Immer für eine Überraschung gut ist unser Kolumnist Tommy Angelo. In seinem neuesten Beitrag stellt er ironisch die Verbindung zwischen Yoga und Poker her. Doch lest selbst:
Beim Einatmen ist mir bewusst, dass ich einatme.
Beim Ausatmen ist mir bewusst, dass ich ausatme.
Auf diese Weise trainiere ich mich selbst.
Beim Einatmen ist mir bewusst, dass ich am Pokertisch sitze.
Beim Ausatmen lächele ich der Pokerwelt zu.
Beim Einatmen beobachte ich das Austeilen der Karten.
Beim Ausatmen beobachte ich die Spieler zu meiner Linken.
Beim Einatmen betrachte ich meine Karten.
Beim Ausatmen folde ich.
Beim Einatmen beobachte ich den Verlauf der Hand.
Beim Ausatmen weiß ich, dass ich ausatme.
Beim Einatmen ist mir bewusst, dass Luft in meinen Körper dringt.
Beim Ausatmen nehme ich meine Finger wahr.
Beim Einatmen ist mir bewusst, dass ein Spieler über seine Entscheidung auf dem River nachdenkt.
Beim Ausatmen beobachte ich seinen Call.
Beim Einatmen sehe ich, wie der gecallte Spieler die Nuts umdreht.
Beim Ausatmen höre ich, wie der Caller kurz flucht.
Beim Einatmen ist mir bewusst, dass ich den Grund für den Unmut des Callers verstehe.
Beim Ausatmen lasse ich ihm ein wenig Erleichterung zukommen.
Beim Einatmen richte ich meinen Rücken auf und weiß, dass ich mich auf die nächste Hand vorbereite.
Beim Ausatmen geht es mir wunderbar und ich nehme die Pokergeräusche wahr.
Beim Einatmen ist mir bewusst, dass ich mit einem kurzen Atemzug einatme.
Beim Ausatmen ist mir bewusst, dass ich mit einem kurzen Atemzug ausatme.
Beim Einatmen weiß ich, dass ich mit einem langen Atemzug einatme.
Beim Ausatmen weiß ich, dass ich mit einem langen Atemzug ausatme.
Beim Einatmen beruhige ich meinen Geist.
Beim Ausatmen beruhige ich meinen Körper.
Auf diese Weise trainiere ich mich selbst.
Beim Einatmen betrachte ich mein Karten.
Beim Ausatmen weiß ich, dass ich ein Ass und einen König habe.
Beim Einatmen schiebe ich Chips von meinem Stack in die Mitte.
Beim Ausatmen warte ich auf die Entscheidung meiner Gegner.
Beim Einatmen sehe ich, wie diese folden.
Beim Ausatmen sehe ich, wie der Spieler zu meiner Rechten raist.
Beim Einatmen calle ich.
Beim Ausatmen sehe ich, wie der Dealer einen Flop ohne Ass und König aufdeckt.
Beim Einatmen sehe ich, wie der Spieler zu meiner Rechten einen Einsatz vorbereitet.
Beim Ausatmen richte ich mich so auf seinen kommenden Einsatz ein, dass meine Lungen leer sind und werfe mit möglichst wenig Energie meine Karten mit der Daumenspitze weg.
Beim Einatmen ist mir vollkommen bewusst, dass ich einatme und meine Lungen sich füllen.
Beim Ausatmen weiß ich, dass ich genau in diesem Moment ausatme.Auf diese Weise trainiere ich mich selbst.
Beim Einatmen setze ich einen Big Blind.
Beim Ausatmen sehe ich, wie der Spieler zu meiner Linken einen Straddle setzt.
Beim Einatmen höre ich, wie die Karten verteilt werden.
Beim Ausatmen betrachte ich meine Karten und komme zu dem Schluss, diese zu folden, wenn ich an der Reihe bin.
Beim Einatmen bin ich für diese Möglichkeit zur Erholung dankbar und bin ganz ruhig.
Beim Ausatmen folde ich und nehme meine Dankbarkeit wahr.
Beim Einatmen sehe ich, wie ein Spieler auf dem Flop setzt.
Beim Ausatmen sehe ich, wie die anderen Spieler folden.
Beim Einatmen höre ich die Bemerkung des Gewinners und eine Reaktion.
Beim Ausatmen bringe ich meinen Körper in eine bequeme Position.
Beim Einatmen setze ich einen Small Blind.
Beim Ausatmen beobachte ich, wie der Dealer die Karten verteilt.
Beim Einatmen beobachte ich den Big Blind beim Betrachten seiner Karten.
Beim Ausatmen betrachte ich meine Karten – 94 offsuit.
Beim Einatmen entscheide ich, die Action genau zu beobachten und nicht jetzt schon zu entscheiden, was ich tun werde, wenn ich an der Reihe bin.
Beim Ausatmen sehe ich, wie ein Spieler raist.
Beim Einatmen entscheide ich, nicht zu reraisen.
Beim Ausatmen bin ich an der Reihe und folde.
Beim Einatmen schenke ich dem Atemzug in meiner Nase Beachtung.
Beim Ausatmen dehne ich mein Ausatmen.
Auf diese Weise trainiere ich mich selbst.
Beim Einatmen ist mir bewusst, dass ich den Button habe.
Beim Ausatmen vervollkommne ich mich, höre die Pokergeräusche, betrachte meine Karten – 86 in Kreuz, ein anfälliger Spieler limpt, ich schaue zur Linken, als ich so langsam am Zug bin, ich raise, der Small Blind callt, der Big Blind foldet, der Limper callt, der Flop kommt, meine Gegner checken, ich setze, der Small Blind callt, der Limper foldet, der Turn kommt, der Small Blind checkt, ich checke, der River kommt, mein Gegner setzt, ich calle, er sagt „Du hast mich erwischt“, ich zeige meine Karten, er foldet, ich höre, wie jemand sagt „Er ist ein Trottel“, das Auge des Dealers lächelt mir zu, als ich ihm Trinkgeld gebe, die nächste Hand wird ausgeteilt, ich bin im Cut-off, ich betrachte meine Karten – A5 offsuit – der gleiche Spieler limpt, ich schaue zur Linken, der Button signalisiert einen Fold, ich raise, der Button foldet, der Small Blind foldet, der Big Blind reraist, der Limper foldet, ich folde, lehne mich zurück, und …
Beim Einatmen bemerke ich, dass ich meiner Atmung eine Weile keine Beachtung geschenkt habe.
Beim Ausatmen erinnere ich mich daran, mich daran zu erinnern, mich besser daran zu erinnern, mich zu erinnern, zu erinnern, äh, zu erinnern. Mit jedem bewussten Atemzug werde ich wieder mehr mit mir eins, komme wieder zu mir, werde wieder ein Teil meiner selbst.
Beim Einatmen weiß ich, dass ich atme.
Beim Ausatmen weiß ich, dass Atmen alles ist.
Bis zum Tod lebe ich.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 23.07.2009.