Tilt ist eine Folge der Reaktion des Gehirns auf eine Bedrohung. Diese Reaktion hat sich im Laufe von 300 Millionen Jahren entwickelt, und an diesem Punkt der Evolution muss eine Bedrohung nicht unbedingt eine wirkliche physische Gefahr darstellen. Psychologische Bedrohungen werden vom Gehirn genauso wahrgenommen. Dieser Teil des Gehirns ist so alt, dass er den Unterschied nicht erkennt. Die vielen hundert Gründe, die Pokerspieler anführen, wenn sie versuchen zu erklären, wie es zu Tilt kommen kann, sind alles Beispiele für psychologische Bedrohungen. Sie sind aber nicht die Ursache. Von der besten Hand geblufft zu werden oder einen Bad Beat eine Bedrohung zu nennen, mag etwas übertrieben klingen, das Gehirn sieht das aber nicht so rational. Genauso wenig tun wir das, wenn es passiert.
Auf die Bedrohung wird reagiert, indem das Gehirn proportional zur empfundenen Signifikanz der Bedrohung gereizt wird. Wenn der Reiz eine bestimmte Grenze erreicht, leitet das Gehirn Aktionen gegen die Bedrohung ein und andere Gehirnfunktionen werden proportional zum Reiz vermindert. Der Verlust von Gehirnfunktionen wie Selbstkontrolle, rationales Denken, Logik, Wahrnehmung seiner selbst und von anderen, Organisation, Planung, Strategie, mentale Handhabung von Informationen und anderes sind Kennzeichen von Tilt. Wenn das Gehirn auf eine Bedrohung nicht mit der Abschaltung dieser Funktionen reagieren würde, könnten die Emotionen außer Kontrolle geraten, und man würde trotzdem weiterhin gut spielen. Tilt würde nicht existieren.
Die nüchterne Realität ist, man hat keine Kontrolle über diesen Prozess. Wenn der Reiz eine Grenze erreicht, dann wird das Gehirn immer reagieren, garantiert (wenn man keinen Hirnschaden hat). Das Wissen um Grenzen des Gehirns ist wichtig, da – wie bei Poker – Informationen die Vorgehensweise bestimmen.
Auswirkungen am Pokertisch
Einige unter Ihnen werden die Folgen von Tilt auf der Stelle verringern können, alleine durch das Wissen, was man bei Tilt und dem Aufkommen von Tilt tun kann und was nicht. Da es darüber keine Ungewissheit gibt, gibt es auch keinen Grund dagegen anzukämpfen, indem man versucht rational zu denken, wenn das neurologisch unmöglich ist.
Vielen unter Ihnen werden gute Informationen nicht genug sein. Wenn man Tilt ernsthaft verhindern oder aus seinem Spiel verbannen möchte, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten.
(1) Verhindern Sie, dass die Erregung die Grenze überschreitet, und Sie werden nie wieder auf Tilt sein.
(2) Trainieren Sie Ihre Pokerfähigkeiten, bis Sie instinktiv das Richtige tun und Sie nicht mehr durch Emotionen beeinflusst werden.Alle von uns haben einige Fähigkeiten bis zu diesem Grad trainiert. Erfahrene Profis sind am weitesten und tilten daher nur selten. Diese Option erfordert entweder jahrelange Erfahrung oder Hochleistungstraining.
Kurzfristige Präventions-Strategie
Die Prävention von Tilt erfordert genaue und konkrete Informationen darüber, wie man tiltet. Glücklicherweise passiert das, wie alle neurologischen Muster, auf vorhersagbare Weise und aus vorhersagbaren Gründen. Einige kennen die Gründe, andere müssen erst ein paar Informationen sammeln. Was ist wichtig, wenn man eine präventive Strategie aus diesen Informationen entwickeln möchte?
Schritt 1) Listen Sie die Dinge, Aktionen, Situationen usw. auf, die Ihre Erregung steigern, insbesondere das, was Sie auf Tilt bringt. Das sind die Auslöser. Sie können von Ihnen, anderen Spielern oder anderen Faktoren ausgehen. Listen Sie so viele Auslöser auf wie möglich. Analysieren Sie die Liste, indem Sie die drei oder vier Auslöser hervorheben, die am häufigsten auftreten und die größte emotionale Reaktion hervorrufen.
Schritt 2) Listen Sie die Dinge auf, die Sie als Reaktion auf einen Auslöser tun, denken oder fühlen. Dies sind die Tendenzen. Auf diese Weise kann man feststellen, ob die Erregung steigt oder man auf Tilt ist. Die Tendenzen können erhöhte Atem- oder Herzfrequenz sein, Chips ohne Nachdenken zu setzen, aggressive Calls, geschockt sein, innere Hitze, sich selbst zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist, schnelle Entscheidungen zu treffen, einen Blackout zu haben und vieles mehr. Stellen Sie bei der Analyse der Liste die Grenze fest, also die Erregung, bei der Sie noch in der Lage sind, die oben aufgeführten Gehirnfunktionen auszuführen. Die Identifikation der Grenze erfordert etwas Arbeit, der Kerngedanke dahinter besteht aber darin, die Tendenzen zu kennen, die auftreten, wenn man kurz vor der Grenze ist oder sie gerade überschritten hat.
Schritt 3) Entwickeln Sie eine Strategie, um zu verhindern, dass die Grenze überschritten wird. Leiten Sie sofort Schritte ein, wenn sich die Erregung der Grenze nähert. Die Konsequenzen sind zu schlimm, um sie zu ignorieren, tun Sie also alles, was nötig ist, um die Erregung nicht weiter ansteigen zu lassen. Es gibt viele effektive Methoden, über die von Spielern und Autoren geschrieben wurde, und vielleicht kennen Sie bereits einige, die funktionieren. Zwei Methoden, die ich oft empfehle, sind:
(1) Nehmen Sie drei tiefe Atemzüge in Ihren Bauch (nicht die Brust). Diese Option ist auch deshalb gut, weil kaum jemand am Tisch etwas davon mitbekommen wird.
(2) Erzeugen Sie einen positiven Auslöser mit einem Kaugummi oder etwas anderem, was Sie beruhigt. Was Sie tun, um Ihre Emotionen in den Griff zu bekommen, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass Sie die Erregung stoppen. Was auch immer Ihre Strategie sein mag, schreiben Sie sie auf ein Blatt Papier, das Sie mitnehmen, wenn Sie spielen. Studieren Sie die Strategie ein, so dass Sie wissen, was zu tun ist, wenn die Emotionen das Denken blockieren.
Eine präventive Strategie ist eine in Arbeit befindliche Maßnahme. Versuchen Sie nicht zu sehr, es beim ersten Mal perfekt zu machen. Außerdem sollten Sie sie gründlich einüben. Verbessern Sie Ihre Strategie nach einem ersten Versuch, bei dem Sie sehen konnten, wie gut sie funktioniert, oder wenn Sie neue Auslöser oder Tendenzen identifizieren. Es ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass diese Strategie Arbeit erfordert. Auch werden Sie vermutlich einiges ausprobieren, bevor Sie eine präventive Strategie finden, die funktioniert.
Langfristige Präventions-StrategieEs ist nicht ungewöhnlich, dass die kurzfristige Präventions-Strategie aus verschiedenen Gründen zu schwierig ist. Zum Einen baut sich die Erregung über einen Zeitraum auf, was die Grenze senkt und einen selbst bei geringer Erhöhung der Erregung tilten lässt. Das gilt sowohl innerhalb einer Session, als auch über längerfristige Zeiträume, in denen es schlecht läuft. Der zweite Grund besteht darin, dass an diesem Punkt Ihrer Pokerkarriere einige Bedrohungen so signifikant sind, dass sie ohne Vorwarnung eintreffen und einen sofort auf Tilt bringen können. Es gibt ein paar psychologische Techniken, die die Erregung durch einen einzelnen Auslöser mindern und die gesamte Erregung durch mehrere Auslöser verringern.
Die erste Technik wird Systematische Desensibilisierung (SD) genannt. SD gibt es schon seit Jahren und kann an sich selbst angewandt werden. Man benötigt nur etwas Übung. Die andere Technik heißt EMDR (Eye-Movement Desensitization and Reprocessing) und erfordert die Arbeit mit einem Spezialisten. EMDR kann sehr erfolgreich sein bei Leuten mit einem großen Tilt-Problem. Wenn Sie mehr wissen möchten, findet sich im Internet viel Information dazu, ich wollte Sie aber darauf aufmerksam machen.Tilt ist ein festverankertes Muster, das nicht ohne Kampf verschwindet. Bei ausdauernder Arbeit sind die hier aufgeführten Strategien sehr effektiv bei der Prävention und vielleicht sogar Eliminierung von Tilt.
Anm.: Der Grundgedanke dieses Artikels, man gerät auf Tilt, weil das Gehirn auf eine “Bedrohung” reagiert, ist nicht unumstritten. Wir werden in Kürze weitere Texte zum Thema “Tilt” veröffentlichen, die auf einem anderen Kerngedanken basieren.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.04.2008.