Bluffs sind, insbesondere im No-Limit-Game, praktisch unumgänglich.Anhand spieltheoretischer Konzepte lässt sich leicht errechnen, dass, je höher der Einsatz im Verhältnis zum Potvolumen, desto häufiger sollten Bluffs angewandt werden. Was Calls betrifft, so steht dieses Verhältnis genau umgekehrt. Kostet der Call z. B. 20 Dollar, um einen 100-Dollar-Pot zu gewinnen, dann genügt es, den Gegner bloß in einem von vier Fällen beim Bluff zu erwischen, um, natürlich immer langfristig betrachtet, Profit zu erzielen.
Vom rechnerischen Verhältnis abgesehen, spielt jedoch der richtige Zeitpunkt für den Bluff eine vorrangige Rolle. Und eine der ungünstigsten Situationen, um zu versuchen, den Pot zu stehlen, ist der verpasste Draw.
Stellen Sie sich vor, Ihr Image entspricht nicht gerade dem eines Rocks und Sie spekulieren wieder einmal auf Suited Connectors. Raise mit 8 7 vom Cutoff, es callt der Button sowie ein ursprünglicher Limper aus Middle Position. Der Flop fällt nicht wirklich günstig:
2 3 9
Der erste Spieler checkt. Continuation Bet? Man weiß, dass Sie gerne und oft mit mittelmäßigem Blatt raisen. Würde man Ihnen die Neun oder ein Pocket-Pair hier glauben? Der Erfahrung entsprechend, können Sie sich keinesfalls sicher sein. Insbesondere der Button hat Sie schon mehrmals mit einem Raise verdrängt. Also checken Sie erst einmal, schließen aber, falls der Button sich engagieren sollte, ein Check/Raise nicht ganz aus.
Der Button bleibt jedoch passiv und checkt ebenfalls. Die Karte, die am Turn fällt, verändert die Situation für Sie entscheidend:
6
Wieder checkt der Spieler vor Ihnen. Keiner der beiden Gegner hat am Flop Interesse an diesem Pot gezeigt. Die Sechs sollte an dieser Situation wohl kaum etwas verändern. Sie setzen den halben Pot. Der Button passt, der Gegner rechts callt.
J
Wieder checkt Ihr Gegner.
In einem Showdown werden sie diesen Pot mit einer Acht in der Hand wohl kaum gewinnen. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten: Aufgeben oder Bluffen.Was könnte der Gegner vor sich liegen haben, womit er sowohl das Preflop-Raise als auch den Einsatz am Turn callt? Ein Ass mit schwachem Kicker, der sich gepaart hat? Bei diesem Board hätte er mit jedem beliebigem Paar, insbesondere, nachdem sich der Button verabschiedet hatte, raisen müssen, um sich gegen die möglichen Draws abzusichern. Das gleiche gilt für Pocket-Pairs. Am Wahrscheinlichsten, so denken Sie, war er selbst hinter einem Draw her. Vielleicht auch mit zwei Over-Cards. Eine davon ein Jack? Kaum, damit hätte er – so wie Sie ihn kennen – ein Value-Bet gebracht.
War Ihr Checken am Flop ein Schwächezeichen? Nicht unbedingt. Sie könnten darauf spekuliert haben, dass der Button einen Einsatz bringen wird. Immerhin haben Sie sich dann doch am Turn engagiert.
Es gehen Ihnen eine Menge Möglichkeiten durch den Kopf, die einen Call praktisch restlos ausschließen. Warum also aufgeben? Rein mit der Kohle. Potsize-Bet.
Call!
Womit? Ace-Queen, offsuite!
Was für eine Calling-Station. Mit Ace-High hier zu callen. Das hätten Sie ihm nicht zugetraut. Gegen jedes beliebte Pocket-Pair, selbst gegen Ax Kx , Ax 2x , Jx Tx – die Möglichkeiten scheinen endlos – hätte er verloren. Wie konnte er hier callen?
Sollte es nicht bereits offensichtlich sein, warum dieser Bluff hier wenig Chancen auf Erfolg hatte, versetzen Sie sich in die Situation des Spielers in Middle Position. Mit Ax Qx offsuit hätte er natürlich raisen können. Doch folgte ihm zumindest ein aggressiver Gegner, nämlich Sie. Ob er, nach Ihrem Raise und dem Cold Call des Buttons, vielleicht schon vor dem Flop hätte angreifen können, mag ein anderes Thema sein.
Nachdem beide Gegner nach ihm den Flop gecheckt hatten, konnte er mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, über das beste Blatt zu verfügen. Am Turn fällt nun ein zweites Karo im Zusammenhang mit einem möglichen Straight-Draw. 5x 4x in Ihrer Hand? Möglich, aber natürlich keinesfalls wahrscheinlich. Das Gleiche gilt für eine Sechs. Ihr Check am Flop besagt, Sie haben entweder ein Monster oder gar nichts. Somit spricht eigentlich alles für einen Semibluff.
Er hätte am Turn raisen können. Doch das hätte Ihnen die Möglichkeit für ein weiteres Raise gegeben. Auf einen teuren Pot konnte er sich mit Ax Qx natürlich nicht einlassen. Doch, zum Aufgeben war sein Blatt allemal zu gut.
Dass der Jack in Clubs an der Situation etwas geändert hätte, entsprach genauso wenig der Wahrscheinlichkeit. Der Spieltheorie entsprechend, lassen sich als Richtlinie für die Call-Häufigkeit, sofern das eigene Blatt nur einen reinen Bluff schlagen kann, die gegnerischen Pot-Odds hernehmen, im Falle eines Potsize-Bet 1 zu 1, also Call in jedem zweiten Fall. Nachdem hier vieles für einen verpassten Draw sprach, handelte es sich um den perfekten Zeitpunkt für einen Call.
Man mag sich bei diesem Beispiel vielleicht fragen, warum der Spieler mit Ax Qx das vermutlich bessere Blatt nicht schon am Turn durch ein Raise verteidigt. Es handelt sich dabei jedoch keinesfalls um schlechtes Spiel, die Eigenschaften des Gegners am Cutoff berücksichtend. Sollte auf sein Raise ein Reraise folgen, könnte er kaum callen. Auch wenn der Gegner eine Menge Outs zählt, im gegebenen Fall sind es sogar 21 (Karos, Zehnen, Fünfen, Achten und Siebenen), eine fast 50%ige Verbesserungschance, so lässt sich am River die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung entsprechend beurteilen. Durch den aufgedeckten Bluff wurde der Profit deutlich höher.
Obwohl sehr viel darüber geschrieben worden ist – zum Glück lesen nicht alle Pokerspieler – wird dieser Fehler auch auf etwas höherer Spielebene trotzdem sehr oft begangen. Von ganz speziellen Ausnahmen abgesehen, sollten wir also Bluffs nach verpasstem Draw grundsätzlich unterlassen. Bringt der Gegner plötzlich ein Bet oder ein Raise am River, nach Checks oder Cold Calls in den vorangegangenen Einsatzrunden, sollte der Möglichkeit eines verpassten Draws immer entsprechend berücksichtigt werden, selbst wenn als letzte Karte ein gefährlich aussehendes Ass oder ein König fällt.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 01.12.2008.