Wer hat es nicht schon erlebt, dass er am Pokertisch sitzt, ein Mitspieler eine Hand grotesk schlecht spielt – zum Beispiel mit einem Gutshot ein All-In ohne Pot-Odds callt – und danach seine Spielweise vehement verteidigt. Gerne erklärt er dann in einer solche Verteidigung, dass er schon seit vielen Jahren spiele und besser wisse, wann er wie zu spielen habe. Es kann sogar soweit gehen, dass der Spieler den Kritikern erklärt, sie hätten keine Ahnung, er selbst sei ein viel besserer Spieler.
Der Dunning-Kruger-Effekt
Das Phänomen einer solch verzerrten Selbsteinschätzung (sich selbst für kompetent halten, während man objektiv gesehen eher inkompetent ist), wird in der Psychologie Dunning-Kruger-Effekt genannt. Dabei handelt es sich eine Verzerrung der eigenen Wahrnehmung: Je weniger man sich mit einer Sache auskennt, desto eher neigt man dazu, seine eigenen Fähigkeiten in dieser Sache zu überschätzen.
Sprich: Wer von Poker nur wenig Ahnung hat, erkennt nicht, dass er ein schlechter Spieler ist, erkennt gute Spielzüge anderer Spieler nicht und versteht es nicht, wenn man sein Spiel kritisiert.
Die Wissenschaftler David Dunning und Justin Kruger, die diesem (eher populärwissenschaftlichen) psychologischen Effekt den Namen gaben, haben unter anderem drei Eigenschaften herausgestellt:
Wer bezüglich eines Themas wenig Kompetenz hat wird:
– seine eigene Kompetenz überschätzen,
– die Kompetenz von Anderen nicht erkennen und
– nicht wahrnehmen, wie hoch das Ausmaß der eigenen Inkompetenz ist.
In verschiedenen Studien ließ sich der Dunning-Kruger-Effekt bei Probanden in unterschiedlichsten Feldern nachweisen. Beim Poker dürfte dieser Effekt besonders ausgeprägt sein, denn je größer das Ego einer Person, desto anfälliger ist er für eine solche Fehleinschätzung.
Andersrum funktioniert dieser Effekt auch: Kompetente Spieler schätzen sich selbst schwächer ein, als sie sind und überbewerten die Kompetenz anderer Spieler.
Was kann man aus dem Dunning-Kruger-Effekt lernen?
Zunächst die offensichtlichen Implikationen dieses Effekts: Zum einen sollte man sich dann und wann fragen: Ist man wirklich so gut, wie man sich selbst einschätzt, oder könnte es sein, dass man wesentlich schlechter ist, als man meint?
Zum anderen: Es ist zwecklos, zu versuchen, seinen Mitspielern am Pokertisch Ratschläge zum Spiel mitzugeben. Es kann gut sein, dass diese der Meinung sind, auf diese Ratschläge gar nicht angewiesen zu sein und gar keinen Schimmer davon haben, dass sie eventuell suboptimal (oder gar grottig) spielen. Darüber hinaus gehört es sowieso zur guten Poker-Etikette, am Tisch keine Strategie zu besprechen.
Ferner sollte man Tisch das Spiel der anderen Spieler nicht überinterpretieren. Spielt man gegen einen ausgewiesen schwachen Spieler, nutzt es wenig auf dem dritten oder viertel Level strategisch zu denken, denn diese Spieler operieren nicht auf diesem Niveau. Es bringt nichts – und kann sogar nachteilig sein – bei einem schwachen Spieler von einer tieferen Spielkompetenz auszugehen. Wesentlich einfacher und profitabler ist es, gegen einen solchen Spieler davon auszugehen, dass seine Aktionen ziemlich genau das implizieren, was sie andeuten (zum Beispiel: kleine Bets = kleine Hand, große Bets, große Hand).
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 19.06.2014.