In meinem letzten Beitrag habe ich davon erzählt, wie man mit außergewöhnlichen Karten, etwa 6x 4x offsuite, durch Überraschungseffekte saftige Pots gewinnen kann.Gelegentlich, um nicht zu sagen, selten; und von Überraschungseffekt lässt sich natürlich auch nur dann reden, wenn der Gegner nicht wirklich mit solchem Müll rechnet. Denn spielen wir 6x 4x etc. zu regelmäßig, überraschen wir unsere Opponenten eher, wenn wir Ax Kx präsentieren. Und bis wir die endlich vor uns liegen haben, kann viel Zeit vergehen – und viel Geld in die falsche Richtung fließen.
Ich habe jetzt keineswegs vor, mir selbst zu widersprechen, auch wenn sich mein eigenes Spiel ständig in Gegensätze hüllt, was ich als einzige Regelmäßigkeit darin bezeichnen würde. Um jenen Lesern, die mittlerweile festgestellt haben, wie viel Spaß es macht, des Gegners Pocket-Aces oder –Kings mit kleinen Karten zu schlagen, den letzten Teil ihrer Bankroll zu erhalten, möchte ich ihnen diesen Spaß nun wieder etwas verderben.
Es gibt ein altes Poker-Sprichwort: „Du gewinnst mehr durch die Fehler der Gegner als durch dein eigenes gutes Spiel!“
Gelegentlich sitzt ein Spieler am Tisch, meistens handelt es sich dabei um einen älteren Herrn – doch das mit dem Alter würde ich nicht unbedingt auf deutsche Casinos umlegen, denn es entspricht meiner Erfahrung in Nordamerika – von dem jeder mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausgeht, dass hinter jedem Raise wirklich eine Premium-Hand steckt. Dieses Image wollen wir selbst nun wirklich nicht genießen, es sei denn, wir möchten uns am Pokertisch einfach die Zeit vertreiben und einmal pro Stunde die Blinds kassieren.Ja, und genau aus diesem Grunde, um nicht für einen unzerbrechbaren Rock gehalten zu werden, lockern wir unser Spiel schließlich auf.
Aber, die Basis unseres Spiels sollte immer konservativ bleiben. Je nach Reaktion der Gegner, in Verbindung mit dem jeweiligen Fall der Karten, weichen wir von dieser Linie zwar immer wieder ab, um letztendlich doch wieder zur Grundlinie zurückzukehren.
Es gibt im Pokerspiel die Schlüsselzahl 80/20, oft sogar als 90/10 bezeichnet, vielleicht irgendwo dazwischen liegend, doch lässt sich diese Teilung auf mehrere Bereiche anwenden. Wir gewinnen 80 Prozent des Geldes in 20 Prozent der Zeit. 80 Prozent unserer Gewinne kommen von 20 Prozent der Gegner. Und 80 Prozent unserer Angriffe sollten auf solide Karten beruhen, während wir in 20 Prozent der Fälle spekulieren, um die Gegner zu täuschen, zu überraschen, unser Image zu lockern, Transparenz zu verhindern.
Nur 20 Prozent? Auf zehn Premium-Hands nur zwei spekulative? Nein, das meine ich nicht damit. Vom Button oder Cutoff mit Ax Tx , K Q oder Ähnlichem als Erster zu raisen, ist noch immer konservativ. Die Abweichung von der Standard-Strategie ist dann gegeben, wenn wir mit 10 9 ein Reraise bringen oder mit dem gleichen Blatt ein Raise aus Early Position oder mit 5 4 ein Limp-Raise von UTG. Und dieses wird nur dann gewinnbringend, wenn uns der Gegner alles mögliche zutraut, aber keinesfalls ein Reraise mit Connectors. Zeigen wir dieses Blatt einmal her, dann prägt sich dieses Bild für den Rest des Abends in die Gehirne der Gegner. Erfolgt unser Angriff dann doch endlich mit Ax Ax oder Kx Kx , dann erwacht die Erinnerung, schürt das Wunschdenken, weckt den Zockerinstinkt, motiviert das Ego – und die Wahrscheinlichkeit eines schlechten Calls steigt.
Am vergangenen Samstag brachte ich, während acht Stunden, ganze zwei Reraises vor dem Flop und beide Male wurde ich gecallt. Beide Male mit Kx Qx offsuite. Das ist der Erfolg eines lockeren Images, das auch dann erhalten bleibt, wenn man wieder auf der streng konservativen Linie wandelt.
Warum wurde ich nur gecallt und nicht nochmals geraist, wenn man mir das gute Blatt doch nicht wirklich zutraute? Vermutlich deswegen, weil meine Preflop-Reraises an diesem Abend so selten erfolgten, was die Wahrscheinlichkeit eines Monsters somit doch um einiges erhöhte. Ist der Cold Call eines Reraises, unter diesem Aspekt, dann nicht ein Fehler?Und ob es ein Fehler ist! Noch dazu mit einem derart anfälligen Blatt, also Kx Qx , wenn weder ein König noch eine Dame im Flop Dominanz verspricht, weil, abgesehen von Ax Ax oder Kx Kx schließlich auch Ax Kx oder Ax Qx im Spiel sein könnte.Aber, diesen beiden Spielern ist halt eingefallen, dass sie mich auch schon mit 6x 3x haben reraisen gesehen, auch wenn dies schon ein paar Tage zurück lag.
Hier möchte ich übrigens noch ein Detail hinzufügen. Spielt man regelmäßig mit den gleichen Gegnern, so stellt sich heraus, dass der eine oder andere eine besondere Vorliebe für eine bestimmte Trash-Hand zeigt. Was immer der Grund dafür sein mag, weil er auf der Hausnummer 45 wohnt, weil am 25. Geburtstag hat oder weil er mit 6x 3x einmal einen Monsterpot gewonnen hat, kriegen die Gegner einmal mit, dass ein bestimmter Spieler eine Tendenz zeigt, ein bestimmtes, obskures Blatt mit entsprechender Regelmäßigkeit zu spielen, dann lässt sich wunderbar bluffen, sobald ein Flop fällt, der dazu passen könnte.
In jedem Fall wäre es aber falsch, auf ein solches Blatt jemals wieder Geld zu investieren, es sei denn, ich kann vor dem Flop mit einem Fold rechnen und habe dadurch die Möglichkeit, dieses Blatt wieder einmal zu zeigen, ganz freiwillig, nur um es den Gegnern in Erinnerung zu rufen, dass ich gerne 6x 3x spiele.
Rechne ich jedoch mit einem Call, dann passe ich damit kategorisch, weil ich weiß, dass ich, im Falle der seltenen Verbesserung, über praktisch keine Chance mehr verfüge, noch genügend Geld in den Pot zu kriegen, um die vielen Investitionen, die zu keiner Verbesserung führen, zu finanzieren.
Wenn ich nun davon schreibe, dass sich Spekulationen auf 20 Prozent – und oft reicht weniger – beschränken sollten, weil dies ausreicht, um die Gegner zu täuschen, wie lässt sich dies mit dem Konzept der Spieltheorie vereinbaren, die demonstriert, dass, bei Pot-Size-Bets ein Bluff-Ratio von 50 Prozent optimal erscheint?
Das ist ganz einfach zu erklären. Denn die spieltheoretische Bluffhäufigkeit bezieht sich auf jene Situationen, in denen ich bereits in einem Pot involviert bin. Wenn der Gegner nicht weiß, ob ich auf einen Draw hoffe oder über eine Made-Hand verfüge; wenn er über absolut keinen Anhaltspunkt verfügt, ob mir die River-Karte geholfen haben könnte oder nicht.Der hier erwähnte Prozentsatz, also 20, bezieht sich auf das Verhältnis zwischen soliden Karten und spekulativen. Und da reichen 20 Prozent völlig aus, dass sich unser Gegner nie sicher sein kann, gegen welches Blatt er antritt.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 12.03.2009.