Wie erklärt sich das Phänomen Erik Seidel? Wie kann man innerhalb von etwas mehr als zwei Monaten 4,3 Millionen Dollar Turniergewinne einfahren? Was zeichnet Erik Seidel als Spieler aus? Wo liegen seine Wurzeln? Auf diese Fragen werden wir in diesem Artikel Antworten suchen.
Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Erik Seidel hat ein irres Jahr 2011 zu verzeichnen.
Beim PokerStars Caribbean Adventure kassierte er insgesamt 350.000 Dollar, er wurde Dritter beim $100K High Roller der Aussie Millions, nur um dann beim $250K Super-Highroller zu siegen und nochmal 2,4 Millionen Dollar zu machen.
Mit dem 750.000-Dollar-Sieg beim NBC Heads Up Championship vom Sonntag belaufen sich seine Lifetime-Turniergewinne auf insgesamt 14,7 Millionen Dollar. Dazu hat er mal so eben acht WSOP-Bracelets. Seidel, der als Typ über Jahre eher unauffällig durch die Pokerszene geisterte, führt jetzt auch noch die All Time Money List an. Wer hätte das vor zwei Jahren gedacht?
Es scheint, als habe ihm die Aufnahme in die Hall of Fame des Poker im vergangenen Jahr einen psychologischen Boost beschert. Zusammen mit seinem Weggefährten Dan Harrington entschied das Komitee, dass er in die Ruhmeshalle aufzunehmen war. Wie kommt so eine Erfolgsgeschichte zustande? Betrachten wir seine Biographie und wie sich sein erfolgreicher Stil entwickelt hat:
Erik Erik wurde am 6. November 1959 in New York geboren und startete dort zunächst eine erfolgreiche Karriere als Backgammonspieler. Er spielte ca. acht Jahre, unter anderem gegen Chip Reese, Stu Ungar und Puggy Pearson. Dann befasste er sich mit der Börse. Jahrelang handelte Erik an der Wall Street und spielte nebenbei Poker. Als Erik zum ersten Mal in der World Series of Poker spielte, wurde er direkt Zweiter, die legendäre Sequenz aus “Rounders”, wo er 1988 gegen Johnny Chan verlor. Trotz Niederlage der Beginn einer einzigartigen Erfolgsstory.
Zu der “Rounders”-Szene hat er nicht nur Positives zu sagen. In einem Interview gegenüber pokerlizard.com äußerte er sich: “Ich denke, insgesamt war das mit “Rounders” schon eine gute Sache und es ist lustig, dass die Leute immer wieder davon anfangen. Trotzdem habe ich gemischte Gefühle dem ganzen “Rounders-Ding” gegenüber.” Kein Wunder, hat er sich doch hierdurch zu Unrecht als Loser bei vielen Zuschauern eingebrannt. Wer möchte, kann die Szene im Rahmen der großen Poker-Momente hier noch einmal anschauen.
Auf die Frage, wie er sich seinen Skill-Level erarbeitet hat, antwortete Seidel einst, dass ihm vor allem das ständige Spielen weitergeholfen habe. Daneben die Beobachtung der vielen guten Spieler, besonders im New Yorker Mayfair Club. Vor allem dort hat er mit Leuten Jay Heimowitz, Mickey Appleman, Howard Lederer, Jason Lester, Steve Zolotow, Paul Magriel und Dan Harrington viel über einzelne Hände und das Spiel an sich gesprochen. Vor allem hat er gegen sie, die damalige Avantgarde des Poker, um Geld gespielt.
Auch ist Seidel nicht unbedingt für seine Blow-ups bekannt und hier könnte das eigentliche Geheimnis seines Erfolges liegen. Genau wie der leider zu früh verstorbene Chip Reese ist Seidel wohl einer der Künstler des Spiels, die es schaffen, ihre Emotionen komplett außen vor zu lassen.
Nach eigener Aussage versucht er auch, ständig das Geschehen am Tisch aufmerksam zu verfolgen und so werde ihm nicht so schnell langweilig. Langeweile und Ungeduld haben ebenfalls schon manchen Spieler in den Ruin getrieben. Seidel hat so über die Jahre eine nahezu perfekte Poker-Persönlichkeit entwickelt. Den berüchtigten ‘test of time’ hat er gemeistert, nicht zuletzt deswegen erfolgte die Aufnahme in die Hall of Fame.
Erik Seidel lebt derzeit in Las Vegas. Wenn er keine Poker-Turniere spielt, die er nach eigener Aussagen viel lieber mag als Cashgames, hört er gerne Musik und spielt leidenschaftlich Tennis. Nicht nur Poker im Leben, auch das augenscheinlich ein Teil der Erfolgsstrategie des sympathischen Highrollers.
Wer sich die Karriere des Erik Seidel nochmal genau anschauen möchte, dem ist am besten mit seinem Eintrag in der Hendon Mob Database gedient. Aber aufgepasst, hier gilt das in Internet-Foren gebräuchliche ‘tltr’, sprich ‘too long to read’ …
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 09.03.2011.