Angriff oder Slowplay?
Ich brauche hier keine statistischen Werte zu wiederholen, schon die Erfahrung lehrt uns, wie selten wir mit Pocket-Aces beglückt werden und ebenso, wie selten sich ein Pocket-Pair zum Set verbessert. Finden wir uns vom Fall der Karten nun entsprechend begünstigt, so wollen wir in erster Linie einen ordentlichen Pot damit gewinnen, unser Blatt nicht zu früh verraten, zuerst den Gegner angreifen lassen, um, wenn das Potvolumen nennenswerte Dimensionen angenommen hat, zum vernichtenden Schlag auszuholen.
Leider geht die Rechnung nicht immer auf.
Es war ein
Ich trug mich zwar als Erster in die Warteliste ein, blieb dann aber doch an einem Tisch, No-Limit 2/5, sitzen. Begonnen hat der Tag nicht sonderlich erfreulich. Innerhalb der ersten Stunde fand ich mich mit über 1.000 Dollar im Minus.
Wie ich schon erzählt habe, so ist es mir gelungen, mir an den Tischen des Montrealer Casinos ein extrem looses Image aufzubauen. Nun spiele ich wesentlich zurückhaltender – und krieg trotzdem meine Calls. Und, um meinen erarbeiteten Ruf nicht ganz aufs Spiel zu setzen, spiele ich gelegentlich, wenn auch sehr selten, noch immer ziemlich verrückte Karten.So kam es, dass ich nach zwei oder drei Runden regelmäßigen Passens noch immer kein spielbares Blatt vor mir hatte. 5 2 lag am Cutoff vor mir. Zwei Limper, mein Raise auf 25 Dollar, Call vom Button und ebenfalls von den beiden Limpern. Beim Alex weiß man ja schließlich nie, mit welchem Blatt er raist. Und ganz besonders, wenn er in Position sitzt. In diesem Fall hatten sie auch völlig recht.
Der Flop hätte schlimmer kommen können.
K 10 8
Bis zu mir wurde gecheckt. Ebenfalls checken, in der Hoffnung, den Turn gratis zu sehen? Was würde in diesem Fall jedoch der Button tun? Continuation-Bet, um vielleicht den Pot gleich hier zu kassieren? Beides war ernstlich zu bedenken. Ich nahm jedenfalls das Risiko eines Raises in Kauf und setzte den halben Pot: 50 Dollar.
Es erfolgte ein Cold Call vom Button, einem grundsätzlich respektablen Spieler. Die anderen verabschiedeten sich.
Der Turn gab mir mein Flush – 3
Ich checkte und mein Gegner ging, ohne lange zu Zögern, mit 700 Dollar all-in!
Cold Call am Flop und jetzt ein All-in? Hatte er ebenfalls zwei Kreuz vor sich? Die Wahrscheinlichkeit dafür war nicht sonderlich groß, doch war es natürlich nicht auszuschließen. Allerdings, es gab noch eine ganze Menge anderer Möglichkeiten, König mit Kreuz Ass als Kicker, zwei Paare und die Verteidigung gegen ein weiteres Kreuz. Vielleicht hatte er auch nur eine Zehn, verstand meinen niedrigen Einsatz am Flop und das Checken am Turn als Schwäche und wollte den Pot gleich hier kassieren.
Um mir etwas mehr Gewissheit zu verschaffen, fragte ich ihn, ob er das Flush getroffen hätte. Seine Antwort war karg: „Um das herauszufinden, musst du bezahlen!“ Ich bezahlte.
Er zeigte 10 10 und riss seine Augen weit auf, als er mein Blatt sah. Von 5 2 geschlagen zu werden schmerzt wesentlich mehr als von einem Blatt, das ein Preflop-Raise wirklich rechtfertigt, wie etwa K-K.
Die letzte Hoffnung, dass sich das Board paaren könnte, wurde nicht erfüllt. Es fiel J .
Und hier wären wir beim Dilemma eines gefloppten Sets, mit zwei möglichen Draws im Board. Ganz abgesehen davon, dass ein Reraise mit 10-10 vor dem Flop Sinn ergeben hätte, was wäre die richtige Entscheidung, sobald die dritte Zehn auf dem Tisch liegt?
Natürlich wäre ein Raise hier das Naheliegendste. So steht’s im Pokerbuch geschrieben. So würde jedes Computerprogramm reagieren. Und in Anbetracht des Ausgangs, wäre es natürlich die gewinnbringende Entscheidung gewesen. Mit einem Raise auf Potsize hätte er mir die Odds zerstört. Insbesondere mit derart niedrigen Werten, Fünf und Zwei, hätte ich mich sicher auf keine Spekulationen eingelassen.
Doch, bevor wir den Mann am Button schlechten Spiels bezichtigen, vergessen wir einmal, was weiter passiert ist. Er hat drei Gegner vor sich, zwei haben gecheckt und der Cutoff, ein bekannt aggressiver Spieler, bringt einen niedrigen Einsatz. Bei zwei möglichen Draws, Flush und Straight, kann er vermuten, dass der Cutoff kein Blatt vor sich hat, das er zu verteidigen versucht, ansonsten sein Einsatz höher ausgefallen wäre, um die Odds für Draws zu verschlechtern. Sein eigener Cold Call verweist nun ebenfalls nicht auf Stärke, sondern lässt die Gegner am ehesten eine Draw-Hand vermuten. Die Wahrscheinlichkeit, dass nun einer der beiden Verbleibenden angreift, ist keineswegs klein; entweder, um das Top-Pair zu verteidigen oder ein Semi-Bluff.
Dass beide gepasst haben, war Pech für ihn. Ich würde sagen, von seinem Standpunkt aus gesehen, konnte er zu etwa 50 Prozent mit einem Raise rechnen (was für mich natürlich das Ende bedeutet hätte).
Nach der 3c am Turn hätte er vorsichtiger spielen können. Ebenfalls checken und einen am River zu erwartenden Potsize-Bet callen. Damit wäre er billiger weggekommen. Wie groß war aber die Gefahr, dass der letzte verbleibende Gegner gerade zwei Kreuz in der Hand hielt? Rein rechnerisch gesehen, bloß etwa 5 Prozent. Wesentlich größer jedoch war die Möglichkeit, dass der Gegner ein Kreuz vor sich hatte. Dagegen wollte er sich absichern.
Beide Gedankengänge kombiniert, zeigt sich natürlich doch ein Fehler seinerseits. Seine erste Spekulation ist nicht aufgegangen. Schade für ihn. Mein Checken am Turn, gegen einen einzigen Gegner, ein mögliches Flush im Board, hätte ihn eher zur Vorsicht mahnen sollen. Es gab dafür eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen: ich hatte entweder gar nichts – und hätte nicht gecallt – oder ich hatte mein Flush und wollte ihn in die Falle locken, was mir ja auch gelungen ist.
Eine Runde später hatte ich eine Konfrontation mit einem anderen Spieler, der sein Monster zu verheimlichen versuchte.
Ein Limper UTG. Bis zu mir am Cutoff wurde gepasst. Ich brachte ein Raise auf 25 mit Jd-6d. Der Button und die Blinds passten, der Limper ging mit.
6 Q 6
UTG setzte 40 Dollar. Ein Bet aus erster Position. Das verwies recht deutlich auf eine Queen, das Limpen aus der schwächsten Position berücksichtigend, vermutlich mit Ass oder König als Kicker, oder auf ein Pocket-Pair.
Erfahrungsgemäß verweist ein Raise hier wesentlich weniger auf eine Sechs als ein Cold Call. Und genau das tat ich auch. Raise auf 90 Dollar.
Der Mann hatte eine ziemliche Glückssträhne hinter sich, hatte zweimal hintereinander einen Broadway gefloppt, und auch sonst einige Pots gewonnen. Sein Stack war mit über 2.500 Dollar deutlich höher als der meine. Seine Antwort auf mein Raise war ein All-in.
Eine Sechs mit besserem Kicker? A-6 suited wäre natürlich nicht auszuschließen gewesen, war aber keinesfalls wahrscheinlich genug, um mich zum Passen zu bewegen. Ohne Flush- und ohne Straight-Draw hätte er sich damit ohnehin eher zurückgehalten.
Wie ich es zu provozieren versucht hatte, schätze er mich, dank meines Raises, auf eine Queen ein. Hätte ich mit einer Queen, selbst mit Ass als Kicker, ein All-in gecallt? Vermutlich nicht, doch das konnte mein Gegner nicht wirklich wissen.
Was hatte er vorzuzeigen? A A
Es folgten eine weitere Queen und ein Jack. Hätte er mich am Turn all-in gesetzt, wäre der Pot der seine gewesen. Allerdings, genau vor dieser zweiten Queen hatte er natürlich Angst gehabt.
Cold Call mit Ass-Ass vor dem Flop ist natürlich auch nicht wirklich ein Fehler. Selbst Mike Caro erzählt in seinem letzten Buch, dass er dieses Täuschungsmanöver gerne anwendet. Die Moral von der Geschicht’ ist aber jene, dass wir uns durch Slowplay immer einem Risiko aussetzen und oft genug ist es fraglich, ob sich dieses Risiko auch wirklich lohnt. So enttäuschend es nämlich ist, mit einem Monster einen lächerlich kleinen Pot zu gewinnen, es ist wesentlich unangenehmer, seinen ganzen Stack damit einzubüßen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 23.09.2008.