Als ich damit begann, Turniere zu spielen, schied ich oft nahe der Bubble aus. In der frühen Phase des Turniers agierte ich sehr tight, und als die Blinds und Antes anstiegen, wartete ich auf gute Hände, mit denen ich dann all-in ging. Das führte dazu, dass ich oft mit guten, aber nicht sehr guten Blättern wie AJo oder TT ausschied.
Mit einer Hand wie TT nahe der Bubble auszuscheiden, ist ein ehrenhafter Turniertod. Wenn Freunde danach fragen, wie man ausschied, kann man sagen: „Ich habe als Shortstack mit 12 BB mit TT all-in gereraist.“ Und sie werden antworten: „Oh ja, da musstest du all-in gehen.“ Damit hatten sie auch recht, und in meinen Anfangstagen trösteten mich ihre Worte. Das Ausscheiden schien unvermeidbar. Nach einer Weile aber fragte ich mich: „Wieso hatte ich an dem Punkt nur 12 BB?“
Als ich bei anderen Turnieren live oder am Fernseher zuschaute, sah ich Manöver, die mir unverständlich erschienen. Profis reraisten preflop mit Händen wie 8 7 oder 6 8 all-in, und ich fragte mich, wie sie nur mit einer solchen Hand ihr Turnierleben riskieren konnten
Diese Frage, zusammen mit der Frage, weshalb ich gegen Ende des Turniers nie viele Chips hatte, ließ mich einen Fehler in meinem Denken entdecken. Mir wurde klar, meine Einschätzung der Handwerte war von Tabellen in Anfängerbüchern geprägt, die die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Hand, beispielsweise TT, gegen zwei zufällige Karten zeigte. Ich hatte Fold Equity und bedingte Wahrscheinlichkeiten nicht ausreichend berücksichtigt.
Der Spieler, der mit 86s all-in reraist, hofft natürlich, den Pot kampflos zu gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit dafür muss einigermaßen hoch sein, damit der Spielzug profitabel ist, allerdings möglicherweise weniger hoch, als manch einer glaubt. Nehmen wir an, die Blinds seien 400-800 bei einem Ante von 100. Ihr Stack zu Beginn der Hand ist 11.500 und Sie sitzen im Big Blind. Der Button (mit 15.000 Chips) raist auf 2.400 und der Small Blind foldet. In dieser Situation würde ich fast nie callen, aber durchaus einen Push in Erwägung ziehen.
Ein Fold lässt Ihnen 10.600 Chips, während ein erfolgreicher Push Ihren Stack auf 15.100 (10.600 + 2.400 + 400 + 800 + 900 Antes) hochschnellen ließe. Interessant dabei ist, fast alle Hände, mit denen der Button in dieser Situation raist, sind Favorit gegen 86s, aber bei einem Call sieht 8c6c gar nicht so schlecht aus. Ein aggressiver Spieler mag in dieser Situation mit 40% seiner Hände vom Button raisen, aber nur mit 20% dieser Hände callen. In diesem Fall besitzt ein All-in einen eindeutig positiven Erwartungswert. In 80% der Fälle gewinnt man kampflos 4.500 Chips dazu und in 20% der Fälle ist man 30-70 Außenseiter auf einen Pot von 24.100. Der Erwartungswert des All-ins beträgt
0,8 * 4.500 – 0,2 * 3.370 = +2.696.
In dieser Situation schneiden Sie mit einem All-in besser ab als mit einem Fold, wenn Ihr Gegner auf das All-in in mehr als 42,8% der Fälle foldet.
Spielt man ein wenig mit den Zahlen bei diesen Berechnungen des Erwartungswerts herum, dann lernt man schnell, dass die Wahrscheinlichkeit eines gegnerischen Folds wichtiger ist als die Wahrscheinlichkeit, das All-in bei einem Call zu gewinnen. Aus diesem Grund pushen Topspieler mit beliebigen zwei Karten, wenn sie (z. B. aufgrund eines Tells) von einem wahrscheinlichen Fold ausgehen. Selbst wenn sie sich irren (und beispielsweise mit 72o gereraist haben und gecallt werden), haben sie noch eine gewisse Equity. Mit 72o haben sie eine Chance von ungefähr 24%, gegen einen Caller zu gewinnen (31% gegen zwei Overcards und 12% gegen ein Overpair).
In Turnieren erwäge ich mit allen Starthänden, ganz egal, wie schlecht, einen aggressiven Spielzug. Dazu frage ich mich folgendes:
1) Was für eine Range repräsentiere ich mit einem Raise?
2) Mit welcher Range wird mich mein Gegner callen?
3) Wie hoch ist meine Gewinnwahrscheinlichkeit bei einem Call?
Dieses neue Konzept führte dazu, dass ich aggressiver wurde und sich meine Turnierergebnisse erheblich verbesserten. Die ersten zwei Fragen beschäftigen sich mit Ihrer Fold Equity. Ist die Fold Equity ausreichend groß, dann kann ein Push korrekt sein, selbst wenn Ihre Gewinnwahrscheinlichkeit bei einem Call klein ist. Die Antwort auf die dritte Frage gibt an, wie gut Ihre Hand bei einem Call abschneidet.
Die Gewinnwahrscheinlichkeit bei einem Call kann zu überraschenden Ergebnissen führen. Beispielsweise wird zum Cutoff gefoldet, einem extrem aggressiven Profi, der in dieser Situation zu 90% raisen wird. Er raist auf 3 BB und der Button, ein Onlinespieler, reraist auf 9 BB. Der Button hat einen Tell. Sie haben bemerkt, dass seine Hände leicht zittern, wenn er AA, KK oder QQ hat. In diesem Fall zittern seine Hände nicht, daher setzen Sie ihn auf eine marginale Hand für einen Reraise wie AJs. Ihr Stack beträgt 40 BB (und ist damit ungefähr so groß wie der des Profis und des Onlinespielers).
Wenn ich meinem Read vertraue, dann pushe ich hier mit Händen wie 98s. Diese Hand schneidet bei einem Call ähnlich gut ab wie JJ. Sie repräsentieren QQ+ oder AK. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Profi Sie nur mit QQ+ callt. Foldet er an dieser Stelle AK immer, dann schneidet 98s besser ab als JJ. Callt er mit AK manchmal, dann könnte JJ etwas besser sein. Mit der gleichen Begründung spielt sich 22 in dieser Situation fast genauso wie JJ.
So aggressive Spielzüge müssen natürlich mit Verstand ausgeführt werden. In einem $11-Online-Turnier mit Rebuys ist ein Reraise all-in mit 86s wahrscheinlich auf Tilt zurückzuführen. In der Bubble eines Turniers mit einem Buy-in von $10.000 kann es intelligent sein.
Brandon Adams
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 20.09.2008.