Vor einigen Jahren, etwa 2000 oder 2001, gab es eine Phase, während der in einem Casino namens Pacific News jeden Abend eine No-Limit-Partie stattfand. Es gab dort nur drei Tische. An einem davon konnte man Zeitung lesen oder darauf warten, bis ein Platz frei wurde. Außerdem machten die Dealer an ihm Pause. Die beiden anderen Tische wurden für Poker genutzt – einer für eine Partie 3 $/6 $-Limit-Hi-Lo-Hold’em (ja, Sie haben richtig gelesen) und einer für No-Limit Hold’em. Die Struktur an diesem Tisch war recht ungewöhnlich, wir spielten mit Blinds von 2 $/3 $/5 $, zwei optionalen Kills (durch die Einsätze sehr hoch werden können) und es gab kein maximales Buy-In. Die Partie begann jeden Abend um 7 Uhr. Ich war einer der Stammgäste und von Beginn an dabei. Ebenfalls zu den Stammgästen der ersten Stunde zählte ein Mann, von dem ich mehr über No-Limit gelernt habe als von jeder anderen Person, – Walt Z.
Im folgenden möchte ich Ihnen eine Hand von Walt zeigen, welche die Tiefe seiner Weisheit, seines Könnens und seiner Skrupellosigkeit illustriert. Walt saß im Big Blind, hatte aber seinen Blind noch nicht gesetzt, als der Dealer mit dem Austeilen der Karten begann. Das kommt sehr häufig vor und ich habe diese Situation schon einige Tausend Male erlebt. Normalerweise erinnert der Dealer den Big Blind beim Austeilen der zweiten Karte daran, seinen Pflichteinsatz zu bringen. Manchmal geschieht dies aber nicht, und wenn jemand es später bemerkt, sagt er eben zum Big Blind „Wirf Deine Karten nicht weg, Du bist im Big Blind!“
Manchmal passiert aber noch etwas anderes und der Big Blind wirft tatsächlich seine Karten weg, weil er meint, als Erster am Zug zu sein. Wie man diese Situation auflöst, kann kompliziert sein, aber da sie für die Geschichte keine Rolle spielt, lassen wir sie außer Acht.
Kommen wir zu den Ereignissen in dieser Hand. Walt war im Big Blind. Als die Karten ausgeteilt wurden, war Walt intensiv ins Gespräch mit jemandem verwickelt, der hinter ihm stand. Dann schaute er in seine Karten und warf sie etwa 30 Zentimeter vor sich weg. Der Dealer sagte: „Moment! Sie sind im Big Blind!“ Walt war etwas verlegen, nahm seine Karten wieder auf und setzte seinen Blind. Ich habe diese Szene schon häufig in dieser Form beobachtet, vor allem bei einem sehr erfahrenen Spieler. Es gehört einfach zum guten Ton, dass so verfahren wird, und das Spiel kann fortgesetzt werden, ohne dass sich jemand ärgern muss.
Die Hand verlief folgendermaßen. Alle Spieler foldeten bis zum Button. Der Button, der Small Blind und Walt hatten alle etwa 1.000 $ vor sich. Der Spieler auf dem Button war tight, aber auch schlau genug, um aus Walts offensichtlicher Schwäche Kapital zu schlagen. Er eröffnete mit einem Raise auf 30 $. Auch der Small Blind war ein tighter Spieler und auch schlau genug, um zu erkennen, dass das Hand-Spektrum des Buttons für einen Raise aufgrund von Walts verfrühtem Fold sehr groß sein konnte. Der Small Blind erhöhte auf 100 $. Walt schaute etwas verwirrt und raiste auf 400 $.
Schon jetzt wusste ich genau, was geschehen war. Ich widerstand dem Drang aufzustehen und mich tief vor Walt zu verbeugen.
Der Button ging All-In und wie sich später herausstellte, hatte er Ax Qx suited. Der Small Blind foldete und Walt callte mit – sind Sie schon darauf gekommen? – mit Assen.
Vermutlich war es Zufall, dass Walt seinen Blind nicht rechtzeitig gesetzt hatte. Anschließend schaute er rasch und diskret in seine Karten, sah die beiden Asse und dann foldete er in vollem Bewusstsein, dass er den Big Blind noch nicht gesetzt hatte und der Dealer ihn später darauf aufmerksam machen würde. Dies gab ihm die ausgezeichnete und völlig normale Möglichkeit, seine Hand wieder aufzunehmen und eine tödliche Falle für denjenigen aufzustellen, der sich unglücklicherweise zu einem Angriff vor dem Flop entschließt.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 05.01.2009.