Ist Poker der neue deutsche Volkssport? Nicht ganz. Nicht das Pokerspiel hat sich verbreitet, sondern Texas Hold’em!Gelegentlich wird auch Omaha gespielt. 7-Card-Stud? Das ist beinahe vergessen. 5-Card-Draw? Das ist auch veraltet, so scheint es. Und was wäre mit 5-Card-Stud, mit Razz, Low-Ball und Split-Pot-Varianten?
Ganz bezeichnend ist, dass der Final Table des prestigeträchtigsten Events der WSOP, ich spreche vom 50.000-Dollar-HORSE, Hold’em No-Limit gespielt wird, weil dies bei den Zusehern nachweislich auf wesentlich mehr Interesse stößt.
Doch auch im Big Game, dem legendären Treffpunkt von Pokermillionären wie Doyle Brunson, Jennifer Harman, Barry Greenstein, Phil Ivey und anderen, ist kein bestimmtes Spiel vorgegeben. Dealer’s Choice. Jede Hand eine andere Variante – und wehe dem, der in einer der Disziplinen Schwäche zeigt. Genau dieses Spiel mag plötzlich von den Gegnern zum Lieblingsspiel erkoren werden.
Die Palette der möglichen Varianten wird in privaten Spielen noch um einiges, nein, um vieles größer. Zwar ist es unüblich, einen Joker ins Paket zu mischen, doch lässt sich, wenn es der Gepflogenheit der jeweiligen Runde entspricht, jede beliebige Karte zur „Wild Card“ erklären, was einem Joker gleichkommt. „5-Card mit zwei Draws, Deuces wild“, wäre eine mögliche Wahl des Dealers. Oder, “7-Card-Stud, One Eyed Jack and the Man With The Ax wild”! Herz und Pik Bube sind im Profil dargestellt, zeigen somit nur ein Auge, und der Karo König hält eine Streitaxt in der Hand.
Nachdem Poker in Nordamerika über die gleiche Tradition verfügt wie Skat und Schafkopf in Deutschland, ist praktisch jeder damit groß geworden. Und Papa freut sich, wenn Sohnemann, der gerade in der Schule das Multiplizieren erlernt, auch gleich versteht, wie man Softball spielt.
Softball? Ist das nicht ein Ballspiel?
Nicht unbedingt, es lässt sich auch mit Karten spielen. Und zwar sowohl mit sieben als auch neun „Innings“. Jeder Spieler kriegt sieben (oder neun) verdeckte Karten, die er auch selbst nicht einsehen darf. Der erste deckt eine Karte auf, die damit automatisch zum höchsten Blatt am Tisch wird, und leistet darauf einen Einsatz. Ist diese Karte niedrig, so kann er auch checken. Gibt es ein Bet, darf geraist werden. Im Falle von Check steht es den Nachfolgern aber nicht zu, einen Einsatz zu leisten.Nun ist der nächste Spieler an der Reihe und deckt so viele Karten auf, bis er das erste Blatt schlägt, entweder durch eine höhere Karte oder ein Paar. Wieder steht ihm zur Wahl, Check oder Bet. Nun ist der nächste dran und deckt wiederum Karten auf, bis er dieses Blatt schlägt usw.. Die Rangordnung entspricht dabei dem normalen Poker, inklusive Straights und Flushes.
Vor wenigen Tagen lernte ich ein neues Spiel: „Follow the Bitch”!
Zwei Karten verdeckt, vier Karten offen, die letzte verdeckt. Genau wie 7-Card-Stud. Die Queens sind wild. Sobald eine offene Queen fällt, wird die nächste Karte, also die des nächsten Spielers, auch zur Wild Card. Daher der doch etwas außergewöhnliche Name. Aber, fällt später noch eine offene Queen, wird die darauffolgende Karte zur neuen Wild Card und die vorige wird plötzlich wieder entmachtet. Fällt eine Queen als letztmögliche offene Karte, gibt es keine andere Wild Card.Mit einer Ausnahme: Auch die niedrigste Down-Card ist wild, aber nur für das Blatt des jeweiligen Spielers. Sind die ersten beiden Hole-Cards 6 und 8, ist die 6 wild. Fällt als letzte Karte dann aber eine 4, wird diese zur persönlichen Wild Card.
Hat das noch etwas mit solidem Poker zu tun? Nicht unbedingt, aber dafür werden die Pots größer!
Ich hatte verdeckt 3 und 7. Jacques, der Spieler vor mir, kriegte eine Queen als erste offene Karte. Danach erhielt ich eine 3. Hurra! Ich hatte also zwei Wild Cards. Sollte die 3, durch eine weitere Queen, wieder entwertet werden, nicht für mich, denn sie war auch meine niedrigste Down-Card und nur durch 2 zu unterbieten.
Auf der vierten Street, nur mehr Jacques und ich waren im Pot, schaute die Sache schließlich so aus:
Jacques: (X-X) Q-3-9-2
Ich : (3-7) 3-7-5-A
Jacques setzte knapp den Pot und war damit all-in. Nachdem ich, wie gesagt, dieses Spiel gerade erst gelernt hatte, musste ich genauer nachdenken. Ich hatte 7-7 und zwei Wild Cards, also einen Vierling 7. Jacques verfügte mit Q und 3 über zwei offene Wild Cards, dazu noch über zumindest eine mir unbekannte. Sein schlechtest mögliches Blatt war daher ein Vierling 9. Schlagen konnte ich ihn, so dachte ich, also nur mit einer weiteren Wild Card, einer 7 oder einem Ass. Dabei wurde mir auch klar, dass die anfängliche Freude über die 3 als Wild Card unberechtigt war.So dachte ich, und dank des All-in durfte ich sogar laut denken und erfuhr durch meine Mitspieler, durchwegs waschechte Kanadier und somit bestens mit solchem Spiel vertraut, dass, wenn die niedrigste verdeckte Karte schon eine allgemeine Wild Card ist, in diesem Fall die 3, dann wird die zweitniedrigste zur Wild Card, in meinem Fall die 7! Wow! Ich hatte fünf Asse!
Der Call war obligatorisch. Mein einziges Risiko war, dass als letzte Karte eine 2, 4, oder 6 fallen würde. Dann hätte sich mein Blatt auf einen Vierling Asse verschlechtert. Die Sorge war aber unberechtigt. Ich erhielt eine weitere 3! Fünf Wild Cards zählen dabei automatisch als fünf Asse – das bestmögliche Blatt. Jeder Fünfling schlägt ein Royal Flush.
Es war kein wirklich ernstes Pokerspiel, die Pots blieben ausnahmslos im dreistelligen Bereich – und die lehren Bierdosen füllten am Ende einen halben Eimer. Vielleicht lässt sich auch Euer Home-Game damit etwas auflockern. Ich kann jedenfalls nicht leugnen, dass derart verrückte Varianten wirklich Spaß machen.
Euer
Alex Lauzon
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 14.01.2008.