Letztes Jahr schenkte mir meine Freundin einen Schreibkurs an der Stanford Universität. „Vielleicht kannst Du ja mit einem Buch reich werden, in dem Du beschreibst, wie Du Pleite gegangen bist,“ sagte sie, „das ist anderen schon gelungen.“
Ich besuchte alle zehn dreistündigen Kurse, machte meine Hausaufgaben und passte während des Unterrichts auf. Der Lehrer brachte uns bei, „Lasst nicht zu, dass die Wahrheit einer guten Geschichte in die Quere kommt.“ Das brachte mich weiter und veränderte mich als Schriftsteller komplett, weil ich mich nicht mehr an die Wahrheit gebunden fühlte.
Aber die folgende Geschichte ist wirklich wahr. Das muss auch so sein, sonst hätte es keinen Sinn, sie zu erzählen. Ich bin wie ein Astronaut, der auf dem Mond herumspazierte und auf die Erde zurückgekehrt, um von seinen ungeahnten Gefühlen zu erzählen. Ich bin wie ein Mann, der jahrelang allein in einem vergessenen Wald lebte und dann zurückkehrt, um von seinen Prüfungen und Triumphen zu erzählen. Doch ich bin ein Pokerspieler, der sich lange danach sehnte, ein Paar Asse bei Limit Hold’em mit Blinds von 20 $/40 $ vor dem Flop zu folden und dies schließlich auch tat. Dies ist die Geschichte:
Vor dreizehn Jahren hatte sich meine Karriere als Musiker als finanziell unzureichend erwiesen. Ich brauchte etwas, auf das ich mich verlassen konnte. Also hörte ich in der Band auf und wurde Pokerprofi. Ich spielte in Partien mit niedrigsten Limits, daheim, in hässlichen Apartements, in Kirchengewölben nach dem Bingo und überall, wo etwas abging. Die Partien waren sehr, sehr loose. Ich las ein Buch, in dem stand, dass man oft folden sollte. Das tat ich und das ist der Grund, warum ich gut davon leben konnte.
Ich studierte den besten Spieler, der von jedem respektiert wurde und Geld gewann. Er spielte anders. Er zeigte seine Karten nicht vor und erzählte nicht, was er hatte, wenn die Hand vorbei war. Und er gab seine Meinung nicht preis, wie ein anderer gespielt hatte. Und er war nie verärgert – weder durch Pech, durch schlechte Dealer noch sonst etwas. Er war dagegen immun. Ich glaubte, ich könnte und sollte mich auch so verhalten. Ich würde trainieren und – nach einem Leben voller preisgegebener Informationen und Emotionen – mir beibringen, meine Geheimnisse für mich zu behalten.
Und irgendwann ließ sich dann eine Idee auf mir nieder wie ein unbemerktes Insekt. Asse vor dem Flop floppen. Es einfach tun. Um zu sehen, ob ich es schaffe. Um zu sehen, wie es sich anfühlt.
Eine innere Stimme fragte, “Aber warum? Warum willst Du etwas derart Selbstzerstörerisches tun?“
Weil es existiert, wie ein Berg, der darauf wartet, bestiegen zu werden.
Einige Bergsteiger verlieren jedoch durch Frost Finger und Zehen. Einige erleiden Hirnschäden durch Sauerstoffmangel. Einige sterben. „Weil es existiert“ ist ein dummer Grund, um eine dumme Handlung zu rechtfertigen.
Sie haben Recht. Würden Sie mir aber jetzt, nachdem Sie mir auf den Geist gegangen sind, bitte den Weg zum Berg zeigen?
Gut. Sind Sie aber sicher, dass Sie ihn heute besteigen wollen?
Sie haben Recht. Vergessen Sie es.
Schnellvorlauf in das Jahr 2003. Ich spielte Hold’em und verlor mit Assen einen Pot. Ohne triftigen Grund rechnete ich schnell aus, wie oft mir das schon passiert war. Ich multiplizierte die Jahre, Stunden, Hände pro Stunde und es stellte sich heraus, dass ich eine Million Hände Live-Poker gespielt hatte. Dies hieß, ich hatte mehr als 4.000mal ein Paar Asse. Habe ich jedes vierte Mal damit verloren, habe ich mit Assen tausendmal verloren. Ich habe mit Assen tausendmal verloren. Ich habe mit Assen tausendmal verloren.
Was wäre wenn? Was wäre, wenn ich es nächstes Mal absichtlich mache. Das Insekt war wieder da und dieses Mal stach es. Ich erwähnte die Idee, Asse zu folden, gegenüber meinen Freunden. Nach dem erwarteten Spott brachte die folgende Diskussion zwei weitere Gründe zu Tage, es zu tun:
1. Um leichter folden zu können. Würde ich einmal Asse vor dem Flop folden, könnte es bedeutend einfacher werden, jede Hand zu folden, zu jedem Zeitpunkt, und vor allem, wenn ich weiß, dass ich folden sollte, es aber nicht kann.
2. Um den schlechtesten Spielzug vor dem Flop aller Zeiten zu machen. Nun hatte ich einen Grund, in den ich mich verrennen konnte. Bei Hold’em sind schon Milliarden von Entscheidungen vor dem Flop getroffen worden. Die Verlockung, die schlechteste aller Zeiten zu treffen, wurde unwiderstehlich.
Im Mai 2003 fuhr ich nach Vegas. Ich spielte mit einem Freund, der meine Sehnsucht kannte, in einer Partie mit Blinds von 20 $/40 $. Ich bekam ein Paar Asse. Mein Freund foldete vor mir und ich raiste. Beide Blinds callten. Auf dem Flop kamen 8x 8x 2x und ich verlor gegen eine Acht. Dann erinnerte ich mich, dass ich meinem Freund die Asse vor dem Flop hätte zeigen und dann folden können. Meine Sehnsucht wäre erfüllt und beglaubigt gewesen.
Einige Tage später geschah das Gleiche und es saß ein anderer Freund zu meiner Rechten. Er foldete, ich nahm Asse auf und ich vergaß, sie ihm zu zeigen und zu folden. Auf dem Board kamen einen König, ein Bube und eine Zehn und ich verlor gegen eine Straight.
Einige Tage später musste ich auf der Heimfahrt durch die Mojave-Wüste wieder über das Folden von Assen nachdenken. Vielleicht wäre es am besten, es für mich zu behalten. Vielleicht sollte ich es tun, um zu sehen, ob ich es kann, und dann niemandem davon erzählen, um zu sehen, ob ich das auch kann. Es wäre der schlechteste Spielzug und mein größtes Geheimnis. Und außerdem, wer würde mir diese Geschichte glauben, außer meinem besten Freund Alex.
Außerdem, warum ist diese einfache Aufgabe so schwierig? Ist es das finanzielle Opfer. Offensichtlich nicht. Ich konnte Hundert Dollar ohne große Probleme verschenken oder verprassen. Aber Asse vor dem Flop zu folden, schien selbst bei einem recht niedrigen Limit wie 3 $/6 $ viel schwieriger zu sein. Es lag also nicht am Geld, sondern an etwas anderem, das mich davon abhielt.
(Im Internet fragte jemand, nach dem konkreten finanziellen Wert eines Paar Asse bei 20 $/40 $. Die Antworten schwankten zwischen 60 $ und 100 $. Lee Jones antwortete: „Wie viel ist es wert zu wissen, dass diese Asse aus Plastik sind und Sie die Kontrolle über sie haben und nicht andersrum?“)
Einige Tage später ging ich ins Lucky Chances, um shorthanded 20 $/40 $ zu spielen. Ich bekam ein Paar Asse. Just in dem Moment, als ich meinen Raise ausführte, dachte ich, verdammt, schon wieder eine Gelegenheit verpasst. Nächstes Mal schaffe ich es und folde. Ich kann das. Ich muss nur innehalten und mich erinnern. Ich verlor die Hand gegen einen gefloppten Flush.
Vier Stunden später war der Tisch vollbesetzt und ich lag 800 $ hinten. Ich bekam Asse und vergaß wieder zu folden. Ein Ass kam auf dem Flop und ich foldete auf dem River, als vier Karten zur Straight auf dem Board lagen und zwei Leute vor mir setzten.
Nur wegen meines Verlangens wurde mir bewusst, dass ich viermal in Folge in zwei Bundesstaaten die Asse verloren hatte. Kann es sein, dass ich die Asse erst vor dem Flop folden muss, damit ich mit ihnen wieder gewinnen kann? Ich empfand schlimmsten Druck.
Weitere vier Stunden später lag ich 1.600 $ zurück und meine letzten 400 $ lagen auf dem Tisch. Die Partie verlief heftig und in jedem Pot lag eine Menge Geld. Ich war ruhig und fühlte mich geborgen, wartete auf eine Hand, auf einen guten Flop. Mein letztes Geld würde nicht im falschen Moment in die Mitte wandern.
Der erste Spieler foldete. Der zweite Spieler foldete. Ich war an der Reihe. Ich schaute meine Karten an. Da waren sie. Ein rotes und ein schwarzes.
Die Zeit stand still und ich konnte ein Selbstgespräch führen.
Worauf wartest Du? Tu es!
Ich kann nicht. Ich bin zu weit hinten.
Tu es!
Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht. Ich konnte es nie. Das ist mir jetzt klar.
TU ES!
Ich tat es.
Ich foldete diese Asse und empfand eine Woge des Selbstvertrauens und der Stärke. Ich sprang von meinem Stuhl auf und ging zu dem No-Limit-Tisch, an dem Alex saß.
Ich flüsterte in sein Ohr. „Alex! Ich habe es geschafft. Gerade eben! Wie wir es besprochen haben. Ich habe vor dem Flop Asse gefoldet!”
Alex fragte: “Hättest Du den Pot gewonnen?“
Was für eine Frage. Ich kehrte an meinen Tisch zurück, setzte mich hin und versteckte mich hinter meiner Mütze, weil ich niemandem ins Gesicht sehen konnte, da mir völlig klar war, dass sich die Chemie in meinem Gehirn gerade dramatisch durch ein dramatisches Ereignis verändert hatte und meine Mundwinkel sich bis zu den Ohren erstreckten. Ich konnte es nicht verhindern, selbst wenn ich gewollt hätte, was nicht der Fall war.
Letztlich gewann ich wieder ausreichende Kontrolle über mein Gesicht zurück und konnte wieder reden. Ich begann zu plappern, als hätte ich einige Pots gewonnen. Ich sprang in der nächsten Stunde zehnmal von meinem Stuhl auf, nachdem ich mich davor zwei Stunden lang überhaupt nicht bewegt hatte. Einige Stunden später lag ich leicht im Plus, die Partie wurde tight und ich stieg in mein Auto, immer noch im Rausch.
Es dauerte zwei Tage, bis die Begeisterung nachließ. Nun, einen Monat und Dutzende Asse später kann ich berichten, dass mich die Geschehnisse am 19. Mai an Tisch 41 auf Platz 9 nicht verändert haben. Ich spiele und denke kein bisschen anders. Ich bin wie der Mondfahrer, der zurückkehrt und sagt, die Erde sei wirklich rund. Ich bin wie der Bewohner der Wildnis, der zurückkehrt und sagt, der Wald sei voller Bäume. Nichts ist geistig oder materiell von meiner Reise geblieben, außer dass ich nun das Gefühl habe, man würde mir zublinzeln, wenn ich die Karten anschaue und ein Paar Asse sehe.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 27.01.2010.