Da standen wir nun inmitten all der Tische, an denen soeben Tag 1A der Deutschen Meisterschaft begonnen hatte, und inspizierten die laufenden Cashgames. Als erstes fiel mir auf, dass mir niemand auffiel – nur unbekannte Gesichter an den Cashgame-Tischen, bis auf eines beim 5/10 NL Hold’em. „Ich kenn hier keinen, nur den da hinten hab‘ ich neulich im Fernsehen gesehen“, sag‘ ich zu DonEdison und Exameter und deute auf einen großen Blonden mit vielen Haaren im Gesicht. Den Namen des Villains wusste ich nicht (Marc Gork), aber er war mir aufgefallen, als ich neulich beim DSF-Fernseh-Cashgame „German Highrollers“ hängen geblieben war. Wie er dort beim 25/50 NL Hold’em eine Hand gegen Markus Golser misshandelt hat, hab ich Don und Exa während der Suche nach dem Floorcommander berichtet. Hätte ich geahnt, dass er mich nur ein paar Minuten später vor versammelter Mannschaft an der Hecke lang zieht, wäre meine Kritik an seiner TV-Hand vielleicht etwas moderater ausgefallen.
Jedenfalls sitze ich wenig später mit DonEdison und MartenJ in eben jenem 5/10, hab in einer der ersten Hände AK in früher Position und eröffne mit 30. 4 Coldcaller inklusive Gork im BB, 100BB eff. Stacks.
Flop: Kx Tx 3x mit zwei Karo (125)
BB checks, Hero bets 80, 3 fold, BB calls.
Turn: 9 (285)
BB bets 220, Hero calls
River: 7 (625)
BB bets 550, Hero folds
Am River hab ich nicht lange nachgedacht und relativ entspannt gefoldet. Der BB repräsentiert mit seinem Flop-Call nebst Turn- und Riverlead eine Menge starke Hände, in erster Linie Flushes und Straights. Das weiß er am Turn zwar auch, aber dieses Wissen nützt ihm nichts, denn mir fiel kaum eine Kombo ein, mit der er sinnvollerweise den Flop sehr leicht callen und dann ab dem Turn mit Hilfe des Boards bluffleaden könnte. Er darf ja schon am Flop annehmen, dass Hero nach seiner Conti-Bet in 4 Leute eine starke Hand hat, insofern hat er am Flop eher keinen Spot für irgendwelche Floatgeschichten oop. Gewundert hab ich mich nur ein wenig über sein Betsizing am River. Seine Line in Verbindung mit der Boardentwicklung sieht für mich sehr stark aus, und wenn er dann am River noch Value von möglichst vielen Kx-Händen haben will, sollte er dann nicht kleiner betten in einem Spot, in dem er eh kaum einmal blufft?
Die Zufriedenheit mit meinem vermeintlich sauberen Fold hatte sich leider schnell erledigt, denn kaum hab ich mein AK gemuckt, fängt Gork an zu jubilieren und zeigt 43o. Huch, das geht ja toll los hier.
Der entscheidende Faktor ist aus Heros Sicht die Range, mit der der Villain am Flop callt. Je mehr schwache Tx- oder 4x-Onepair-Kombos er haben kann, die er nicht sofort folden mag, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er eine dieser Kombos am Turn mit Hilfe des Boards in einen Bluff verwandelt. In der Hand habe ich zwar korrekterweise angenommen, dass der Villain zwar preflop sehr weit callen dürfte, aber meine Annahme, dass am Flop mit all diesen Kombos (wie 43) ein Fold korrekt ist und er insofern am Turn selten bluffen sollte, ist zwar richtig, aber angesichts der Umstände ein bisschen limitiert.
Am dritten Tag haben wir kurz über die Hand gesprochen. Er sagt, dass er den Flop vor allem callen kann, weil er gegen meine starke Range prima Implied Odds hat, sollte er am Turn eine 4 oder eine 3 treffen. Speziell 43, aber auch generell 3x-Kombos sollte ich nicht sonderlich zahlreich in seiner Range vermuten. Stimmt wohl, aber das alleine dürfte mit 5 Outs (etwa eine 1:8-Chance auf eine 3 oder 4 am Turn) out of position kaum ausreichen, um den Call am Flop zu rechtfertigen?! Meint er auch. Sein zweiter Punkt ist, dass sich auch ohne Hit am Turn mit Hilfe des Boards am Turn/River gute Bluff-Spots ergeben sollten. So kam es zwar, aber auch das war ein seltenes Szenario. Aus seiner Sicht ist die Board-Entwicklung in der Hand perfekt gelaufen für die Glaubwürdigkeit seiner Line, das passiert nicht so oft. Außerdem ist seine Fold Equity ziemlich im Eimer: Auf dem Turn (vor Heros Call) die Straight und auf dem River der Flush sind auch Teil von Heros Range – plus eine Reihe anderer zumindest absolut sehr starker Hände, die Hero nicht gerne folden wird.
Isoliert betrachtet empfind ich seinen Preflop- und Flopcall bestenfalls als grenzwertig. Aber er könnte noch „Metagame“ als drittes Argument anführen. Wir waren am Anfang der Session, und diese Hand hat seinem Image alles andere geschadet. Je mehr Bluffs die anderen später in seinen Ranges sehen, desto härter kann er valuebetten, ein nützlicher Effekt. Im Kontext der gerade begonnen Session betrachtet, mag ich eher, was er gemacht hat. Ein bemerkenswerter Stunt war es allemal. Nice bluff, Sir.
Jedenfalls war mir nach der Hand klar, dass an diesem Tisch ein anderer Wind weht als an jedem anderen Live-Tisch, an dem ich bislang gesessen hatte. Ernsthafter Widerstand, denkende Gegner, das ist im Casino eher nicht die Regel. „Das war das härteste No-Limit-Hold’em-Cashgame, in dem ich je in Deutschland gespielt habe“, sagte gar Marten am nächsten Tag. So schlimm fand ich es nun auch wieder nicht, aber eine Goldgrube sieht anders aus. “Scheint so, als würden das hier alle professionell machen”, sagte Gork irgendwann im Lauf der Session, damit lag er wohl nicht ganz falsch. Einmal wenigstens setzte sich für eine halbe Stunde ein Ahnungsloser dazu. Der nahm mein Geld und ging wieder.
Hero eröffnet 30 in früher Position mit KK, 1 Coldcaller, der unterirdische Button 3bettet auf 130, knapp 100BB eff. Stacks. Hier hab ich etwas größer als Standard ge4bettet auf 340 Euro, weil ich a) annahm, dass dieser Villain ohnehin seine komplette Range callt und es b) am Flop mit gut 700 Euro im Pot und etwa 600 Euro eff. Reststacks auch auf ungünstigen Boards leichter ist, sich als Pot-Committed zu betrachten, als wenn der Pot kleiner wäre und die Reststacks größer. Im Nachhinein dürfte meine 4bet sogar noch etwas größer sein.
Flop: K 10 7 (~700)
„Top-Set, nicht so schlecht“, dachte ich. Moderate Continuation Bet (Protection, wichtig), und zu meinem Entzücken stellt der Villain nach kurzem Überlegen seinen Stack in die Mitte. „Call“, sag ich, lecker zufrieden, empfinde dann aber die 9h am Turn als überaus bedrohlich und bin am Ende gar nicht mehr optimistisch, als sich am River das Board nicht paart. „Haste nen Herz“, die bange Frage. „Nee, hab ich nicht“, sagt er zu meiner Erleichterung – und dreht QJ um. Huch, 1.000 Euro den Bach runter.
100BB nachgeladen, DonEdison eröffnet aus dem Cutoff, ich im SB mit 5x 5x .
55 im SB gegen einen kompetenten, wilden Cutoff, knappe Entscheidung (Anfänger sollten folden). Coldcall sieht erstmal nicht toll aus: Out of position lässt sich so eine Hand als Paar gegen jemanden aus der Don-Liga kaum profitabel spielen, aber reines Setmining lohnt auch nicht, weil seine CO-Opening-Range eher schwach ist, so dass wir mit nem Set zu selten voll bezahlt würden. Deswegen würde ich mit diesen Stacks die Hand gegen gute Spieler mehrheitlich 3betten, je nachdem. Ein schlechter Spieler im BB z.B. mag die Tendenz von 3bet zu Coldcall verschieben. Und genau das war hier der Fall. Der einzige Semifisch hatte sich den aus meiner Sicht schlechtesten Platz ausgesucht, links von mir. Um ihn mit in den Pot zu holen, hab ich den 3bet-Impuls unterdrückt und gecallt, woraufhin der BB zum ersten Mal in seinem Leben preflop gefoldet hat.
Na super, mit 55 Heads-Up Out of position gegen Don „3 Barrels“ Edison. Das wird ein Spaß.
Flop: 10 5 4
„Middle-Set, nicht so schlecht“, dacht ich, und war superglücklich, als ich nach meinem Check den Don 50 Euro cbetten sah. Ich checkraise auf 150, Don 3bet – huh?! Naja, das mag AhTx sein, gerne auch Bottom Set. Stellen wir also beide den Stack rein, Board paart sich nicht, er hatte nen Flush gefloppt. Wieder 1.000 Euro den Bach runter.
Spätestens hier dämmerte mir, dass ich diese 3 Tage mit amateurhaftem Bankrollmanagement angegangen war. Die Stacks der anderen wurden immer tiefer, und anstatt sie zu covern, näherte ich mich rasant dem roten Bereich, in dem ich ohne die rosa Scheine anderer Leute nicht mehr reloaden konnte. Eine unangenehme Situation, die obendrein erheblich meinem Spiel geschadet hat, weil oft der varianzreichste Move der beste ist, ich mich aber verpflichtet fühlte, Varianz rauszunehmen. Dass so etwas Ärgerliches passieren könnte, hatte ich nicht erwartet. Im Nachhinein würde ich sagen, dass allein wegen der im Lauf des Abends auf über 500 BB gewachsenen Stacks 10.000 Euro die Minimum-Roll gewesen wäre, um in diesem Umfeld mit bequemem Polster in der Hinterhand drei Tage lang so ambitioniert zu spielen, wie ich es eigentlich vorhatte. Lektion gelernt, nächstes Mal.
Varianz hin oder her, 6 5 in früher Position ist ein Opener, auf 30. Eine Handvoll Coldcaller, darunter am Button ein freundlicher, konzentrierter älterer Herr (Amerikaner, wie ich später erfahren habe) mit irisch beschrifteter Pokermütze, der mir vorher mit 2 eher nicht so guten Raises aus der Abteilung „herausfinden, wo ich stehe“ aufgefallen war. Nach cbet und Turncbet sahen wir heads up am River das Board
Q 5 2 J Q
auf dem ich mir Checkverbot erteilt habe, weil ich noch Value von seinen Queens will. Auf ein All-In (potsize etwa), hab ich befürchtet, könnte er aber Trips folden und nur mit Besserem callen. Also bette ich 415 in gut 600 mit gut 200 dahinter, gegen ein All-In wollt ich folden. Er geht tatsächlich All-In und anstatt wegzulegen, hab ich an die beiden merkwürdigen Raises gedacht und mich dann auch wegen Neugierde in einen Call gelevelt. Wieder 1.000 Euro den Bach runter, diesmal knapp ein Viertel davon wegen selbst schuld. Hero kriegt zwar 1:8 am River, ist aber immer geschlagen, in diesem Fall von JJ. Nice hand, Sir.
Dann folden alle zu Marc Gork im Hijack, der sagt „Raise 300“.
Versprecher, beteuert er, vielleicht ein Showelement, ich war mir nicht sicher. Alle folden bis zu mir im BB mit AK. 100BB effektive Stacks. Ich sehe seine sechs 50er-Chips, guck ihn an, frag nochmal „300?!“. „Haste Queens oder watt“, fragt er zurück. „All-In“, sag ich und nehme erleichtert zur Kenntnis, dass ihm diese Ansage nicht gefällt.
Er bekommt 700:1300, also braucht er gegen meine Range 35% Equity für einen Call. Aber was ist hier eigentlich meine Range? AQ+, 22+? AT+, 22+? Darüber habe ich vor allem nachgedacht, bis er schließlich „Call“ sagt. Flop Txx, da jubelt er schon, Turn 8, da brüllt er „Twopair“, und als dann am River noch ne T kommt, fliegt sein T8s auf den Tisch, und er tanzt fistpumpend, während auf meiner Seite wieder 1.000 Euro den Bach runter sind.
Call war gut. T8s hat 37,7% Equity gegen AQ+, 22+. Das konkrete Setup T8cc gegen AKo ist um 40:60, je nachdem, ob Hero ein Kreuz hat oder nicht.
Dann war der erste Tag endlich zu Ende. Einiges aufzuholen an den nächsten beiden.
(Disclaimer: Alle Boards und Bet-/Potsizes in diesem Bericht sind aus dem Gedächtnis rekonstruiert, insofern dürfte sich keine der Hände exakt so abgespielt haben wie hier beschrieben. Sinngemäß kommt es aber ungefähr hin. Außerdem habe ich zwischendurch die eine oder andere Hand gewonnen, auch wenn es hier nicht danach aussehen mag.)
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 21.11.2009.