Jammern ist sonst strengstens verboten, aber so eine unfassbare Serie von Bad Beats bringt sogar mich ein wenig aus der Fassung. Die Rezeptionisten hier am Schiff hassen mich. Die Londoner Taxifahrer betrügen mich (wie immer). Meine ukrainische Freundin bekommt kein Visum und der jüngste weibliche Single unter den Passagieren hat blasslila gefärbte Haare und geht stramm auf den 60er zu. Nur beim Pokern läuft es tadellos. Aber wen interessiert das schon?
Wien – London – Wien – Wörtersee – Venedig. Das alles in knapp 75 Stunden. Erst zum Party Poker European Open IV gedüst. Schließlich hatte ich dort einen Rekord zu verteidigen. Meine vierte Teilnahme, 6er-Tische Shootout und ich in der Summe meiner Platzierungen irgendwo zwischen Letztem und Vorletzten. Erst die übliche Idiotensteuer für die ebenso üblichen „Abkürzungen“ der Londoner Taxifahrer abgedrückt, dann stolz das Pokerstars-Logo am Hemd montiert und auf in die Schlacht.
Diesmal lief es deutlich besser und mein Freund Thomas Bihl bekam meine üblichen Hände und fasste ergo meine übliche Platzierung aus. Ich hingegen war auf einem guten Weg und schließlich im Heads-Up um den Einzug ins Finale sogar in einer vorteilhaften Stack-Situation. Nur ohne Glück geht es einfach nicht. Einmal ein dummer Missdeal, zwei verlorene Coinflips und statt ins Finale durfte ich in die Turbo-Second Chance. Ein interessantes Format und sehr zu empfehlen für alle Liebhaber des gepflegten Deepstack. Alle sieben Hände wird das Limit erhöht und damit das Nachdenken nicht so schwer fällt, muss man seine Entscheidung binnen 20 Sekunden treffen, sonst ist die Hand tot. Das war ich dann auch bald. Tot, meine ich und draußen.
Mein Nachrichten gecheckt und prompt die tragische News. Meiner ukrainischen Freundin Tanya wurde aus unerfindlichen Gründen das sechs Monate vorher beantragte Visum von der Botschaft verweigert. Zu schade auch! Hatte alles reserviert und geplant. Von Wien mit romantischem Zwischenstopp am Wörtersee direttissima nach Venedig und dort gleich einchecken auf der MSC Poesia zur sechsten Auflage der Party Poker Million Kreuzfahrt.Meine Familie, Mutter, Bruder, Schwägerin und Anhang würden auch an Bord sein (als verspätetes Weihnachtsgeschenk). Gute Gelegenheit – so mein ursprünglicher Plan – nebenbei meine Freundin der Familie vorzustellen. Erzählt hatte ich schon viel von ihr. Hübsch, schmales schönes Gesicht, Top-Figur und samten schimmernde halblange Haare. Und jetzt dieser Mist mit dem Visum.
Bitte lächeln – Danke!Ersatz musste her, adäquater Ersatz – schon alleine um das Kreuzfahrtticket nicht verfallen zu lassen. Und was mache ich im Taumel meiner verwirrten Londoner Gefühle, noch angeschlagen vom schnellen Ausscheiden beim Turbo-Second-Chance? Ich lade Thomas Bihl ein, mich zu begleiten. Unfassbar – und ein weiteret Bad Beat der optischen Sorte.
Flug London-Wien ohne besondere Vorkommnisse. Dann eine durchaus unterhaltsame Nacht in Wien und ab Richtung Italien. Den geplanten Zwischenstopp am Wörtersee programmgemäß durchgezogen. Also praktisch fast schon am Ziel. Nach meiner Erinnerung eine Strecke von knappen 90 Minuten bis nach Venedig. Aber entweder muss ich damals ein anderes Auto gehabt haben,oder eine andere Uhr? Vielleicht war es auch an einem anderen See? Jedenfalls wurden es höllisch stressige dreieinhalb Stunden und gerade im letzten Moment konnten wir an Bord einchecken.
Wer braucht daschon einen Pool?
Hier ein paar Fakten. Die MSC Poesia bietet 3000 Passagieren Platz. 15 Stockwerke, 300 Meter lang und 1275 Kabinen. Zwei dieser Kabinen sind übrigens aus irgendwelchen technischen Gründen nicht mit Internetanschluss ausgestattet. Es gibt zwar die Buxe, aber es steckt – im wahrsten Sinne – nichts dahinter. Jetzt raten Sie einmal, wem die Rezeptionistin auserkoren hat, für dieses einsame Schicksal ohne World Wide Web in See zu stechen? Vielleicht eine der vielen 90jährigen Rentnerinnen an Bord (in Begleitung ihrer 70 jährigen Töchter)? Nein, mich – wen sonst? – hat dieses Schicksal getroffen. Mich als dynamischen und halbwegs jungen Pokertouristen mit Computertasche unterm Arm und digitalem Fotoapparat um den Hals gehängt. Na ja – wie gesagt. Gejammert wird nicht und endlose drei Stunden später und unter Aufbietung all meiner Geduld und Diplomatie wurde ich dann umgebucht. In der Zwischenzeit hatte mein Freund Thomas Bihl schon das Jahresbudget einer Kleinstadt am virtuellen Pokertisch umgesetzt.
Zum Turnier selbst. Nun erst die gute Nachricht. Ich habe es tatsächlich ins Geld geschafft. Leider mein 2. All-in des gesamten Turniers verloren. Immerhin $11.260 (Buy-in $8.400).Interessant und passend zum Ambiente eines Kreuzfahrtsschiffs der Altersschnitt der Dealer. Im großen und ganzen Gesichter, die man von der WPT kennt, also tatsächlich dreimal so alt wie der durchschnittliche EPT-Dealer. Aber wirklich tadellose Leistungen. Sehr routiniert und gelassen wird ans Werk gegangen. Aber keinerlei Gründe der Beanstandungen.
Ganz im Gegensatz zu meinem Kabinenleben. Da gäbe es eine extrem störende akustische Beanstandung, aber keine Chance. Da kann einem niemand helfen. Vorschrift ist Vorschrift und der kleine – aber extrem leistungsstarke – Kabinenlautsprecher terrorisiert mich maßlos.Sie müssen sich das Leben an Bord so vorstellen. Als geeichter Pokerspieler geht man nach den Cashgames so gegen 7.00 in der Früh ins Bett und spätestens ab 9.30 starten die Durchsagen in schneidender Lautstärke und dann gleich in sieben verschiedenen Sprachen.„Achtung. Achtung. An alle Passagiere. Machen Sie sich keine Sorge. Die folgende Notfallübung ist nur für das Personal. Wir wünschen einen schönen Tag!“ – Erfreulich zu hören, dass es sich nicht wirklich um einen Notfall handelt, und eigentlich könnte man annehmen, das war es auch mit der deklariert nicht besorgniserregenden Information. Also auf die andere Seite drehen und weiterschlafen.
„Das Evakuierungsteam B soll sich unverzüglich im 7.Stock versammeln“oder „Die Rettungsboote 1-5 unverzüglich ins Wasser lassen. Bitte die Feuerschutztruppe sofort in die Umkleideräume des Theaters – ich wiederhole – Die Feuerschutztruppe sofort in die Umkleideräume des Theaters!“
Jede dieser Durchsagen unfassbar laut und dann nach der Reihe auf italienisch, griechisch, türkisch, englisch, deutsch, spanisch und französisch. Abdrehen oder auch nur leiser drehen ist unmöglich. Man könnte den Lautsprecher höchstens aus der Wand stemmen und morgen früh werde ich das auch tun.
Noch ein paar abschließende Worte zum Cashgame. Wir sind eine fixe Runde und spielen da eine Spezialpartie. Neun Varianten abwechselnd. H.O.R.S.E, Tripple Draw, NLH, PLO und Badugi. Manchmal verliert man den Überblick, welches Spiel gerade dran ist. In solchen Momenten der Verwirrung kann man sich mit folgendem Trick aus der Affäre ziehen. Einfach laut „all in“ schreien und hoffen, dass niemand die Nuts hat (was auch immer die Nuts gerade sein mögen). Jedenfalls ich gewinne und fühle mich pudelwohl. Gewöhnlich starten die Blinds mit 50/100 und werden dann auf 100/200 erhöht. Bei einer Marathonsitzung mit Mike Sexton und Mr. Ralph haben wir den ganzen Tag durchgezockt. Zu dritt also und die Blinds gleich 200/400. Todesmutig (und absolut buzzermäßig) hat sich Thomas Bihl bei mir beteiligt und wir haben auch schön gewonnen.
Aber zurück zu meinem Kabinenleben. Mein Internet geht halbwegs stabil (zum Schnäppchenpreis von 50 Cent die Minute). Zum Schlafen komme ich in der Regel nur für zwei bis drei Stunden, bevor dieser ganze Rettungswahnsinn losgeht. So sehe ich die Welt völlig übermüdet und in sonderbar irrealen Farben oder liegt das an der ukrainisch – garantiert echten – Markensonnenbrille?
Apropos, meine Freundin hat mir ein Mail geschrieben, ob ich sie vermisse. Selbstverständlich habe ich geantwortet, wie sehr ich sie vermisse. Aber das war ein Bluff. Erstens habe ich ja Thomas und zweitens hat mir gestern am Obstbuffet die knackige 59jährige mit den blasslila Haaren zugezwinkert. Vielleicht führe ich sie heute Abend in die Borddisco aus. – Ob das klappt und alles weitere erfahren Sie in meinem nächsten Bericht.
Christoph Haller
www.doublesuited.de
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 08.05.2008.