Die Putzfrau ist schuld! Beziehungsweise die Agentin, die so tut, als ob sie mich nicht versteht und sich als Putzfrau verkleidet hat. – Aber eines nach dem anderen. Das Einladungsturnier von Mike Svobondy hat ja bereits eine langjährige Tradition. 32 Spieler sind im Hauptbewerb zugelassen. Ort des Geschehens Cancun, Mexiko. Gespielt wird Backgammon und das wirklich für hohe Beträge. Zentrum der High Roller ist die Suite von Gus Hansen, aber auch sonst wir abseits des Turniergeschehens überall um das große Geld gezockt.
Bis jetzt hatte ich bei diesem Turnier eine tadellose Bilanz. Zweimal angetreten – das Buy-in beträgt $7.500 – und zweimal ins Halbfinale vorgestoßen und dort dann, selbstverständlich mit Pech, ausgeschieden. Jeweils $25.000 war jedoch ein fairer Trostpreis, doch jeder wusste dieses Jahr wird mein Jahr! Zugegeben die Konkurrenz war stark wie nie. Mindestens zwei Ex-Weltmeister wie David Nahmmad und Denis Carlston, Phil Laak, Mark Teltscher und viele andere mehr. Neben mir der einzige Deutsche vor Ort ist Backgammon Profi Andreas Humke. Allerdings nur in der Rolle des Beobachters und aktiv in den Sidegames. Die aktuelle Weltspitze zu der Humke, neben Peter Jeß Thomson und dem unverwüstlichen Paul Magriel, sicher gehört, hält sich beim Hauptbewerb nobel zurück.
Die Anreise war schon etwas beschwerlich. Irgendwie habe ich das einen geographischen Bad Beat bekommen oder zumindest nicht die schlaueste aller Routen gewählt. Seychellen – Wiener Neustadt – Mexiko. Das könnte man strategisch optimieren. Den einen Abend in Wiener Neustadt durfte ich dann Andreas Krause zu seinem Turniersieg gratulieren und er mir beim Omaha spielen zusehen – obwohl ich es eigentlich genau andersrum geplant hatte. Am nächsten Tag wieder in den Flieger und über den Atlantik.
Die Hotelanlage in Cancun wunderschön, die Putzfrau weniger, aber sofort da. Völlig übermüdet und von diversen Jetlags gleichzeitig gebeutelt stellte ich mich freundlich vor und gab „Maria“ (das ist wohl ihr Alias-Name) gleich einmal $10 Trinkgeld. Außerdem vergewisserte ich mich, ob sie mich auch versteht, bat sie am nächsten Morgen wiederzukommen, keinesfalls meinen Laptop anzugreifen, meine taktischen Notizen am Schreibtisch genau so liegen zu lassen. Mit anderen Worten, Betten machen, Badezimmer aufräumen sollte reichen.
Nach einem lästigen schlafähnlichen Zustand dann aufgestanden, ins Pool gesprungen und fertig für das geplante Rahmenprogramm. Eine Art kulturelle Besichtigungstour mit reger Teilnahme des Starterfelds. Millionäre, Milliardäre – wie etwa Dr. Donald Khan – und entsprechende Prominenz. Alterschnitt der Männer so um die sechzig und die dazu gehörigen Freundinnen mindestens eine Generation jünger. Nur bei Phil Laak und Jennifer Tilly passt dieses Schema nicht. Beide zugegeben nett, aber diese Hype um Jennifer verstehe ich als Mann nicht wirklich. In meiner zweiten (oder ist es die dritte?) Heimatstadt Odessa würde sich nicht gerade viele Männer nach ihr umdrehen – um es mal vorsichtig zu formulieren.
Nach Kultur und Smalltalk dann zurück ins Zimmer. Mein Schreibtisch klinisch geputzt und komplett leer geräumt. Die wertvollen und sortierten Notizen lieblos auf einen Haufen geschoben und – unglaublich aber wahr – massiver Zigarettenrauch in der Luft. Und das mir als fanatischer Nichtraucher, der die Miss World nicht bei sich übernachten lassen würde, sollte sie auf der „Zigarette danach“ im Bett bestehen. – Ich melde mich bei der Rezeption, frage nach „Maria“ und keine zehn Minuten später klopft sie an meine Tür. Diesmal versuche ich es mehr mit Gebärdensprache (und $20). Zeige auf den Schreibtisch: „No – No – No“. Deute auf den restlichen Raum: „OK – OK –OK“. Imitiere einen Raucher („No-No-No“) und schließlich als kleine Ermunterung, dass ich ihre Arbeit zu schätzen weiß, eine Geste vor der Badezimmertür und ein „Yes – Yes – Very Good!“.
Nächster Morgen, kurzes Treffen mit Gus Hansen, den man wenig am Pool sieht, weil praktisch rund um die Uhr gezockt wird in seiner Suite. Dann Frühstücken mit Mark Teltscher. Das ist der Unglücksrabe dem Pokerstars die gewonnen Million beim WCOOP wieder aberkannt hat. PokerOlymp hat darüber berichtet. Im Prinzip wirft man Mark Telschter vor, dass er mit dem Account seiner Schwester gespielt hat und die war dummerweise zur fraglichen Zeit nachweislich in den USA und gezockt wurde von einer britischen IP-Adresse. Jedenfalls Mark sieht das äußerst gelassen, irgendwie eher wie eine schräge Geschichte, die nur ihm passieren konnte. Das mit der Million scheint ihn wenig zu stören. Nun ja, wohlhabende Familie und viel Erfolg als Backgammon Spieler und auch beim Pokern, da kann man so einen Schaden auch mal wegstecken. Ich tröste ihn damit, dass er sich jetzt lebenslänglich als „Bester Pokerspieler der Welt, der mit dem Account seiner Schwester spielt“ nennen kann.
Den ersten Turniertag überstehe ich mit Bravour, sonst halte ich mich eher bedeckt und suche mein Heil in Beteiligungen. Meist halte ich 10-15% – das sind immer noch $200 pro Punkt, ziehe meine Runden durch den Pool und sehe dann, wie sich mein Favorit am Backgammon Board schlägt. Auf diese Art und Weise konnte ich zumindest meine Reisespesen gewinnen.Den wirklichen Bad Beat bekam ich dann nach meiner Rückkehr in mein Zimmer. Ein blitzender, leerer Schreibtisch. Mein Laptop nicht am Netz, sondern beleidigt und stromlos auf meinem Nachtkästchen. Die strategischen Notizen lieblos zusammengeschaufelt. Kontrollgang ins Badezimmer und Schock total. So stelle ich mir Zelten mit Altkanzler Helmut Schmid vor. Eine Rauchwolke hängt im Raum. Unglaublich! Ich verstehe nichts von Zigaretten, aber mexikanische müssen die schlimmsten der Welt sein. – Ich flüchte auf den Balkon für eine Weile, bevor ich mich wieder im Bett mit den Tücken der Zeitzonen anlege.
Nächster Morgen, ich habe dazugelernt. Mein Laptop steht, wo er hingehört, zentral am Schreibtisch. Meine Spielstrategie für den heutigen Turniertag liegt säuberlich aufbereitet daneben. Und ich sitze und warte auf „Maria“. Suche die direkte Konfrontation, fest entschlossen, meinen Schreibtisch zu verteidigen und das Rauchverbot im Zimmer persönlich zu überwachen. – „Maria“ kommt und wir spielen das „No – No – Yes – Yes“ Spiel. Sie ist offensichtlich ein wenig beleidigt über meine Anwesenheit und sichtlich nervös – oder ist das bereits der Nikotinentzug. Sie geht ins Badezimmer, ich gehe hinterher. Sie geht zu meinem Schreibtisch, ich prompt „No – No – No“. Und dann mache ich den entscheidenden Fehler. Abgelenkt durch mein Handy passe ich einen Moment nicht auf. Von irgendwo hat sie plötzlich diese Sprühflasche in der Hand. So ein mexikanisches Allzweckreinigungsmittel. Wahrscheinlich mit Salzsäure oder Schwefelsäure versetzt. Bevor ich noch eingreifen kann, nebelt sie alles ein. Mein Display, meine wertvollen Zetteln und selbstverständlich und mit besonderer Hingabe besprüht sie das Netzgerät meines Laptops.
Ich gebe auf, ich rette was, ich retten kann und verlasse das Zimmer. Ich war so schockiert, dass ich als absoluter Nichtraucher beinahe „Maria“ nach einer Zigarette zur Nervenberuhigung gefragt hätte. Zusammen eine rauchen hätte uns dann vielleicht geholfen, unsere verkorkste Beziehung neu zu überdenken.
Drei Gegner galt es noch zu bezwingen und dann wäre ich bereits im Halbfinale geweseb (Minimum $25.000). Doch ich bin irgendwie ein wenig unkonzentriert und durcheinander. Die ersten beiden Gegner, obwohl allgemein von der Spielstärke höher eingeschätzt, kann ich noch besiegen. Ein Spieler noch und dann ist der Weg frei ins Geld. Anfänglich läuft alles ganz gut, zumindest bis zu dem Moment als sich mein Gegner eine Zigarette anzündet. Ich muss mir da eine traumatische Verknüpfung eingefangen haben und sehe mich unwillkürlich nach „Maria“ um in der Furcht, sie könnte mit ihrer Sprühflasche kommen und das Board einnebeln. Um es kurz zu machen, nach der Zigarette ging es bergab und ich flog knapp vor dem Geld aus dem Bewerb. – Zeit für ein wenig Erholung und Spaß am Strand. Gewonnen hat das Turnier dann die wohl beste Backgammon Spielerin der Welt Katja Svenson, der ich natürlich aufrichtig gratuliere. (Obwohl sie wahrscheinlich mit der Putzfrau unter einer Decke steckt.)
Jetzt schreibe ich noch diesen „Brief aus Mexiko“ fertig (Das Display ist seit der Chemieattacke sonderbar matt) und dann geht es zum Flughafen. Ich muss noch die optimale Route finden und schwanke zwischen Cancun – Melbourne – Wien oder nehme ich doch die Variante Cancun – Wladiwostok – Wien. Egal, solange die Stewardessen nicht heimlich am Bordklo rauchen, soll es mir recht sein.
Christoph Haller
ehrenamtlicher PokerOlymp Reporter aus Mexikowww.doublesuited.de/
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 04.12.2007.