Spieler, die noch am Zug sind
Diese Prinzip kann auf Spieler erweitert werden, die sich noch gar nicht am Pot beteiligt haben. Angenommen zu Ihrer Rechten sitzt ein extrem aggressiver Spieler, der in etwa 70 Prozent der Fälle in später Position raist, wenn alle vor ihm folden. Sie haben ihn mehrere Male gereraist, dabei einige Male den Pot gewonnen, einmal nach seinem All-In gefoldet und Ihre Hand nie bis zum Ende gespielt.
Bei Blinds von 400/800 wird bis zu diesem Spieler gefoldet und er raist mit 30.000 Chips im Stack auf 2.400. Sie haben auf dem Button Ax Ax und mehr Chips als er. Bei Ihren Überlegungen der optimalen Spielweise sollten Sie nicht nur an den Raiser denken, sondern auch an die Spieler in den Blinds. Befindet sich darunter ein Turnierexperte, der etwa 15.000 Chips hat, sollten Sie statt eines Raises einen Call erwägen.
Betrachten Sie sich die Situation aus der Sicht des Experten. Ein extrem aggressiver Spieler raist aus später Position. Braucht er dafür eine gute Hand? Nein, und wir haben bereits erwähnt, dass er mit 70 Prozent seiner Hände in dieser Situation raist, was ein kluger Turnierspieler sicher bemerkt hat. Nun callen Sie auf dem Button. Brauchen Sie dafür eine gute Hand? Zumindest eine akzeptable. Gemäß Gap-Konzept brauchen Sie für einen Call eine stärkere Hand als für einen Reraise und aus diesem Grund kann der Spieler im Blind von einer recht guten Hand ausgehen. Allerdings kann der Experte angesichts Ihrer häufigen Reraises davon ausgehen, dass Sie auch mit einer Hand wie Ax Ax reraisen. Aus diesem Grund setzt er Sie vermutlich auf eine mittelstarke Hand wie 6x 6x oder Ax Tx suited, mit der Sie zwar gegen das Spektrum des Raisers klar vorne liegen, aber kein All-In callen können.
Für den Experten ist dies eine ausgezeichnete Situation für ein Squeeze Play, indem er mit 15.000 Chips All-In geht. Es sind bereits 6.000 Chips im Pot und aufgrund seiner Analyse kann er davon ausgehen, den Pot vor dem Flop ausreichend oft zu gewinnen. Mit Ihrem Call bieten Sie ihm eine fast unwiderstehliche Gelegenheit.
Es ist wichtig anzumerken, dass sowohl Ihr Stack als auch der Stack Ihres Gegners groß genug ist, damit ein Call mit einer mittelstarken Hand plausibel bleibt. Würden Sie in derselben Situation mit 20 Prozent Ihres Stacks callen, würde jeder aufmerksame Spieler wahrnehmen, dass Sie vermutlich eine sehr starke Hand haben, und kein Squeeze Play versuchen.
Bluffs
Wenn Sie mit einer schwachen Hand einen Pot stehlen wollen, sollten Sie häufig darauf aus sein, selbst All-In zu gehen, damit Ihr Bluff nur auf eine Weise scheitern kann. Anders gesagt könnte Ihr Bluff zwar scheitern, weil Ihr Gegner diesen vermutet und eine ausreichend gute Hand für einen Call hat, aber nicht, weil er Sie mit einer Hand reblufft, die keinen reellen Wert besitzt.
Bei Blinds von 250/500 würden Sie zum Beispiel mit 8.000 Chips und Kx Tx offsuit höchstwahrscheinlich All-In gehen, wenn ein sehr aggressiver Spieler vom Button raist. Mit 24.000 Chips müssten Sie jedoch höchstwahrscheinlich folden, wenn Ihr Gegner mehr Chips als Sie hat. Da Sie bei einem Reraise nicht mehr die letzte Bet bringen können, riskieren Sie, die beste Hand auf einen erneuten Steal folden zu müssen und selbst wenn Ihr Gegner nur callt, haben Sie das Problem, mit einer leicht dominierten Hand ohne Position weiterspielen zu müssen. Den Resteal versuchen Sie zuallerletzt wegen Ihrer konkreten Hand, sondern weil Sie davon ausgehen, dieser Spielzug sei mit beliebigen Karten profitabel.
Steal-Raises
Die Stackgrößen der Spieler nach Ihnen sind sogar noch wichtiger, wenn Sie mit einem Steal oder Semi-Steal einen Eröffnungs-Raise erwägen. Unabhängig von Ihrer Position oder Ihrer Hand müssen Sie in dieser Situation die Stacks der Spieler nach Ihnen in Ihre Überlegungen einbeziehen und die Wahrscheinlichkeit abschätzen, mit der diese Sie callen oder All-In raisen, und gleichzeitig wissen, was Sie darauf zu tun gedenken.Beispielsweise könnten Sie auf dem Button immer dann raisen, wenn Sie ein Ass halten und alle vor Ihnen gefoldet haben. Sind jedoch zwei aggressive Spieler in den Blinds, die das Fünf- oder Sechsfache Ihres Stacks haben, sollten Sie womöglich folden. Da keiner dieser Spieler Ihren Raise callen wird, können Sie genauso gut mit 7x 2x raisen, sofern Sie nicht vor haben, ein All-In zu callen (was je nach Gegner selbst mit A2 gar keine schlechte Idee sein muss). Das Ergebnis ist dasselbe: Entweder gelingt der Steal oder jemand geht All-In und Sie folden.
Sie können nicht länger raisen, nur weil Sie vermutlich gegen zwei zufällige Hände vorne liegen. Stattdessen müssen Sie Ihre Hand in zwei Kategorien einteilen: die Blätter mit denen Sie ein All-In callen können, und die Blätter, mit denen dies nicht möglich ist. Natürlich raisen Sie mit den Händen der ersten Kategorie immer. Welche Hände in die zweite Kategorie fallen und mit welcher Häufigkeit Sie mit diesen raisen sollten, hängt von den Spielern in den Blinds ab und vom vermutlichen Handspektrum, mit dem diese All-In reraisen.
Haben die Spieler nach Ihnen dagegen alle acht- bis neunmal so viele Chips wie die Höhe Ihres Raise, sollten Sie Ihre Hände zwar weiter so eingruppieren, können aber mit einem weitaus größeren Spektrum raisen, weil Ihr Raise alle nachfolgenden Spieler vor ein Problem stellt. Für einen Call haben sie etwas zu wenig Chips und mit jedem Raise sind sie Pot-Committed. Daher ist es für diese Spieler selbst dann sehr schwierig, mit marginalen Händen wie 6x 6x oder Ax Tx zu spielen, wenn sie einen Steal von Ihnen vermuten.
Fazit
Wie bei jeder Pokervariante erfordert auch das Denken auf einer höheren Ebene beim Turnierspiel eher einen Blick auf die Gesamtsituation als auf die beiden Karten, die Sie halten. Mit kleinen Stacks haben die Spieler meist nur die beiden Möglichkeiten eines All-Ins oder eines Folds. Bei guten Spielern kommt es dadurch häufig zu Situationen, bei denen ein All-In mit der vermutlich schlechtesten Hand oder ein Fold mit der vermutlich besten Hand korrekt ist.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 23.04.2009.