Folgende Fragen erreichten mich als Reaktion auf meine Artikel:
Mich würde interessieren, wie villains_hero überhaupt in die hohen Limits gekommen ist. Ich spiele seit über einem Jahr jeden Monat über 20.000 Hände und bekomme meine Bankroll nicht über NL100. Ich mache bestimmt was falsch (zum Beispiel auscashen ^^) und es würde mich interessieren, wie heros Geschichte aussieht. Martin L.
Schön wäre es, wenn mal einen Artikel darüber schreibt, was wichtig ist, um die kleineren Limits (NL50 zum Beispiel) online zu schlagen. koro
Die Frage von Martin und Koro fasse ich zusammen und ebenso die Antwort darauf, die vielleicht ein bisschen allgemeiner ausfällt, als die beiden erwartet haben. Ich will meine Geschichte skizzieren und danach ein paar Methoden anreißen, mit denen sich das eigene Spiel verbessern lässt.
Ein Rezept, mit dessen Hilfe sich ein bestimmtes Limit schlagen lässt, kenne ich leider auch nicht. Aber je besser man spielt, desto höher die Limits, in denen man sich durchsetzen wird („ach was?!“, würde Loriot jetzt anmerken).
Meine Pokergeschichte beginnt mit einem Riesenfehler, nämlich dem, mich von Vorurteilen leiten zu lassen. Viel zu spät habe ich mit Poker begonnen, weil ich etwa 30 Jahre lang dachte, dass Poker auf irgendeine mysteriöse Weise böse ist, dass man sich damit wenigstens ruiniert, vielleicht sogar blutüberströmt mit einem Messer im Rücken auf einem finsteren Hinterhof endet.
Dabei wusste ich schon zu Beginn der 2000er-Jahre, dass einige schlaue Leute sich intensiv mit dem Spiel beschäftigen und damit Geld verdienen, anstatt es zu verlieren. Ich entstamme ja ursprünglich der Schach-Szene, in der sich lange vor dem Moneymaker-Boom herumsprach, dass Schachgroßmeister wie der Pokerolymp-Kolumnist Jan Gustafsson oder der PokerStrategy-Mitbegründer Matthias Wahls sich beim Poker probieren.
Wäre ich so schlau und vorurteilsfrei wie diese beiden und einige andere gewesen, dann hätte ich das Spiel in dieser Goldgräberzeit einfach mal ausprobiert, und dann würde ich heute wahrscheinlich in der Karibik unter Palmen liegen, bekäme von barbusigen Schönheiten Cocktails serviert, und hätte längst ausgesorgt.
Stattdessen habe ich die entscheidenden drei, vier Jahre verstreichen lassen. Als ich dann doch einmal ein paar Dollar bei einer Pokerseite eingezahlt und mir ein paar theoretische Grundlagen reingezogen hatte, waren die Spiele mit ein bisschen Arbeit immer noch gut schlagbar, das Niveau war noch längst nicht mit dem heutigen vergleichbar, aber die Zahl der kompetenten Spieler war bereits deutlich höher als zur Jahrtausendwende.
Angefangen habe ich mit einer 200-Dollar-Bankroll und Limit Hold’em, der zweite Fehler, weil ich wahrscheinlich eher für No-Limit- oder Pot-Limit-Varianten etwas Talent habe. Mathematisch-logisch bin ich nicht sonderlich begabt, aber in dieser Hinsicht muss der Limit-Spieler fit sein und technisch sauber spielen. Weil zum Beispiel beim Limit Hold’em so viele Hände in den Showdown gehen, ist in diesem Spiel bei der Preflop-Entscheidung die Equity der eigenen Hand gegen die gegnerische Range viel bedeutender als etwa beim No Limit Hold’em.
Ziemlich mühsam habe ich die Ausführungen starker Spieler zu solchen Dingen seinerzeit nachvollzogen, Charts studiert, und mich zwar auf diese Weise zu einem halbwegs kompetenten Spieler entwickelt, aber auch die Überzeugung gewonnen, dass ich einfach nicht das Zeug habe, mal richtig gut zu werden und mit Poker signifikant Geld zu verdienen, weil ich merkte, wie schwer es mir fällt, die Materie zu verinnerlichen. Limit-Holdem-Theorie, nicht mein Ding.
Trotzdem sind meine Ergebnisse nach ein paar Monaten explodiert, nachdem ich irgendwo den Satz „Das Geld fließt im Uhrzeigersinn um den Tisch“ gelesen hatte. Fortan setzte ich mich einfach immer so, dass möglichst viel zu mir fließt, und das funktionierte sensationell gut. Auf einmal habe ich erst 2/4 vernichtet, dann 5/10 und so weiter, bis ich mich plötzlich regelmäßig auf 30/60 wiederfand. Wow. Das war cool.
Begünstigt hat den Aufstieg, dass ich anfangs nie ausgecasht habe – warum auch? Ich hatte ja einen ordentlich bezahlten Job und habe halt nebenbei ein bisschen Poker gespielt in der Freizeit, die ich früher mit Schach verbracht hatte. Insofern habe ich meine Bankroll lange als Spielgeld gesehen.
Je höher man steigt, desto weniger Partien gibt es, und desto tougher ist die Gegnerschaft. Irgendwann spielte ich regelmäßig 30/60, teilweise höher, und stellte zu meinem Leidwesen fest, dass es dafür regulär nicht reicht, umgeben von Limit-Holdem-Profis der erweiterten Weltklasse. Beim Versuch, mich in diesem Haifischbecken zu etablieren, habe ich meine halbe Bankroll verbrannt – und weil ich keine Lust hatte abzusteigen und 5/10 bis 15/30 zu grinden, habe ich dann beschlossen, auf Basis meiner Restbankroll ein neues Spiel zu lernen: dieses No Limit Holdem, von dem seit Chris Moneymaker alle Welt sprach; ein Spiel, das mir erstaunlich leicht fiel.
NL400 habe ich damals nur mit ein paar Grundkenntnissen auf Anhieb geschlagen, NL600 auch. NL1000 und speziell NL2000 über signifikante Samples zu besiegen, war dann zwar ein hartes Stück Arbeit und bedurfte mehrerer Anläufe, aber letztlich hat auch das funktioniert. Mittlerweile lerne ich mit PLO das dritte Spiel (und bin darin leider noch furchtbar schlecht), und stelle fest, dass ich alle drei Spiele, mit denen ich mich intensiv auseinandergesetzt habe, auf unterschiedliche Weise angehe bzw. angegangen bin.
Die grundsätzlichsten Limit-Holdem-Grundlagen habe ich mir ganz zu Anfang per Internet angeeignet. Ein paar Preflop-Charts, ein paar PokerStrategy-Artikel, das war die Basis. Alles darüber hinaus ließ sich aus Büchern lernen, „Small Stakes Holdem“ und „Weighing the Odds in Hold’em Poker“ seien als herausragende Grundlagenlektüre genannt (ach ja, das Limit-Holdem-Buch von Gustafsson/Luske ist auch nicht schlecht, aber das habe ich erst gelesen, als ich keine Ambitionen mehr hatte und schon auf NL Holdem umgestiegen war). Selbst als ich dann ein Limit-Hold’em-Midstakes-Spieler war, konnte ich mit Hilfe von Büchern noch weiterstudieren. Das Twoplustwo-Stoxtrader-Buch „Winning in tough Holdem games“ etwa war kurzzeitig meine Bibel.
Im Unterschied dazu gibt es keine gedruckten Bücher, die ambitionierten NL-Holdem-Spielern auf fortgeschrittenem Smallstakes- oder Midstakes-Level weiterhelfen. Diese Erkenntnis hat mich nach dem Umstieg zum No Limit letztlich dazu geführt, im Twoplustwo-Forum aktiv zu werden. Meine Kernempfehlung an den ambitionierten Spieler ist, genau das nachzumachen. Es hilft ungemein, die eigenen Gedankengänge zur Diskussion zu stellen, marginale oder ungewöhnliche Moves zu rechtfertigen oder sich eines Besseren belehren zu lassen.
Viele Spots beim Hold’em sind knapp, oft hat das Ergebnis der Hand nichts damit zu tun, ob sie gut gespielt war, und deswegen ist es immer sinnvoll, zweite und dritte Meinungen einzuholen. Offenbar sieht das auch Daniel Negreanu so, der zumindest in Fernsehcashgames gerade komplett neben der Spur läuft und vielleicht deswegen in den vergangenen Wochen einige interessante Hände im No-Limit-Highstakes-Forum gepostet und viel Resonanz bekommen hat.
Das Forum ist eine Fundgrube für Pokerstrategen, wenngleich eine unübersichtliche. Auch die passive Beteiligung dort erfordert Arbeit, denn man weiß nicht auf Anhieb, wer Substanz hat und wer schwätzt. Aber wer die legendären Threads durchforstet und die Beiträge einiger etablierter Strategen verfolgt, der findet auf Twoplustwo bis heute alles, was der Mid-/Highstakesspieler wissen muss – und eine Menge Schrott, den zu übersehen die Kunst im Umgang mit der Informationsmasse ist. Das Forum ist auch ein schönes Mittel, den eigenen Lernfortschritt nachzuvollziehen. Wenn ich heute alte NL-Hold’em-Strategiebeiträge von mir lese, dann stellen sich mir teilweise die Fußnägel hoch.
Ein drittes Mittel, die Spielstärke zu liften, sind Videos. Damit habe ich relativ spät angefangen. Ich spielte schon regulär 5/10, als ich das erste Stratvideo gesehen habe. Bis heute konsumiere ich sehr selektiv und maßvoll, weil mich nur ein Videomacher wirklich begeistert: Was Phil Galfond veröffentlicht, verschlinge ich – weniger um Hände zu sehen, sondern vor allem, um ihn über Konzepte sprechen zu hören. Es gibt nichts Besseres meines Erachtens, auch nichts, was vergleichbar gut wäre.
Darüber hinaus sehe ich wenig, aber ich halte das Ansehen von Videos trotzdem für sinnvoll, wenngleich ich überzeugt bin, dass weniger mehr ist. Lieber ein Video gründlich gucken, stoppen, zurückspulen, mitdenken, anstatt sich eines nach dem anderen reinzuziehen. Letzteres bringt nichts. Außerdem unterscheidet sich die Qualität der Videomacher auf den unzähligen Coachingseiten stark.
Martins Frage, wie ich „in die hohen Limits gekommen“ bin, lässt mich ein bisschen schmunzeln, denn aus meiner Perspektive bin ich dahin noch gar nicht gekommen. 5/10 und 10/20 habe ich jetzt über jeweils mehr als 200.000 Hände geschlagen, aber ich stelle fest, dass sich schon auf 5/10 – und auf 10/20 erst recht – Villains herumtreiben, die sehr, sehr gut sind, besser als ich. Und es gibt ja noch 25/50, das ich zwar mit sorgfältiger gameselection auch über ein fünfstelliges Sample geschlagen habe, für das ich regulär aber wahrscheinlich nicht gut genug bin, geschweige denn für die Levels darüber.
In einer einzelnen Hand auf demselben Level denken zu können wie, um mal nach den Sternen zu greifen, ein Tom Dwan oder Phil Galfond, das traue ich mir zwar zu, aber das reicht nicht. Entscheidend ist, über die Dauer einer Session mit solchen Kalibern mithalten zu können. Dafür fehlt mir die Stabilität – und leider auch die Klasse.
Lernen macht mehr Spaß, wenn die Lernkurve schnell steigt. Das habe ich erst beim Limit Holdem erfahren, dann beim NL Holdem – und bei beiden Spielen habe ich die Erfahrung gemacht, dass nach etwa zwei Jahren das Lerntempo rapide sinkt und die Kurve immer flacher wird. Dieser Umstand und ein grauenvoller Lauf beim NL Holdem (Fast 200.000 Dollar unter EV über die vergangenen 300.000 Hände) haben mich jetzt eine Hold’em-Pause einlegen lassen, um das Projekt Pot Limit Omaha anzugehen. Wenn ich anlässlich dieses Artikels meine PLO-Studien der vergangenen Wochen nachvollziehe, dann stelle ich fest, dass ich dieses Spiel wieder anders lerne als die ersten beiden.
Natürlich spielt das Forum wieder eine große Rolle. Es wäre ziemlich doof, Diskussionen zu ignorieren, an denen sich Koryphäen wie Cole South regelmäßig und intensiv beteiligen. Aber dort konsumiere ich eher passiv. Interessant finde ich, dass Videos, die ich beim Hold’em eher vernachlässige, bei meinem PLO-Studium eine dominierende Rolle spielen. Phil Galfond on PLO ist wieder einmal sensationell und unglaublich lehrreich.
Außerdem hat Deucescracked, wo ich aus Langeweile bald gekündigt hätte, nach Monaten des Leerlaufs wieder eine für mich interessante Serie veröffentlicht: Emil Patel („Whitelime“) mit seiner neuen PLO-Serie „Lime Aid“ bietet sehr guten Stoff für Leute, die PLO jenseits der Small Stakes schlagen wollen.
Und Bücher? Ohne jemals eines in der Hand gehabt zu haben (deswegen mag ich irren), behaupte ich, dass beim PLO ebenso wie beim No Limit Holdem kein gedrucktes Buch relevant ist für (angehende) Midstakes-Spieler. Da muss man wie bei der NL-Holdem-Literatur für Profis schon etwas tiefer in die Tasche greifen, etwa zum „Pot Limit Omaha Book“ von Tri Nguyen, ein Ebook, welches ich für gelungen und lehrreich halte.
Koro hat außerdem nach „Coaching“ und „Bankrollmanagement“ auf kleinen Limits gefragt. Von Coaching würde ich eher abraten. Als NL50-Spieler wird man kaum einen bezahlbaren Coach finden, der nicht selbst erhebliche Schwächen hat und seine Schützlinge schon bei grundlegenden Dingen auf die schiefe Bahn leitet. Womit ich aber nicht sagen will, dass der beste Spieler immer der beste Coach ist.
In Sachen Bankrollmanagement bin ich wahrscheinlich kein guter Ratgeber, weil ich dieses Thema immer sehr liberal gehandhabt habe. In der Tendenz würde ich immer zu Shots auf höheren Limits raten, sobald sich dort ein vermeintlich profitabler Spot ergibt, aber man sollte sich einschätzen können und stets die Gesamtroll im Auge haben, sonst ist sie irgendwann verbrannt.
Um das zu verhindern und nicht ständig der Versuchung zu erliegen, zu hoch zu spielen, habe ich mir jetzt beim PLO zum ersten Mal überhaupt ein striktes Bankrollmanagement verordnet. Meine Bankroll habe ich aufgeteilt, so dass ich jetzt mit einer Hold’em- und einer PLO-Bankroll spiele und mich strikt daran halte, dass ich nur dort PLO spielen darf, wo ich 20 Buy-ins in Reserve habe. Leider mit dem Ergebnis, dass ich jetzt zum zweiten Mal auf PLO200 absteigen musste. Das nervt zwar, schont aber den Geldbeutel ;)
Um auf Koros Eingangsfrage zurückzukommen: Wie schlägt man nun kleine Limits? Man schlägt sie nach und nach. Weder muss man besonders aggressiv sein noch besonders tight. Man sollte sich mit dem Spiel beschäftigen, Spots durchdenken, mit anderen diskutieren. Je mehr das eigene Spielverständnis wächst, desto öfter wird man feststellen, dass auch die vermeintlich guten Gegner Fehler machen, die sich ausbeuten lassen. Je öfter man das feststellt, desto eher ist das ein Indiz, dass man bereit ist für das nächste Limit.
Am wichtigsten ist es wahrscheinlich, Ordnung in seinem Oberstübchen zu schaffen und sich einen ordentlichen Denkprozess anzutrainieren. „In Ranges denken“, kalter Kaffee, tausendmal gesagt, aber es bleibt dabei: Nur so geht es. Wer sich zwingt, Hand für Hand dem Gegner eine Range zu geben und diese dann von Straße zu Straße einzugrenzen, der wird dieses Vorgehen irgendwann automatisiert haben.
Wer x-mal Pokerstove geöffnet hat, um mit Boards und Equitys und Ranges herumzuspielen, der kann irgendwann am Tisch abschätzen, wie er dasteht gegen Villains Range. Wenn diese technischen Dinge mehr oder weniger automatisiert sind, dann ist Platz im Kopf darüber nachzudenken, wie der Villain wohl unsere Range sieht (falls er über so etwas nachdenkt), um Lines gegeneinander abzuwägen und mehr. Und dann sollte sich der Erfolg eigentlich von alleine einstellen. Ob nun auf NL10 oder auf NL1000 oder höher.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 02.05.2010.