Ein Ratschlag, den ich seit vielen Jahren höre, besteht darin, man solle immerzu sein bestes Spiel zu bringen. Uns wird sogar gesagt, wenn wir nicht voll auf der Höhe sind, dann sollten wir gar nicht spielen. Zum Beispiel las ich kürzlich, wenn wir auf dem Weg zum Casino sind und uns nicht 100% fit fühlen, dann sollten wir einfach umkehren und zurück nach Hause fahren. Auf diese Weise vermeidet man die sonst sichere Verlustsession. Das ist natürlich Unsinn.
Alle guten Spieler besitzen einen Auto-Piloten. Der Auto-Pilot ist eine Strategie, die keine weiteren verfügbaren Informationen berücksichtigt. Wenn ich beispielsweise UTG T9s bekomme, dann würde ich auf Auto-Pilot limpen. An einem starken Tisch mit aggressiven Spielern sollte diese Information berücksichtigt werden. Aus einem Limp mit T9s wird ein Fold. Ist die Partie schwach und sind die Blinds tight, wird aus dem Limp ein Raise.
Es ist klar, dass man 100% da sein muss, um diese Entscheidungen immer gut zu treffen, und natürlich ist es nicht schlecht, immer zu 100% hellwach zu sein. Der Hauptteil des Gewinns eines guten Pokerspielers stammt aber vom Spiel auf Auto-Pilot und nicht von herausragenden Spielzügen.
Was können wir daraus folgern? Solange man nicht an einem sehr harten Tisch sitzt (was in hohen Limit durchaus vorkommen kann), muss man nicht unbedingt 100% geben, um einen positiven Erwartungswert zu haben, solange man weiß, wie man pokert. An solchen Tagen sollte man erkennen, dass die eigenen Fähigkeiten nicht auf der Höhe sind und sich auf seinen Auto-Piloten verlassen. Übrigens, wenn Sie denken, Sie können das Spiel nicht ohne Ihr überlegenes Urteilsvermögen schlagen, dann sollten Sie Ihr Grundverständnis von Poker (und damit Ihren Auto-Piloten) verbessern.
Seit Jahren beteilige ich mich an der Diskussion, wieviel Wert visuellen Tells wirklich beizumessen ist. Meiner Ansicht nach, nicht viel. Natürlich besitzen visuelle Tells einen gewissen Wert. Dieser ist jedoch klein oder zumindest nicht so groß, wie manch einer behauptet. Das gilt besonders für Pokervarianten wie Limit Hold’em oder Seven Card Stud, in denen der Pot groß im Verhältnis zur Größe einer Bet werden kann. Vor einigen Jahren schrieb ich, für einen Experte, der bei $20-$40 Limit etwa $40 pro Stunde macht, besitzen diese Tells einen Wert von ca. $2 pro Stunde. Man ist beim Lesen einer Hand besser dran, wenn man den bisherigen Verlauf der Hand durchdenkt, dabei die gegnerischen Neigungen berücksichtigt und die Informationen mithilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung verarbeitet.
Meine Position wird durch die Ereignisse beim Main Event der WSOP 2003 unterstrichen, die von Chris Moneymaker gewonnen wurde. Chris Moneymaker hatte Poker vorher ausschließlich online gespielt, wo er auch sein Buy-in zum Main Event gewann. In Las Vegas spielte er das erste Mal live. Offensichtlich dürfte er einige Tells haben. Wenn diese aber nicht wichtig sind, dann spielt es kaum eine Rolle. So viel zu Pokerstars, die mit einem Blick auf ihren Gegner die gegnerische Hand ermitteln.
Wenn man sich an einen Tisch begibt, dann wird es manchmal einen Spieler mit einem riesigen Stack geben. In fast allen Fällen wird es sich dabei um einen schlechten Spieler handeln. Es wird fast immer jemand sein, der zu viele Hände und zu aggressiv spielt. Er wird bloß einen guten Lauf erwischt und dabei eine unglaublich erscheinende Zahl an Chips gesammelt haben. Diese guten Läufe sind bei diesem Spielertyp aber zu erwarten, und langfristig wird er all das Geld wieder verlieren.
Stellen wir uns diesen Spieler nun in einem Turnier vor. Meistens wird er früh ausscheiden. Manchmal aber wird er einen guten Lauf erwischen, viele Chips anhäufen und dann gute Aussichten auf den Turniersieg haben. Das gilt besonders dann, wenn er zu Beginn des Turniers versucht, viel zu stehlen.
Bevor ich jetzt kritisiert werde, lassen Sie mich sagen, dass mehr zum Turnierspiel gehört als ein wilder, aggressiver Spielstil. Es erklärt aber, weshalb die meisten erfolgreichen Turnierspieler einen loose-aggressiven Stil pflegen. Wenn ein solcher Turnierspieler von tightem Spiel redet, dann erscheint mir seine Definition von tight oft loose. Aber das ist eine andere Geschichte.
Denjenigen aber, die den Schritt von den üblichen Ringgames zu Turnieren machen möchten und Poker im Fernsehen mit den sichtbaren Holecards gucken, sei gesagt, das erklärt einige der extrem loosen und aggressiven Manöver, die man zu sehen bekommt. Viele dieser Spielzüge wären in einem Ringgame fürchterlich, sind in einem Turnier aber korrekt. Das gilt besonders dann, wenn man einen großen Stack besitzt und jemanden attackiert, der versucht zu überleben. (Siehe dazu auch Tournament Poker for Advanced Players von David Sklansky)
Mason Malmuth
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 20.08.2008.