Das folgende ist ein Auszug aus “Teil 9: Loose-aggressives Spiel” aus Harrington on Cash Games: Volume II; How to Play No-Limit Hold’em Cash Games von Dan Harrington und Bill Robertie.
Nachteile des loose-aggressiven Stils
Jeder Stil besitzt neben Vorteilen auch Nachteile. Betrachten wir einige der Nachteile des loose-aggressiven Spiels.
Nachteil Nr. 1: Call von Raises und Reraises Loose-aggressive Spieler tendieren dazu, viele marginale und unterdurchschnittliche Hände zu spielen, insbesondere vor dem Flop. Das ist nicht besonders schlimm, wenn man als Erster im Pot ist oder nach einigen Limpern ebenfalls limpt, da ein Hauptbestandteil der Strategie darin besteht, viele Flops günstig zu sehen.
Problematisch wird es jedoch, wenn der Pot vor einem geraist oder gereraist wurde, insbesondere dann, wenn der Raiser ein normaler, tighter Spieler ist. Jetzt hat jemand annonciert, dass er eine gute Hand hält. Um einen Raise zu callen, benötigt man eine bessere Hand als zum Limpen oder zum Raisen als Erster in der Hand. Vielen loose-aggressiven Spielern fällt es schwer, die richtigen Anpassungen vorzunehmen. Das gilt besonders dann, wenn sie geraist hatten und gereraist wurden. Dann fühlen sie sich oft dazu genötigt, den Reraise zu callen, um den Flop zu sehen.
Auf den ersten Blick scheint es eine einfache Problemlösung zu geben. Man attackiere viele Pots, limpe viel, wenn man aber geraist oder gereraist wird, dann behalte man nur seine Premiumhände und folde den Rest. Das sieht nach einer einfachen Lösung aus, birgt aber einige Probleme.
Wenn die anderen Spieler am Tisch aufpassen, werden sie merken, dass man viele Pots mitspielt. Ist die Zahl der mitgespielten Hände deutlich höher als die erwartete Zahl guter Hände, dann wissen die Gegner, dass man viele Spielzüge mit verdächtigen Karten macht, und reagieren dementsprechend. Das führt dazu, dass man mit ordentlichen Blättern, die wahrscheinlich besser als Ihre Karten, aber keine Premiumhände sind, geraist wird. Beginnt man damit, unterdurchschnittliche Hände auf Raises zu folden, dann wird man Schritt für Schritt dazu gezwungen, unterdurchschnittliche Hände nicht mehr mitzuspielen. Das würde wiederum dazu führen, dass man tight-aggressiv wird.
Für viele loose-aggressive Spieler besteht die Lösung darin, unterdurchschnittliche Hände bei Raises mit Calls zu verteidigen. Das Spiel postflop wird dann zum Kampf zwischen zwei Spielern, die beide möglicherweise eine unangenehm schwache Hand halten. Ein guter loose-aggressiver Spieler geht davon aus, bei einer derartigen Auseinandersetzung im Vorteil zu sein (und mag damit recht haben). Der tighte Spieler, der raiste oder reraiste, verlässt sich auf die im allgemeinen stärkere Hand.
Es gibt keine “richtige” Lösung für das Problem. Dieses Problem wohnt dem loose-aggressiven Spiel inne. Das Beste, was man sagen kann, ist, der loose Spieler muss eine Antwort parat haben, wenn er immer öfter geraist wird. Diese Raises zu callen, ist riskant, Folds bergen aber ihre eigenen Unkosten.
Nachteil Nr. 2: Die veränderte Tisch-Dynamik Das Erscheinen eines loose-aggressiven Spielers an einem tighten Tisch verändert die Tisch-Dynamik, also die Art und Weise, in der die Spieler aufeinander reagieren. Einige dieser Veränderungen sind für den loose-aggressiven Spieler günstig, andere nicht.
Wir sind bereits darauf eingegangen, wie loose Spieler die Situation zu ihren Gunsten verändern – tighte Spieler werden in unangenehme Situationen gebracht und gezwungen, sich Pots stehlen zu lassen, oder sich auf eine Weise zu wehren, die ihnen nicht vertraut ist. Der loose Spieler ist jedoch nicht der einzige, der von der sich verändernden Dynamik profitiert. Auch ein aufmerksamer tighter Spieler kann seinen Nutzen daraus ziehen.
Der loose Spieler lenkt durch sein aktives Vorgehen die Aufmerksamkeit der anderen am Tisch auf sich. Er raist aus allen Positionen, stiehlt Blinds und bettet nach dem Flop in vielen Pots. Das wird den anderen Spielern nicht entgehen. Sie wollen nicht herumgeschubst werden, und sie müssen einen Weg finden, sich dagegen zu wehren. Sie werden den loosen Spieler studieren – wie oft callt er einen Raise, was zeigt er am Showdown, wie reagiert er auf einen Checkraise?
Am Pokertisch möchte man nicht wirklich im Zentrum der Aufmerksamkeit sein. Die Gegner werden Ihre Gewohnheiten schneller erkennen und dann eine Gegenstrategie entwerfen. Im Endeffekt erzeugt die zusätzliche Aufmerksamkeit einen Gegenstrom, gegen den man anschwimmen muss.
In der Zwischenzeit wird bei allen anderen am Tisch locker gelassen. Sitzt man als tighter Spieler am Tisch und spielt nur seine übliche Anzahl an Händen, dann kann man sich recht sicher sein, dass man nicht allzu genau beobachtet wird. Im Endeffekt werden alle außer dem loosen Spieler als tighte Spieler behandelt. Dieses Wissen kann man nutzen, indem man sich darüber bewusst ist, Pots sind leichter zu stehlen, wenn der loose Spieler kein Interesse an der Hand zeigte.
Nachteil Nr. 3: Es übertreiben Pokerspieler diskutieren oft darüber, “am Abgrund entlang zu balancieren”, und über die Notwendigkeit, nicht durch fehlende Vorsicht oder Überheblichkeit abzustürzen. Was meinen sie damit?
Gehen wir davon aus, dass Sie ein tighter, konservativer Spieler sind, der nichtsdestotrotz gut und aufmerksam pokert. Sie spielen nur solide Premiumhände. Sie bekommen nicht viel Action, aber die Hände, die Sie spielen, sind profitabel. Langfristig haben Sie einen Vorteil und Ihr Spiel bringt Ihnen etwas Geld.
Sie möchten aber mehr Geld machen. Daher beginnen Sie damit, Ihr Spiel zu modifizieren. Sie fügen ein paar Hände wie Suited Connectors oder Asse mit kleiner Beikarte gleicher Farbe zur Auswahl Ihrer Hände und versuchen in Position so viele wie möglich davon zu spielen, damit Sie nicht zu viele schwierige Entscheidungen zu treffen haben. Was passiert?
Zwei gute Dinge passieren. Ihre neuen Hände selbst sind profitabel, zum Teil weil sie von Ihrer alten Auswahl an Händen geschützt werden. Aber zusätzlich werden Ihre alten Premiumhände profitabler, da Ihren Gegnern langsam bewusst wird, dass Sie schwächere Karten als zuvor halten könnten. Sie profitieren auf zweifache Weise und Ihr Gewinn steigt.
Von diesem neuen Trend angeregt, nehmen Sie weitere Anpassungen vor. Sie beginnen damit, schwächere Hände in früherer Position zu spielen und nehmen weitere unterdurchschnittliche Hände wie Unsuited Connectors und Blätter wie 86 suited hinzu. Weitere Veränderungen treten auf. Ihre Premiumhände werden fast unerkennbar, und daher profitabler als zuvor. Die neuen Hände aber sind so schwach, dass sie selbst Verlust machen. Der Gesamteffekt ist jedoch positiv und ihr Profit steigt weiter an.
Im nächsten Schritt nehmen Sie weitere Hände hinzu. Ihre Premiumhände gewinnen weiter an Wert, da man Ihnen kaum noch glaubt, eine Premiumhand zu halten. Die neuen Hände aber verlieren Geld, und der Gesamteffekt ist zum ersten Mal negativ statt positiv.
Mit dem letzten Schritt gingen Sie zu weit und spielten zu viele Hände, um profitabel zu bleiben. Man kann diesen Fehler bei vielen vielversprechenden Spielern beobachten. Sie reizen die Grenze aus, bis sie von Gewinnern zu Verlierern werden und pleite gehen. Poker ist ein besonders heimtückisches Spiel, da es nur sehr schwer erkennbar ist, wenn man es übertreibt. Unabhängig davon, wie Sie pokern, Sie werden immer einige gute Sessions mit Gewinn abschließen (die Sie in Ihrem Vorgehen bestätigen), während die Sessions mit Verlust wie Pech aussehen. Wenn Sie loose-aggressiv spielen möchten, behalten Sie im Hinterkopf, dass es eine Grenze gibt, die man nicht überschreiten sollte.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 16.04.2008.