Poker ist teilweise wie ein Autorennen, mit dem (gewaltigen) Unterschied – bei einem Pokerturnier erreicht nur einer das Ziel und es wird so lange gefightet, bis alle anderen an die Wand gefahren sind.
Das Pokerturnierspiel als spielerische Auseinandersetzung mit Tod? Wobei bei vielen Wahrheiten auch hier noch eine Lüge ist versteckt: im richtigen Leben kommt am Ende keiner durch! Das Leben ist begrenzt und genau auch das macht es so besonders.
Hier soll es nun aber um die beliebte Frage nach dem Glücksfaktors beim Pokerspiel gehen und meine heutige These hier ist: Der Glücksfaktor beim Poker hängt wesentlich von der Frage ab, ob ein guter Spieler Showdown möglichst gut verhindern kann!?
Man sollte prinzipiell eine elektrische Hochspannungsleitung nur dann kontaktieren, wenn man sich sehr sicher ist, dass sie ausgeschalten ist bzw. man gut auf die Spannung dort vorbereitet ist und sie aushält. Sicher gibt es im Leben – wie beim Pokern – Situationen, da entscheidet alleine das Schicksal, und wenn man mit geflopptem Fullhouse auf einen Vierling läuft, dann hat man wohl annähernd genauso viele Chancen, wie wenn man bei einem Flugzeugunglück auf der Flugschau in der “Einflugschneisse” gerade Picknick macht.
Möglichst viele solcher Gefahren zu verhindern: das macht einen guten Pokerspieler aus: die Verluste zu minimieren. Gewinnen tut man dann von ganz allein.
Insofern kommt es bei der Frage nach dem Glück- und Geschicklichkeitsfaktor beim Pokern wesentlich auf die Struktur an und die entsprechenden Möglichkeiten, Showdowns zu verhindern. Wenn ein Autorennen so lange läuft, bis alle bis auf einen gegen die Wand gefahren sind, dann macht es einen Unterschied in Bezug auf das Verhältnis von fahrerischem Können versus Glück, ob hier wahllos, unvorhersehbar und zufällig hin und wieder schwere Steinbrocken auf die Fahrbahn geschleudert werden oder nicht. Werden die Blinds zu rasch erhöht bzw. drohen sie, innerhalb weniger Runden auch in einen gerade noch stolzen Stack tiefe Wunden zu schlagen, dann wird man geradezu gezwungen zu gambeln, und Showdowns lassen sich nicht mehr vermeiden. Im Unterschied zu einem Pokerturnier endet ein übliches Autorennen nach einer gewissen Anzahl von Runden. Wahrscheinlich würde es den Glücksfaktor beim Pokerturnierspiel sogar ebenso reduzieren, würde man ein Pokerturnier nach einer gewissen absoluten Anzahl von gespielten Händen beenden, und den mit den meisten Chips zu Sieger küren, statt viel zu oft eine Art würflerisches “Elfmeterschießen” zu kreieren, durch Blinds und Antes, die kein Bigstack noch lange sitzt aus.
Zum Pokerspielen braucht man Zeit und Geduld, und würde man den besten Autorennfahrer dadurch finden wollen, dass man so lange wartet, bis nur noch einer auf der Strecke ist – man sollte nicht mit Felsbrocken auf die Fahrer schießen. Entsprechend braucht richtiges Poker auch eine richtige Struktur und kann nicht davon abhängig gemacht werden, wie viel Zeit bereits schon vergangen ist. Es muss für richtiges Poker sichergestellt sein, dass es für den durchschnittlichen Stack möglich ist, Showdowns möglichst zu verhindern!!! Deshalb ist es wichtig, die Blinds und Antes in Abhängigkeit der durchschnittlichen Stackgrößen zu erhöhen. Je mehr Rennwagen sich auf der Strecke tummeln, desto mehr Platz sollte vorhanden sein, und je mehr Spieler also mitspielen, desto niedriger müssen die Blinds im Verhältnis zum Stack also bleiben.
Unsere Lebenszeit ist begrenzt und auch dies macht unser Leben so besonders. Zum richtigen Pokerspielen braucht es aber Zeit und Geduld, soll der Glücksfaktor nicht überhand nehmen, und so schwierig es in der Praxis manchmal auch sein mag: das Ende eines Pokerturniers muss zeitlich flexibel und offen sein können! Ein Cashgame kann sich über Wochen, Monate gar Jahre hinziehen. Wer nur bis 22 Uhr Zeit hat, der möge sich dafür einsetzen, dass Turniere mit zeitlicher Deadline und Auswertung nach Chips organisiert werden. Aus Zeitdruck die Blinds übermäßig anzuheben und damit Spieler zu Showdowns und Gambeln zu zwingen, ist mit “richtigem” Poker schlicht unvereinbar.
Sehr gute Erfahrungen und durchweg positive Kritiken gibt es bislang mit dem „Bad Beat Berlin e.V. 25-Mindestensdurchschnitts-BigBlind“. D.h. wir erhöhen die Blinds frühestens dann, wenn der durchschnittliche Stack dann immer noch mindestens 25 Big Blinds groß ist. Dies hat bereits dazu geführt, dass eine Blindstufe über 2 Stunden lang lief, als am Final Table sich kein Spieler verabschieden wollte, bzw. dies hat gerade dazu geführt, dass hier 2 Stunden lang in einem Blindlevel großartig intensives Poker gespielt werden konnte. Im Normalfall veranschlagen wir für größere Turniere zudem einfach zwei Spieltage, was vielleicht nicht ganz so praktisch, aber eben im Sinne des Pokerspiels ist. Wer Poker als lebendiges Geschicklichkeitsspiel etablieren möchte, der sollte es nicht mit Glücksspielstrukturen vergiften.
Stefan Schüttler
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 19.07.2008.