Wie holt man aus einer Hand das Maximum an Geld? Wann lohnen sich Valuebets? Am Beispiel einer Hand soll dieser Artikel zeigen, wie wichtig Valuebets sind und wie oft man diese am River bringen kann und sollte.
Für eine gesunde Gewinnrate ist notwendig, dass man mit möglichst jeder Hand und in möglichst jeder Situation das Bestmögliche macht. In vielen Fällen ist es eher trivial, diesen bestmöglichen Zug zu finden. So ist das Folden von 63o aus UTG nicht das Höchstmaß der strategischen Weisheit. Auch dass man in den meisten Fällen mit 7 8 auf einem K 2 5 Board als Preflop-Raiser eine C-Bet abfeuern sollte, ist noch eine eher leicht zu findende Spielweise. Doch gibt es viele regelmäßig auftauchende Situationen, die in denen viele – auch gute Spieler – standardmäßig nicht die beste Entscheidung treffen.
Spielen gegen eine Callingstation
In diesem Artikel will ich auf einen Punkt eingehen, der zunächst sehr interessant ist, wenn man gegen schwächere Spieler spielt. Die niedrigeren Limits online und die meisten Live-Tische sind gespickt mit Callingstations, die munter Alles mit allem Möglichen bezahlen und nachdem sie eine Bet auf dem River mit ihrem lausigen dritten Paar gecallt haben, erfreut “Polizei passt auf!” ausrufen, und den Pot gegen einen verpassten Draw einsacken wollen.
Solche passiven, Alles auszahlenden Gegner sind eine Goldgrube für jeden aufmerksamen Spieler am Tisch. Trotzdem sieht man oft, dass recht gute Spieler gegen solche Gegner eine Menge Geld auf dem Tisch liegen lassen. Der häufigste Fehler, der hier gemacht wird, ist, auf dem Turn oder River Valuebets auszulassen. Zumeist passiert das aus der Angst heraus, einen zu großen Pot mit einer marginalen Hand zu spielen oder schlicht deswegen weil viele Spieler nicht realisieren, mit welcher weiten Range andere Spieler bereit sind, noch Einsätze zu zahlen.
Eine Beispielhand gegen eine Callingstation
Ein instruktives Beispiel: €2-€2 Live Spiel, Unser Hero sitzt mit A J in MP, ein bisher sehr looser, passiver und zahlungswilliger Spieler limpt eine Position vor ihm, Hero erhöht auf €10. Der Big Blind, ein Spieler, der tight spielt und in der Regel foldet wenn er den Flop verpasst hat, callt und der loose Spieler callt ebenfalls.
Im Pot sind jetzt €32, alle haben noch ca. €200 im Stack. Flop: K 9 7 .
Beide Gegner checken und unser Hero setzt €22. Diese Bet ist fast selbstverständlich, denn der loose Spieler hat den Flop oft genug völlig verfehlt, so dass er folden wird und der tighte Big Blind, der noch vor dem loosen Spieler agieren muss, wird hier in der Regel nur Könige oder Sets weiterspielen und die meisten kleinen Paare folden. Und selbst wenn der loose Spieler callt steht unser Hero mit mit seinem Ass gegen ihn gar nicht so schlecht da.
Der Big Blind foldet tatsächlich, aber der loose Spieler callt.
Gute und schlechte Nachrichten! Die gute Nachricht ist, dass wir einen Gegner weniger haben. Die schlechte Nachricht ist, dass der loose Gegner wahrscheinlich etwas vom Board getroffen hat und Hero hinten liegt.
Turn: 2 (Pot: $76)
Der Turn ist eine absolute Blank. Der loose Spieler checkt und auch Hero checkt. Dieser Check von Hero ist verständlich. Wenn er jetzt den Turn blufft, muss er eigentlich auch den River bluffen und macht es damit gegen den loosen Spieler genau falsch. Schließlich soll der ihn auszahlen, wenn Hero was getroffen hat und nicht beim “Polizei passt auf!”-spielen einen 3-Barrel-Bluff von Hero einsammeln.
Die verpasste Bet
River: J
Yeah, Second Pair! Der loose Spieler checkt abermals. Hero überlegt ein bisschen, entscheidet sich schließlich, den kostenlosen Showdown mit seiner mediokren Hand zu sehen und checkt ebenfalls.
An dieser Stelle macht Hero meiner Meinung nach einen Fehler. Diesen River mit einer so guten Hand gegen diesen Gegner zu checken, verschenkt bares Geld. Warum? Der Gegner wurde schon vorher als loose und passiv eingeschätzt, das heißt wir können nach dem bisherigen Spielverlauf davon ausgehen, dass er nach dem Call auf dem Flop eine sehr weite Range hat, die wahrscheinlich irgendwas von dem Flop getroffen hatte – irgendein Paar, ein Gutshot oder ähnliches.
Es ist stark davon auszugehen, dass er auch den River mit einer sehr großen Range callen wird. Die Annahme, dass dieser Gegner mit fast jedem Paar den River callt, ist durchaus realistisch. Hero sollte sich jetzt nicht zu sehr daran stören, dass auch alle möglichen Könige in der Range des Gegners sind und er sich deswegen öfter selbst “nach Valuetown schicken wird”.
Entscheidend ist nur, dass er in mindestens 50% der Fälle, in denen er gecallt wird, noch vorne liegt. Und ist das gegen diesen Spieler der Fall? Natürlich ist es das! Grob geschätzt denke ich, dass Hero hier in wenigstens 60% aller Fälle vorne liegt, in denen sein Gegner eine Valuebet callt und dass er nur sehr selten gecheckraist wird.
Die Mathematik hinter der verpassten Bet
Um das begreiflich zu machen, geben wir dem Gegner nach dem Call auf dem Flop einfach mal eine ungefähre Range. Dabei verzichten wir auch nicht auf unwahrscheinliche Hände die uns schlagen, wie langsam gespielte Sets – bei solchen Gegnern kann man nie wissen, wie absurd sie ein Monster spielen. In dieser Betrachtung gehe ich vom schlimmsten Fall aus: Der Gegner hat fast alle Hände, die uns überhaupt schlagen in seiner Range und callt uns auch mit all diesen.
Hände die uns schlagen sind (im schlimmsten Falle):
AA (6), KK (3), QQ (6), JJ (1), 99 (3), 77 (3), 22 (3), AK (12), KQ (12), KT (12), K8s- (18), KJ (6), K9 (9), J9 (6), J7 (9), QT (16), T8 (16)
In Klammern steht jeweils wie viele Kombinationen der Hand es gibt.
Das sind insgesamt 141 Kombinationen die Hero schlagen. Einige sind ziemlich unwahrscheinlich – etwa möchte man erwarten, dass er zwischendurch doch mal setzt oder raist wenn er AA oder eine Straße hätte – aber das soll jetzt nicht stören.
Schauen wir uns nun alle Hände an, die Hero schlägt und die zumindest ein Paar haben, also den River potentiell callen können:
33 (6), 44 (6), 55 (6), 66 (6), 88 (6), TT (6), QJ (8), JT (8), J8 (8), A9 (12), Q9 (12), T9 (12), 98 (12), 96 (12), A7 (12), T7 (12), 87 (12), 76 (12), 75 (12).
Das sind insgesamt 180 Kombinationen.
Jetzt habe ich das in beiden Fällen sehr weit gefasst. Sicherlich callt der Gegner zum Beispiel nicht immer mit 44 eine Bet auf dem River, aber dafür spielt er auch nicht immer check/check nachdem er zum Beispiel mit QT eine Straße auf dem Turn bekommt. Trotzdem zeigt diese Aufstellung, dass Hero im extremsten Fall gegen 180 Kombinationen auf dem River vorne und gegen 141 hinten liegt.
Callt der Gegner mit all diesen Hände eine Valuebet auf dem River, liegt Hero gegen diese Calling-Ranges in 56% der Fälle vorne. Tatsächlich wird die Range des Gegners, nachdem er den River checkt, jedoch deutlich stärker in die Richtung von einfachen Paaren mit Showdown-Value tendieren als zu Monstern wie Straßen oder Sets, so dass die 56% als unterste Grenze angenommen werden können. Realistisch wird Hero beim Showdown deutlich häufiger eine bessere Hand als sein Gegner haben.
Es ist deswegen sicherlich nicht verkehrt anzunehmen, dass wenn dieser passive, loose Gegner eine moderate Riverbet callt, unser Hero in wenigstens 60% der Fälle vorne liegt. Falls dieser Gegner checkraist kann Hero getrost folden, so ein Gegner wird faktisch nie mit einer schlechteren Hand einen kreativen Riverbluff starten.
Setzt Hero jetzt auf dem River €50, kann er davon ausgehen, dass er – wenn er gecallt wird – in wenigstens 60% der Fälle gewinnt. Damit macht Hero auf lange Sicht nach einem Call des Gegners einen Profit von €10 allein mit der Riverbet.
Diese €10 Profit sind nicht zu unterschätzen, denn Situationen wie diese kommen in loosen Spielen sehr häufig vor und so kann man durch dünne Valuebets regelmäßig einige kleine Extra-Bets einsacken. Und sollte der Gegner folden, so muss Hero seine Hand nicht zeigen – ein kleiner Extra-Pluspunkt, da es so den aufmerksamen Spielern am Tisch schwerer gemacht wird, Hero korrekt einzuschätzen.
Wann dünne Valuebets angebracht sind
Die offensichtlichsten Situationen in denen Valuebets mit mittelmäßigen Händen angebracht sind, sind:
- auf dem River.- wenn der Gegner viele Hände in seiner Range hat, die Showdown-Value haben.- wenn man den größeren Teil dieser Hände schlägt.- der Gegner sehr wahrscheinlich auch mit vielen seiner schwachen Händen die Valuebet callt.- die Gefahr eines Raises klein ist und wenn der Gegner fast sicher nur mit besseren Händen raist.
Gegen Callingstations sind es Situationen wie die im obigen Beispiel, die dünne Valuebets profitabel machen. Das Board ist relativ trocken, der River vervollständigt nur wenige Draws und der Gegner ist bekannt dafür, den River sehr bereitwillig zu callen.
Die Hand der Woche mit dünner Valuebet
Da diese Rubrik “Hand der Woche heißt” und die obige Hand nur ein fiktives Beispiel war, folgt hier eine reale Hand, die das Prinzip dünner Valuebets ebenfalls, allerdings ein wenig anders, demonstriert. Diesmal spielt die Hand online – $100 No-Limit – gegen einen einigermaßen guten, das heißt zumindest durchgehend NL100 spielenden, Gegner:
Hero ist im CO mit $122 im Stack. Der Gegner sitzt im SB mit einem noch größerem Stack. Alle folden zu Hero, der K 9 hält und auf $3 raist. Nur der SB callt.
Flop ($7): K 3 3
Der Flop ist abgesehen vom Flushdraw reichlich trocken und Hero hat Top Pair.
Aktion: Der Gegner checkt, Hero setzt $5, der Gegner callt
Turn ($17): 8
Jetzt ist ein zweiter Flushdraw auf dem Board und der Call des Gegners auf dem Flop kann einiges bedeuten: ein kleines Paar, zwei einigermaßen hohe Pik und ein paar Kx Kombos. Hat Hero eine Menge Pech kann sein Gegner eventuell noch KK oder 33 halten und einen Traum gefloppt haben, aber beide Hände sind extrem unwahrscheinlich.
Aktion: Der Gegner checkt, Hero setzt $12, der Gegner callt
River ($41): A
Heros Top-Pair wurde mit diesem River zum Second-Pair degradiert aber die Ranges des Gegners hat sich nach dessen Call auf dem Turn nicht wirklich verändert. Wenn er ein kleines Paar hat und Hero den König nicht glaubt, dann callt er eben in der Regel auch den Turn. Die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Flushdraw hat, hat durch den Call auf dem Turn ein wenig abgenommen – ein halbwegs kompetenter Spieler weiß, dass es an sich nicht profitabel ist, mit einem Flushdraw zweimal check/call zu spielen.
Aktion: der Gegner checkt, Hero setzt $30
Diese Aktion von Hero auf dem River mutet nun ein wenig nach Harakiri an. Da ist grade eine deutliche Scarecard gekommen und er feuert weiter. Blufft er jetzt? Will er, dass sein Gegner einen König foldet? Oder hat er sich einfach verklickt?
Nein, ganz im Gegenteil. Die Bet ist sehr bewusst gewählt und auch wenn Hero nichts dagegen hätte, wenn sein Gegner hier KX foldet, will er das mit der Bet gar nicht bezwecken. Er will vielmehr, dass dein Gegner ihn darauf setzt, dass er das Ass nur als gute Karte für einen Bluff verwendet und dass sein Gegner ihn deswegen mit all den kleinen Paaren callt, mit denen er auch schon Flop und Turn gecallt hat. Und tatsächlich:
Der Gegner callt!
Showdown: Hero hat K 9 , der Gegner zeigt 7 7 , Hero gewinnt $108.
An dieser Hand will ich nicht demonstrieren, dass man ab sofort mit jedem Second-Pair auf dem River wie wild feuern sollte, weil man von noch schlechteren Händen bezahlt wird. Dieser Hand ist vielmehr ein Beispiel dafür, dass es Situationen gibt, in denen die Stärke der eigenen Hand zwar absolut gesehen nicht fantastisch ist, aber die Hand aber trotzdem besser ist als die durchschnittliche Hand, mit der ein Gegner eine Bet bezahlt.
Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, solche Konstellationen zu erkennen und gnadenlos auszunutzen, wenn man die Gewinnrate maximieren will. Bei Callingstations reicht es dabei meistens schon aus, aus ihrer ohnehin weiten Range die richtigen Rückschlüsse für das eigene Spiel zu ziehen. Bei besseren Gegnern muss man zusätzlich eine dezidierte Idee haben, auf was der Gegner einen grade setzt und welches Image man selbst am Tisch hat.
Wer solche Situationen regelmäßig ignoriert und immer nur stupide durchcheckt, lässt zum einen gegen loose Gegner auf lange Sicht Geld auf dem Tisch liegen und macht sich zusätzlich gegen bessere Gegner ein wenig zu leicht zu lesen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 01.11.2010.