Heinold von den Grünen sah in dem Gesetz die “Aufkündigung der föderalen Solidarität” und bescheinigte der Regierungskoalition “dilettantisches Vorgehen”.
Fazit
Egal wie die Sache ausgeht, Kiel hat den richtigen Schritt in Richtung Liberalisierung gemacht. Auch wenn das beschlossene Gesetz wahrscheinlich nur ein “Tritt in den Allerwertesten” der Länderkommission ist. Diese Kommission soll endlich einen neuen Glücksspielstaatsvertrag auf den Weg bringen, der europarechtskonform ist und den gesellschaftlichen Realitäten Rechnung trägt. Im neuen Jahr läuft der bestehende Glücksspielstaatsvertrag aus. Bis dahin muss etwas passieren.
Viel Zeit bleibt nicht mehr.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 18.09.2011.