Wie die meisten von Ihnen wissen, gibt es eine Sparte der Mathematik, die Spieltheorie, die auf verschiedene Pokersituationen angewandt werden kann. Die einfachsten und bekanntesten dieser Situationen treten in der letzten Setzrunde auf, wenn nur noch zwei Spieler dabei sind. Ein Spieler hält einen offensichtlichen Draw. Der andere hat eine fertige Hand, die aber hinten liegen wird, wenn der Draw ankommt. In der einfachsten Version sind die letzten Karten verdeckt.
In dieser Situation und in komplizierteren besteht die spieltheoretisch korrekte Strategie fast immer darin, auf zufällige, sorgfältig berechnete Weise zwischen zwei oder mehr Alternativen auszuwählen.
Der Grundgedanke dabei ist, man sollte in Häufigkeiten, die nicht ausgebeutet werden können, in zufälliger Weise bluffen oder Bluffs callen. Dabei gibt es aber ein Problem. Während es andere davon abhält, Sie auszubeuten, erlaubt Ihnen diese Technik nicht, Ihre Gegner auszubeuten. Die Spieltheorie besteht darauf, dass Sie in einer bestimmten Zahl der Fälle zufällig bluffen und mögliche Bluffs callen. Was aber, wenn Sie wissen, Ihr Gegner foldet selten eine gute Hand? Oder wenn er sehr selten blufft? Dann kosten Sie sich selbst Geld, wenn Sie versuchen, ihn zu bluffen, oder wenn Sie ihn in der spieltheoretisch korrekten Frequenz callen.
Aus diesem Grund wenden die meisten guten Spieler selten spieltheoretische Techniken an, außer vielleicht gegen andere Experten oder Leute, deren Vorlieben sie noch nicht entschlüsselt haben.
Lassen Sie mich eine hypothetische Pokerhand anführen, um den Grundgedanken dieses Artikels zu illustrieren. Es sei eine Pot Limit Lowball Hand, in der Ihr Draw mit 20-prozentiger Wahrscheinlichkeit die fertige Hand Ihres Gegners überholt. Nehmen wir an, es seien $100 im Pot. Falls Sie also an dieser Stelle all-in wären, betrüge Ihr Erwartungswert $20.
Da Sie aber beide $100 zum Betten und Callen haben, ist Ihr Erwartungswert wahrscheinlich größer. Falls er beispielsweise zu den argwöhnischen Gegnern gehört, die Ihre Bets in Potgröße immer callen, dann steigt Ihr Erwartungswert auf $40, wenn Sie nie bluffen. Foldet Ihr Gegner aber normalerweise, dann sollten Sie mit allen gescheiterten Draws betten. Nehmen wir an, er foldet zu 80%. In 100 Fällen würden Sie viermal $200 und 80 mal $100 gewinnen und 16 mal $100 verlieren. Das sind $7.200, oder ein durchschnittlicher Erwartungswert von $72. Gegen denjenigen, der zuviel foldet, gewinnen Sie also wesentlich mehr als gegen denjenigen, der zu oft callt – wenn Sie den Mut aufbringen, seine Schwäche auszunutzen.
Natürlich können die Call-Neigungen der meisten Spieler nicht so genau vorhergesagt werden. Und wenn man falsch liegt, kostet es eine ganze Menge Geld. Wenn Sie ihn für einen Caller halten, er das aber nicht ist, dann sinkt Ihr Erwartungswert auf $20. Wenn Sie denken, er kann leicht geblufft werden, das aber nicht stimmt, dann kann Ihr Erwartungswert sogar negativ werden. (Wenn Sie immer setzen und er immer callt, dann beträgt Ihr Erwartungswert -$40.) Aus diesem Grund bleiben spieltheoretische Spielertypen im Zweifel bei ihrem Ansatz.
Hier sind zwei weitere Punkte. Nehmen wir an, Ihr Gegner wirft eine Münze, um sich zu entscheiden, ob er callt. Wie oft sollten Sie jetzt bluffen? Es spielt keine Rolle. Unabhängig von Ihrer Blufffrequenz beträgt Ihr Erwartungswert $30. Das ist leicht einzusehen, wenn Sie ihn für die Strategien, in denen Sie nie und in denen Sie immer bluffen, ausrechnen. Mittels einfacher Logik ist klar, dass der Erwartungswert dann auch $30 für jede andere Strategie sein muss.
Aber obwohl der Erwartungswert mit $30 feststeht, wenn er zufällig in der Hälfte der Fälle callt (für Bets, die kleiner als der Pot sind, wäre es ein anderer Prozentsatz), wird der Erwartungswert immer größer sein, wenn er von diesem Prozensatz abweicht, und wir davon wissen. Callt er zu 51%, dann sollten wie nie, callt er zu 49%, sollten wir immer bluffen. Nichts dazwischen.
Die Spieltheorie ist damit aber nicht komplett einverstanden. Sie macht sich darüber Sorgen, dass das Urteilsvermögen davon beeinflusst wird, ob man bettet oder callt. Zum Caller sagt sie: “Wirf eine Münze.” Gib dem anderen $30 des Pots von $100 und gut. Etwas ähnliches sagt sie zum Setzenden. Der Ratschlag besteht darin, 10% aller Hände zu betten. Mit anderen Worten, ein Achtel der Hände, die verpassten. Man wird dann mit 30% der Hände betten. Und tut man das, garantiert man sich einen Erwartungswert von $30, unabhängig davon, wie oft man gecallt wird. Punkt. Rechnen Sie das nach, wenn Sie mögen.
Die Hand, die ich anführte, besitzt einen Wert von $30 für Sie und $70 für Ihren Gegner, wenn nur einer von Ihnen beiden darauf aus ist. Das Ergebnis ist nur dann anders, wenn Sie beide die spieltheoretische Strategie ignorieren. Das gilt selbst für weitaus kompliziertere Spiele, zumindest theoretisch. Für diese Spiele ist die spieltheoretisch perfekte Strategie aber selbst für Supercomputer nicht zu berechnen.
Jetzt möchte ich mich in neue Gewässer begeben. Die obige Analyse scheint darauf hinzuweisen, das sich die Akteure entweder an die spieltheoretisch optimale zufällige Strategie halten oder versuchen sollten, die gegnerischen Bluff- und Callfrequenzen zu ermitteln, um mit der korrekten Gegenstrategie zu kontern. Mit anderen Worten, Ihre Callfrequenz sollte 0%, 50% (nach Spieltheorie) oder 100% betragen. Bluffen sollten Sie zu 0%, 10% (Spieltheorie) oder 100%.
Das könnte aber falsch sein. Tatsächlich sollte man gegen die meisten Spieler eine Strategie anwenden, die einen zufällig bluffen und callen lässt, aber nicht in der von der Spieltheorie vorgegebenen Häufigkeit.
Wie kann das sein, bei allem, was ich bisher sagte? Genauer gesagt, kennt man die gegnerischen Neigungen, dann hat man eine nicht-zufällige Gegenstrategie. Und kennt man sie nicht, dann sollte man die spieltheoretische zufällige Strategie anwenden. Was sollte sonst noch dazu zu sagen sein?
Sonst noch dazu zu sagen ist, wir haben bisher den Gedanken außen vor gelassen, dass unser Spiel die gegnerischen Neigungen beeinflusst. Und wenn Sie kein Weltklassespieler sind, dann besteht eine Möglichkeit dazu darin, Ihre Spielzüge auf nicht-spieltheoretische Weise zufällig abzuwechseln. Kommen wir auf unser ursprüngliches Beispiel zurück.
Nehmen wir an, Sie halten die fertige Hand und spielen gegen jemanden, der kaum blufft, wenn sein Draw nicht ankommt. Kurzfristig besteht die beste Gegenstrategie darin, immer zu folden, wenn er bettet. Blufft er nie, senken Sie seinen Erwartungswert auf $20. Das Problem ist aber, Ihr beständiges Folden wird ihn dazu ermutigen, häufiger zu bluffen. Falls Sie sich daraufhin nicht anpassen, wird sein Erwartungswert gegen $100 anwachsen.
Gegen die meisten zögerlichen Spieler müssen Sie aber nicht in der Hälfte der Fälle callen, wie die Spieltheorie empfiehlt. Eine Callfrequenz von etwa 30% sollte ausreichend sein. Falls ihn das ganz vom Bluffen oder zumindest von seiner optimalen Blufffrequenz abhält, dann bleibt sein Erwartungswert unter $30, ohne dass er auf die Idee kommt, öfter zu bluffen.
Nehmen wir nun an, Sie seien der Spieler mit dem Draw und wissen, Ihr Gegner ist stolz darauf, gute Laydowns zu machen. Zu Beginn könnten Sie viele Pots stehlen, indem Sie jedesmal betten. Das wird er aber bald merken und damit beginnen, meistens zu callen, was schlecht wäre. Die Lösung besteht darin, mit einer größeren Häufigkeit als durch die optimale Spieltheorie vorgegeben zufällig zu bluffen. In diesem Beispiel könnten es 25% sein. Sie checken weiterhin häufiger als Sie betten, was Ihrem Gegner die nötige Entschuldigung dafür gibt zu folden, wenn Sie betten. Falls dem so ist, dann beträgt Ihr Erwartungswert $45, ist also deutlich höher als der durch die Spieltheorie garantierte Wert von $30.
Auch die Gegenstücke zu diesen zwei Beispielen können auftreten. Wenn Ihr Gegner zu oft blufft, sollten Sie ihn trotzdem wahrscheinlich nicht zu 100% callen. Man sollte aber auch nicht auf 50% (nach Spieltheorie) heruntergehen. Falls Sie in jemanden betten, der gerne callt, sollten Sie trotzdem hin und wieder bluffen, damit er weiterhin callt. Alle diese Strategien ergeben einen Erwartungswert, der größer ist als der der “optimalen” Strategie. Sie können außerdem hilfreich dabei sein, mehr Geld von Spielern zu bekommen, die den fraglichen Händen zuschauen.
Über dieses Thema kann man offensichtlich noch wesentlich mehr sagen. Und es kann ziemlich mathematisch sein. Plot-Graphen, die die psychologischen Effekte einer zufälligen nicht-optimalen Setz- oder Call-Strategie auf die gegnerischen Bet- und Call-Frequenzen beschreiben. Es wäre vermutlich keine stetige Kurve, da es wahrscheinlich einen Punkt gibt, an dem der Gegner sein Verhalten drastisch ändert. Diese Analyse werde ich anderen überlassen. Ich wollte Ihnen nur etwas zum Nachdenken geben.
David Sklansky
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 16.04.2008.